transnationales / antirassismus

Wir sind alle illegal – Papiere für niemand!

Todos somos ilegales - Papeles para nadie

| Sophia Arevan, Barcelona

Spaniens Zentralregierung legalisieret im europaweit größten außerordentlichen Regularisierungsverfahren seit Jahrzehnten hunderttausende sogenannter "sin papeles".

Sie existieren ohne Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis, ohne Sozialversicherung, ohne Arbeitsvertrag, ohne Sicherheiten, ohne Rechte. Sie kommen aus aller Welt, aus Pakistan, Rumänien, Marroko, Lateinamerika, China. Sie arbeiten prekär und schwarz. Als TellerwäscherInnen, ButanverkäuferInnen, StraßenhändlerInnen, Prostituierte, Dockarbeiter, DienstbotInnen, Bauarbeiter. Sie werden sin papeles und ilegales genannt. Eine Million Menschen laut offizieller Statistik, zwei Millionen nach inoffiziellen Schätzungen.

Vor dem außerordentlichen Regularisierungsprozess. Denn in Kürze, schon Ende Juli, so rechnet Jesús Caldera (Arbeitsminister) umständlich vor, sollen es deutlich weniger sein. Nur 100.000 sin papels bleiben seinen Berechnungen zu Folge dann übrig; „oder mehr“. (1) Sie sollen abgeschoben werden, schließlich „muss Migration legal sein“.

Alle anderen gelten als „regularisierbar“, sie haben ihre „Verwurzelung im Arbeitsmarkt“ (arraigo laboral) durch einen Arbeitsvertrag bzw. ein schriftliches Vertragsangebot nachweisen können und alle verlangten Dokumente bei den Behörden eingereicht. Drei Monate Zeit wurde den Illegalisierten ab dem 7. Februar gegeben, um ein polizeiliches Führungszeugnis ihres Herkunftslandes, einen Nachweis über eine Aufenthaltsdauer von mindestens sechs Monaten durch einen Eintrag im Einwohnermelderegister vor dem 8. August 2004 und einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsangebot zu beschaffen.

Keine leichte Aufgabe. Viele erhielten statt des Arbeitsvertrages die Kündigung. Anderen bot der Chef einen Vertrag an. Nach Zahlung von bis zu 6000 Euro. Falsche Verträge sind zum selben Preis erhältlich. Trotz Job hat ein Großteil keine Aussicht auf einen Arbeitsvertrag, darunter viele Frauen, die als Hausangestellte arbeiten.

Das polizeiliche Führungszeugnis war je nachdem, ob das Herkunftsland ein Konsulat in Spanien hat, mehr oder weniger schwer zu bekommen. Der Nachweis über die Aufenthaltsdauer hätte theoretisch nicht mehr als ein simpler Behördengang zu sein brauchen. Die meisten sin papeles haben sich jedoch trotz langjährigen Aufenthalts in Spanien nie beim Einwohnermeldeamt registrieren lassen, aus Angst vor polizeilicher Repression und weil sie oft weder Mietvertrag noch eine des Namens würdige Wohnung haben. Damit war ihnen der Zugang zum Legalisierungsverfahren versperrt.

Einer von vielen Gründen für die noch immer anhaltenden massiven Protestaktionen.

Am 2. April schlossen sich nach einer Demonstration durch Barcelona über 500 MigrantInnen in Kirchen und sozialen Zentren ein und begannen einen Hungerstreik der von vielen bis heute (16. Mai) durchgehalten wird.

„Mit dem Hungerstreik werden sie nichts erreichen außer Abschiebebefehle“, lautete die Antwort Joan Rangels (Vertreter der Zentralregierung in Katalonien) eine Woche nach Beginn des Hungerstreiks. Caldera hingegen hatte schon zwei Tage zuvor davon gesprochen, prüfen zu lassen, welche Möglichkeiten bestehen andere Dokumente als den Eintrag im Einwohnermelderegister als Nachweis über die Aufenthaltsdauer zuzulassen.

