Wenn die Redaktion der Sendung Polylux 15jährigen zur Erprobung ihrer 'Girlie'- oder 'Boygroupqualitäten' in der Fußgängerzone die Gelegenheit bietet, ein Geburtstagsständchen für die Bundeswehr zu singen, kann man noch hoffen, dass sie das Video einige Jahre später nur noch mit peinlichem Erröten betrachten können. Wenn die junge Radio-Moderatorin Friederike Lippold aus Leipzig verkündet: "Was Gerri Harriwell und Britney Spears können, kann ich schon lange" und die Einladung der Bundeswehr, ein Kontingentabschlussfest in Raijlovac zu moderieren, gerne annimmt, kann man auf ihre Naivität und die geringe Reichweite von Radio Energy setzen, über den Freddy nach ihrer Rückkehr Soldatengrüße ver-breitet. Wenn dagegen Verteidigungsminister Struck als Stargast mit der Heart & Soul Blues Brother Cover Band zu den Soldaten nach Pristina reist, um - so das Bundeswehrmagazin Y. - im Sinne guter Truppenbetreuung als "zweiter Blues-Brother" mit schwarzem Hut und Sonnenbrille aufzutreten und mit Harry Belafontes "Mathilda" begeisterte Zurufe von Soldaten zu ernten, handelt es sich dabei ganz sicher um einen wohl überlegten Einsatz.
Aus aktuellem Anlass hinausposaunen will Struck nun das Credo „Entschieden für den Frieden“; ansonsten will man die Feiern zur Gründung der Bundeswehr vor 50 Jahren in aller Bescheidenheit und weitgehend ohne Paraden, Aufmärsche oder Waffenschauen begehen. An preußischen Militarismus, die herausragende Stellung seines Militärs in der Gesellschaft und dessen Imponiergehabe mit Pauken und Trompeten, soll möglichst wenig erinnern. Dennoch spielen Militär und Krieg eine zunehmend bedeutende Rolle in diesem Land: Die Bundeswehr erhält viel Geld, ihre Einsätze in Afghanistan, im früheren Jugoslawien und in Afrika werden von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragen, zur Nachwuchswerbung erscheinen regelmäßig Anzeigen in Tageszeitungen, und die Jugendoffiziere erreichen jährlich über 300.000 Menschen in unmittelbarer Ansprache.
Die Existenz der Bundeswehr und ihre Beteiligung an Kriegen sind inzwischen selbstverständlich geworden. Gab es in den unmittelbaren Nachkriegsjahren noch eine weitgehende, wenn auch nicht immer antimilitaristisch motivierte Ablehnung einer Wiederaufstellung deutscher Streitkräfte, so wurden in den fünfziger Jahren in einem konflikthaften Prozess der Aufbau der Bundeswehr und die Wiederbewaffnung gegen heftige Proteste durchgesetzt.
Dies war auch ein erster Schritt zur Remilitarisierung der Gesellschaft und ihrer politischen Kultur. Bis Anfang der achtziger Jahre führten insbesondere einzelne Aufrüstungsvorhaben, Manöver oder öffentliche Gelöbnisse noch zu Protest- und Widerstandsaktionen. Seit Mitte der achtziger Jahre wurde der Einsatz der deutschen Streitkräfte als Mittel der Außenpolitik stärker betont, was in den neunziger Jahren dann eine weitgehende gesellschaftliche Akzeptanz der Beteiligung der Bundeswehr an Kriegseinsätzen erleichterte, obwohl diese nicht der Verteidigung des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland dienten.
Diese Entwicklung einer „politischen Kultur des Krieges“ (der Soziologe Michael Schwab-Trapp schildert sie in seinem Buch „Kriegsdiskurse“) wäre undenkbar, könnte die Bundeswehr nicht auf ein erhebliches Maß an Anerkennung in der Bevölkerung vertrauen. So unterschiedliches öffentliches Auftreten wie die Hilfseinsätze beim Oder-Hochwasser, Wanderausstellungen mit Kriegsgerät (Unser Heer), die Präsentation der Bundeswehr mit großen Ständen bei den Leipziger Buchmessen im März 2003 und März 2004 (vgl. GWR 289), Musikveranstaltungen für Jugendliche (BW-Musix ’03), bei der diese u.a. einen Auftritt mit der Big-Band der Bundeswehr gewinnen können, „Informationsveranstaltungen“ mit Jeanette Biedermann oder das militärverherrlichende Marine-Museum von Peter Tamm, das von der Stadt Hamburg durch die Überlassung eines Gebäudes und 30 Mio. € gefördert wird, zeigen exemplarisch, dass die Existenz von Militär und der damit verknüpfte Verbrauch gesellschaftlichen Reichtums wie auch die erheblichen staatlich kontrollierten Gewaltmittel häufig unhinterfragt bleiben.
