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Reaktionäre Botschaft im Pop-Gewande

| Gunnar Schädel

Die von den Medien verbreiteten Bilder signalisierten einen Erfolg auf der ganzen Linie: Hunderttausende Jugendliche jubeln dem bis dahin als Mann ohne viel Charisma beschriebenen Benedikt XVI. begeistert zu, und mit seinem Besuch in einer Synagoge ist der "deutsche Papst" kein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt bereits "historisch". Die katholische Kirche: hip & pc - ein besseres Ergebnis hätte der Weltjugendtag, der Mitte August in Köln stattfand, nicht bringen können.

Bei genauerem Hinsehen ergeben sich jedoch einige Widersprüche. Wie passt es zusammen, dass der Papst einerseits das Aufeinanderzugehen der Religionen forciert und andererseits anlässlich des WJT einen „vollkommenen Ablass“ verfügt (eine Praxis, die vor 500 Jahren zur Abspaltung der evangelischen Kirchen beitrug)? Und selbst einigen ansonsten mitjubelnden Medien fiel auf, dass Benedikt XVI. bei seiner Ansprache in der Kölner Synagoge den christlichen Antijudaismus nicht erwähnte (und damit sogar hinter seinen Vorgänger im Amt zurückging).

In dieser Rede findet sich ein wichtiger Hinweis auf die tatsächlichen politischen Ambitionen des Papstes. Denn zur Erklärung der systematischen Ermordung von Millionen europäischer Juden führt er eine Argumentation an, die gerade von deutschen Bischöfen immer wieder bemüht wird: „Weil man die Heiligkeit Gottes nicht mehr anerkannte, wurde auch die Heiligkeit menschlichen Lebens mit Füßen getreten.“ Nun findet sich im deutschen Faschismus eine Strömung, die nicht an einen persönlichen Gott im christlichen Sinne glaubte. Ungläubig waren diese Nationalsozialisten deshalb aber nicht; im Gegenteil: Die offizielle Bezeichnung ihrer Weltanschauung lautete „gottgläubig“. Zudem fiel es auch der Mehrzahl der Christen offenbar trotz ihres Glaubens nicht allzu schwer, sich am NS-Staat zu beteiligen: Selbst unter SS-Angehörigen bekannte sich knapp die Hälfte zum protestantischen und über ein Viertel zum katholischen Glauben.

Wenn der allgemein als besonders scharfsinnig beschriebene Papst die Abhängigkeit der Menschenrechte vom Gottglauben suggeriert, darf dies nicht als billige rhetorische Finte missverstanden werden, die davon ablenken soll, dass die Jahrhunderte lange Tradition der christlich motivierten Entrechtung und Verfolgung der Juden ein gerütteltes Maß zum Aufstieg des völkischen Antisemitismus beigetragen hat. Benedikt XVI., vormals als Joseph Kardinal Ratzinger Chef der Römischen Glaubenskongregation, also der Nachfolgeorganisation der Heiligen Inquisition, blickt aus einer völlig anderen Perspektive auf die Geschichte. Für ihn gibt es einen zentralen „Betriebsunfall“, den es zu revidieren gilt: die Aufklärung und die mit ihr einhergehende Säkularisierung. Bereits im Dezember 2004 hatte Ratzinger davor gewarnt, ein „radikaler Laizismus“ könne den Humanismus zerstören. Dabei war es ganz im Gegenteil gerade die Vorstellung einer Trennung von Religion und Politik, die wichtige Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass eine Pluralität von Lebensentwürfen überhaupt möglich erscheint. (Dass Ratzinger im selben Vortrag gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften polemisierte, spricht für sich.) Die Strategie, die enge Verbindung von Aufklärung und Humanismus in Abrede zu stellen, zeigt durchaus Erfolg. Die rhetorische Figur, dass Auschwitz nicht trotz, sondern aufgrund der Aufklärung stattgefunden habe, hat mittlerweile den Weg in die Medien gefunden (selbst der Nachruf auf Johannes Paul II. in der taz bemühte die Idee, um den verstorbenen Papst gegen Kritik zu verteidigen). Das vorrangige Ziel der katholischen Kirche bleibt – gerade der beim Weltjugendtag gastgebende Kölner Kardinal Joachim Meisner hat das immer wieder deutlich formuliert – die Re-Evangelisierung Europas.

Als Symbol, wohin die Reise tatsächlich gehen soll, kann der Besuch Benedikts XVI. in der St. Pantaleon-Kirche gedeutet werden; diese wird von Priestern des Opus Dei geleitet. Der reaktionäre Orden war eng verbunden mit der Herrschaft Francos und vertritt die Auffassung, dass das gesamte gesellschaftliche Leben nach katholischen Maßstäben gestaltet werden müsse. Das derzeitige Opus Dei-Oberhaupt, der spanische Bischof Javier Echevarría, hatte sich unlängst in einem Interview damit gebrüstet, dass der neue Papst „das Opus Dei besser kennt als Johannes Paul II. zu Beginn seines Pontifikats 1978“. Dass Benedikt XVI. zumindest den Opus Dei-Begründer Josemaria Escriva nicht nur kennt, sondern zu schätzen weiß, zeigt er ganz offen: Jüngst hat er eine an der Außenmauer des Petersdoms aufgestellte Statue Escrivas eingesegnet.