Eine Woche später veröffentlicht die Presse die Liste der sieben neu zugelassenen Dokumente, darunter der Nachweis über fehlgeschlagene Einbürgerungsversuche, die Krankenversicherungskarte, abgelehnte Asylanträge und sogar Abschiebebefehle, die vor dem 8. August 2004 datieren.

„¿Este papel sirve?“ – Ist das Papier gültig, wird nach Veröffentlichung der Liste die meistgestellte Frage in den endlosen Schlangen vor den Ausländerbehörden und eigens eingerichteten Bürocontainern.

Lautet die Antwort ja, ist der nachträgliche Eintrag ins Einwohnermelderegister möglich. Eine Erweiterung im Legalisierungsverfahren, die nach Eigenaussage von Unternehmervertretern auf ihre Initiative hin erfolgt ist. (2)

Die Forderungen der MigrantInnen sind damit jedoch nur in diesem einen Punkt erfüllt. „Verwurzelung im Arbeitsmarkt“, d.h. ein Arbeitsvertrag, ist und bleibt zwingend notwendig für die erfolgreiche Legalisierung: „Migration muss an den Arbeitsmarkt gekoppelt werden“ (3).

Die für die Zeit nach dem Abschluss des gesamten Prozesses angekündigten strengen Kontrollen am Arbeitsplatz haben bereits begonnen. Dadurch will die Regierung einen Großteil der Schwarzarbeit eliminieren, mit der 20% des BIP (7.800 Millionen Euro) erwirtschaftet werden.

Zapatero, Rumí, Caldera und Co. zeigen sich zufrieden mit dem Fortgang des Legalisierungsverfahrens und rechnen sich eine Quote von 80 bis 90 Prozent „legalisierter“ MigrantInnen (etwa 700.000 Personen) aus. (4)

Nicht alle sind derart zufrieden; die Plattform für die bedingungslose Regularisierung, diverse Gewerkschaften und NGOs rechnen anders: mindestens einen Million Menschen wird weiterhin mit dem Status illegal versehen werden. Ihnen drohen verstärkte Polizeikontrollen, Verhaftung und Abschiebung. Allein in der Woche nach dem 7. Mai haben sich rassistische Kontrollen und Verhaftungen durch Zivilpolizisten im Zentrum Barcelonas mehr als verdoppelt.

Und die europäischen Kollegen Jose Antonio Alsonsos?

Die sind auch nicht zufrieden.

Besonders Otto Schily und Dominique de Villepin sind kurz nervös geworden. Hat da etwa jemand ein Schlupfloch in die Festungsmauer geschlagen?

Aber nein…, keine Grund zur Sorge, die gemeinsame Erklärung des G5- Innenministertreffens am 12. Mai lässt keine Zweifel. Illegale Immigration, Terrorismus und organisierte Kriminalität sind die aktuellen Bedrohungen Europas, die es gemeinsam zu bekämpfen gilt. Da sind sich alle Staaten einig: die Festung wird mit Stacheldraht verstärkt und noch besser bewacht werden. Auch von innen. Schließlich muss der Missbrauch der Schengen- Freizügigkeit durch kriminelle Elemente verhindert werden.

Deshalb können die MigrantInnen, die durch den außerordentlichen Regularisierungsprozess eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis bekommen haben, in den nächsten fünf Jahren zwar innerhalb der EU reisen, haben jedoch nicht das Recht sich außerhalb Spaniens niederzulassen oder gar zu arbeiten. Und die „Illegalen“ werden abgeschoben. (5)

Deutliches aufatmen allerseits. Der Burgfrieden ist also gewahrt.

(1) EL PAIS, 7.5. 2005

(2) EL PAIS 15.4.2005

(3) so Consuelo Rumí, Staatssekretärin für Migrationsangelegenheiten. EL PAIS 22.8.2004

(4) Im bis dato größten Regularisierungsverfahren 2001, damals noch unter Aznar, bekamen 350.000 Personen Papiere.

(5) Für Frankreich hat Villepin 20.000 Abschiebungen angekündigt und in Spanien werden sich zu den 120.000 vollzogenen Abschiebungen seit Amtsantritt Zapateros weitere summieren.