Diesen weit reichenden Veränderungen medial-kultureller Angebote wird in einer am Krieg als Ausnahmezustand orientierten Berichterstattung, Forschung und politischen Gegenbewegung meist sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Zu sprechen ist von jenen zahlreichen Entwicklungen in der Film-, Spiel- und Unterhaltungsindustrie, die zu einer Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen beitragen. „Banaler Militarismus“ geht in seiner Veralltäglichung über die „politische Kultur des Krieges“ hinaus und wird – wie der Nationalismus – sowohl von den so genannten gesellschaftlichen Eliten wie auch von Teilen der Bevölkerung reproduziert; er findet sich in Gestalt der zahlreichen, an Bahnhofskiosken erhältlichen Bücher und Broschüren über Waffensysteme ebenso wie als Kriegsspielzeug in den Spielwarenabteilungen der Kaufhäuser.
Die Prozesse einer banalen Militarisierung sind natürlich nicht neu – zu denken wäre etwa an die Kinder- und Jugendromane im England des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in denen Krieg als großes Spiel erzählt wurde, oder an die Entwicklung der Vorläufer moderner Kriegsspiele. Auf der Suche nach den Traditionslinien des Kriegsspiels wird rasch deutlich, wie eng schon früh Produkte militärisch-universitärer Kooperation mit Stätten der Alltagskultur verbunden waren: In Vergnügungsparks konnte man bereits Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts in 35 Nationen den mechanischen Flugsimulator von Edward Link testen. Inzwischen hat sich die Reichweite dieser Angebote aufgrund erweiterter technologischer Möglichkeiten signifikant vergrößert. Dies gilt für Kriegsfilme ebenso wie für die Computer-Kriegsspiele, die sich einer millionenfachen Fangemeinde erfreuen. An ihnen lassen sich Darstellungsweisen des Militärs/Militärischen in seinen (weitgehend) unspektakulären Ausprägungen und Erscheinungen, Interaktionen des Militärs mit anderen gesellschaftlichen/kulturellen Akteuren und Milieus sowie Auswirkungen auf die primär nicht militärischen Teile der politischen und der Alltagskultur beispielhaft erläutern:
Zahlreich sind die Kriegsschauplätze, auf denen – als Einzelspieler oder vernetzt, aus der Ego-Shooter-Perspektive oder als Feldherr – vergangene, gegenwärtige und zukünftige Konfliktszenarien mit Waffengewalt ausgetragen werden. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich dabei der Zweite Weltkrieg mit europäischen, nordafrikanischen und fernöstlichen Schlachtszenarien sowie die Kriege in Korea und Vietnam; hinzu kommt eine wachsende Zahl aktueller (Liberia, Irak) und zukünftig für möglich gehaltener Konflikte (China), bei denen sich die SpielerInnen am heimischen Rechner militärisch bewähren können.
Zu den weit verbreiteten Spielen gehört nicht nur der Online-Shooter Counterstrike, dessen Spielergemeinde bereits 2002 weit mehr als 10 Millionen Personen umfasste, sondern auch die Battlefield-Serie. Wegen des großen Markterfolgs wurde bald für Erweiterungen und Fortsetzungen von Battlefield 1942 geworben, so in der Zeitschrift PC Action: „Ein Muss für alle Frontschweine“. Dass sich unter den MitspielerInnen auch viele Rechtsradikale finden, kann kaum überraschen; auf der deutschen Fanseite von Battlefield 1942 teilen sie die Begeisterung für Waffentechnik und Soldatenhandwerk mit Unpolitischen und MilitaristInnen. Im Jahr 2004 folgte Battlefield Vietnam, entwickelt von der Firma Digital Illusions. Im vietnamesischen Urwald, in kleinen Dörfern oder in städtischen Umgebungen wird der Kampf zwischen der US-Armee und vietnamesischen Soldaten ausgetragen. Was der Spielgemeinde als zunehmend realistischere Darstellung des Krieges angepriesen wird, orientiert sich nach Aussagen der Produzenten des Spiels an dem, was „die Leute vom Vietnamkrieg erwarten – und diese Vorstellung basiert vor allem auf Hollywood-Filmen“. Dass damit die Realität des Krieges mit seinen Massakern an der Zivilbevölkerung, dem verbreiteten Einsatz von Napalm durch die US-Streitkräfte und dessen Langzeitfolgen nicht im Ansatz vermittelt werden kann, muss kaum weiter erläutert werden.
Mit Battlefield 2 wurde der Kriegsschauplatz in den Nahen und Mittleren Osten, nach Zentralasien und Nordchina verlegt. Die digitale Kulisse erinnert an die aktuellen Kriege, die in Europa medial vermittelt wahrgenommen werden. So wird auch die Werbung für die Kriegsspiele am Computer den aktuellen Konflikt- bzw. Kriegslagen angepasst. Die Zeitschrift PC Games (Ausgabe Juni 2004) schwärmt, dass das neue Spiel „schwerpunktmäßig auf fesselnde Straßenkämpfe in arabisch geprägten Städten“ setze, welche „von Bauweise und Aufmacher her frappierend an die tagtäglich über den Fernseher flimmernden Bilder aus irakischen Widerstandsnestern in Faludscha, Nadschaf oder Basra erinnern“.
Waren bei der Gestaltung etlicher solcher Spiele Militärveteranen beratend tätig, so kooperieren die Herstellerfirmen in vielen anderen Fällen direkt mit der US-Army. Am Forschungsinstitut Modeling, Virtual Environments and Simulation der Naval Postgraduate School der US-Marine wurden ähnlich wie in dem seit 1999 von der US-Armee finanzierten Sonderforschungsbereich der University of Southern California mit dem Namen Institute of Creative Technologies Spiele wie Soldiers oder der Egoshooter Operations produziert, mit dem zugleich Rekruten geworben wie „ganz normale Menschen unterhalten werden sollen“. 1,2 Millionen CD-ROMs mit dem Spiel wurden über Computerspielzeitschriften verbreitet.
Frei über das Internet zugänglich ist auch die Kriegssimulation Americas Army; dabei registriert die US-Armee alle SpielerInnen mit Usernamen und E-Mailadresse und speichert ihre Fortschritte, denn das Spiel dient ihr gezielt zur Rekrutenwerbung. Die SpielerInnen erhalten eine spezifische Laufbahnausbildung (z.B. als Scharfschütze oder Fallschirmspringer) und lernen militärischen Gehorsam: Gefeuert wird nur auf Befehl; wer dagegen verstößt, dem droht – wenn auch nur virtuell – die Einzelzelle.
Das Interesse des Militärs an Computerspielen wächst, denn Simulation wird schon seit Mitte der 1980er Jahre zunehmend in die Soldatenausbildung einbezogen. Spiele wie „Counterstrike“ führen nach neurowissenschaftlichen Forschungen zu erhöhter visueller Aufmerksamkeit. Dass auch bisherige NichtspielerInnen nach zehntägiger Übungszeit mehrere Objekte gleichzeitig auf dem Bildschirm wahrnehmen konnten, interessiert die Militärs, die ihre Spezialeinheiten bisher mit Actionvideos schulten, damit sie unbekanntes Territorium schnell sondieren lernten.
Die Kulturindustrie stellt eine Vielzahl von Medien bereit, die es jeder/m Interessierten erlauben, sich – zumindest zeitweise und mental – als militärischer Stratege, Spezialagent, Kämpfer oder auch Killer zu betätigen. In kapitalistisch verfassten Gesellschaften verbreiten sich hegemoniale Ideen am nachhaltigsten, wenn sie – als emotionalisierende Erlebnisangebote gestaltet und in Waren transformiert – medial angepriesen und in den Geschäften verkauft werden sowie auf dem Marktplatz für Nachrichten, Spiele, Musik, Kunst und Literatur zirkulieren. Neben den je aktuell neu bestimmten Konzepten und Richtlinien der Streitkräfte für den Umgang mit MedienvertreterInnen und den Öffentlichkeiten im so genannten Kriegsfall bleibt das langfristige Interesse an Kooperation militärischer Institutionen und Akteure mit Medien- oder Unterhaltungsindustrie auch in Friedenszeiten wirksam. So gilt es, die Frage, wie Militär, Medien und Kulturbetrieb kooperieren und wie diese Verbindungen in die Gesellschaft hineinwirken, zum Gegenstand von Reflexion und Intervention zu machen; die fortschreitende Militarisierung fordert auch und gerade in ihren scheinbar banalsten Formen Protest heraus.
Anmerkungen
Tanja Thomas ist Juniorprofessorin für Kommunikationswissenschaft und Medienkultur an der Universität Lüneburg.
Fabian Virchow ist Soziologe und Lehrbeauftragter an der FH Kiel.
Um die wissenschaftliche Beforschung der immensen Bandbreite und Dimensionen der Phänomene eines/r banalen Militarismus/Militarisierung zu befördern, haben die AutorInnen in Kooperation mit dem Zentrum für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg eine erste Tagung zum Thema organisiert. In einer an die Tagung anschließenden Anthologie vermessen WissenschaftlerInnen aus den USA, Schweden, Finnland, Österreich und Deutschland das Begriffskonzept "Banal Militarism" in aktueller und historischer interdisziplinärer Perspektive. Der Band "Banal Militarism. Zur Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen", herausgegeben von Tanja Thomas und Fabian Virchow, erscheint im Herbst 2005 im transcript-Verlag Bielefeld.