Wer, wann und wo etwas sagt, schreibt oder abbildet, ist entscheidend dafür, wie das Gesagte, Geschriebene und Abgebildete gelesen wird. Mit diesem Zusammenhang befasst sich die Repräsentationskritik. Repräsentation ist nie ein neutraler Vorgang von Darstellung, Vorstellung, Abbildung oder Wiedergabe, sondern immer in Herrschaftsverhältnisse verstrickt. Sie bringt diese zum Ausdruck, reproduziert sie oder kämpft - bestenfalls - dagegen an. Das gilt für künstlerische Produktionen ebenso wie für Bilder ganz allgemein. Also auch für solche, die soziale Bewegungen zum Gegenstand haben. Ausgehend von der Diskussion um filmische und künstlerische Repräsentationen und darüber hinaus gehende Bildpolitiken, die im Weblog Here to stay! (www.dia-log.at) der "Diagonale. Festival des österreichischen Films" 2005 stattgefunden hat, fragten wir nach den Logiken, Verwertungsmechanismen und Paternalismen, aber auch nach Möglichkeiten, Handlungsfeldern und Spielräumen politischer Bildproduktion im Kunstfeld und anderswo. (Die Red.)
GWR: Im Zusammenhang mit zeitgenössischen Kunstausstellungen, wenn sie sich dem Thema Migration oder Rassismus zuwenden, wird immer wieder herausgestellt, wie wichtig es ist, Sichtbarkeit herzustellen für etwas, das vorher nicht sichtbar war oder nicht in den Blick der Öffentlichkeit geraten ist. Welchen Stellenwert hat für euch das Konzept der Sichtbarkeit, welche Möglichkeiten und welche Fallen birgt es?
J. S.: Das Konzept der Sichtbarkeit wirft die Frage auf: Wer macht sichtbar und wer wird sichtbar gemacht? Sichtbarkeit ist nicht per se positiv. Dennoch kann es im politischen Zusammenhang wichtig sein, Öffentlichkeiten herzustellen, z.B. im Kontext der Zusammenarbeit von MigrantInnen und MehrheitsösterreicherInnen. Wichtig ist auch die Frage, was sichtbar werden soll – Strukturen oder Personen. In einer antirassistischen feministischen Bildpolitik sollten vor allem rassistische Strukturen sichtbar gemacht werden und nicht die rassistisch Diskriminierten.
A. J.-A.: Ein zentrales und markantes Element Schwarzer Erfahrung ist das Spannungsfeld, das zwischen einer permanenten Sichtbarkeit als Objekte und kompletter Unsichtbarkeit als Subjekte besteht. Wir sind als konstruierte Objekte extrem sichtbar, über die in dem vorherrschenden Darstellungssystem etwas gewusst wird. Das gilt auch und gerade für den österreichischen Kontext. Dem steht die vollständige Unsichtbarkeit von subjektiven Schwarzen Positionen entgegen die es zu durchbrechen gilt. Dazu ein Zitat, das ich immer und immer wieder wiederhole, von der Filmemacherin Prathiba Parmar: „Bilder spielen eine entscheidende Rolle bei der Definition und Kontrolle politischer und sozialer Macht (…). Das zutiefst ideologische Wesen der Bilderwelt bestimmt nicht nur, wie andere über uns denken, sondern auch, wie wir über uns selbst denken.“
Für mich ist dies eine wichtige Ausgangsposition, dass nämlich Darstellung und Beherrschung miteinander verquickt sind, und dass es deshalb extrem wichtig ist, in dieses dominierende und unterdrückende Imageregime (1) einzugreifen und sozusagen Selbstbefreiungsstrategien auszuarbeiten, also bildkritische Interventionen zu schaffen. Was ich meine ist, dass das Konzept der Sichtbarkeit für mich mit dem Kampf um selbstbestimmte, emanzipatorische, dekolonisierte Bilder verbunden ist. D.h. mit unseren vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Schwarzen Befreiungsprozessen und der Erkämpfung unserer Sichtbarkeiten als politische Subjekte.
GWR: Lassen sich denn „andere Bilder“ entwickeln? Oder riskiert man bei dem Versuch, alternative Bilder zu produzieren nicht das, was Peter Grabher „pseudo-anti-rassistische Exploitation“ nennt? Nur eine neue Form der Ausbeutung?
A. J.-A.: Genauso wie Schwarze Menschen zum Spiegel für weiße rassistische und sexistische Projektionen, Träume und Sehnsüchte instrumentalisiert werden, kommt es natürlich zu solchen Vereinnahmungen: Das passive Element bleibt dann bestehen und Schwarze Menschen fungieren dann als Hintergrundtapete für weiße liberale Visionen und progressive Selbstinszenierungen. Aber die Definitionsmacht wird dabei nicht aufgebrochen, sondern nur neu, also pseudo-alternativ verpackt.
J. S.: Ich denke auch, es gibt keine „andere Bilder“. Jedes Bild, das wir herstellen, ist Teil der rassistischen Strukturen, in denen wir leben und von denen wir auch geprägt sind. Bei antirassistischen, feministischen Bildpolitiken geht es für mich darum, dass Bilder kritisch diskutiert und miteinander neue hergestellt werden – von den in der Gesellschaft unterschiedlich Positionierten. Es steht auch die Frage im Raum, wie dabei Definitionsmacht abgegeben und geteilt werden kann.
A. J.-A.: Aber welche Bilder können dann hergestellt werden?
J. S.: Ohne die Auseinandersetzung mit den so genannten Anderen lassen sich gar keine antirassistischen Bildpolitiken entwerfen. Die Position in der Gesellschaft prägt ja auch den eigenen Blick. Deshalb erscheint mir die Auseinandersetzung mit der Bedeutungsproduktion von Bildern und Begriffen so wichtig. Wenn Du Bilder kritisierst, bekommst Du von den MacherInnen oft die Antwort: „Das war nicht meine Intention“. Gerade dann ist es wichtig zu erklären, dass diesen Bildern dennoch eine bestimmte Politik innewohnt, die auf der Ebene der Bilder, der Sprache reproduziert wird. Repräsentationskritik – also die Frage danach, wie Bilder jenseits der Intention ihrer MacherInnen in herrschende Politiken verstrickt sind – hat in Österreich wenig Tradition.
A. J.-A.: Die ganze Auseinandersetzung ist natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern beruht auf Kritik und ist Teil von Kämpfen. Ich glaube eben nicht, dass weiße KünstlerInnen eines Morgens aufgewacht sind und sich bestimmte Fragen gestellt haben. Wie feministische Positionen müssen auch antirassistische Bilder aus Kämpfen entstehen. Ich stimme Dir zu, dass ohne die Kritik „der Anderen“ bestimmte Ebenen nicht sichtbar oder nicht zu erfassen wären, aber dabei besteht natürlich die Gefahr, dass diese Kritiken als von „den Anderen antirassistisch geprüft“-Stempel vereinnahmt wird.
J. S.: Ich glaube, dass das auch umgekehrt funktioniert. Auch Du kannst bestimmte Dinge nicht sehen. Deshalb ist die Auseinandersetzung von Personen, die in der Gesellschaft unterschiedlich positioniert sind, wichtig.
A. J.-A.: Das stimmt schon, nur wenn wir jetzt von weißen und von Schwarzen Positionen reden – und man kann das unendlich erweitern, ich werde vermutlich viele Heterosexismen reproduzieren usw. -, ist auch da die strukturelle Ebene nicht zu vernachlässigen. Wenn Du als weiße Frau von „den Anderen“ sprichst, kann man schon sagen, dass ein Stempel mit dem Aufdruck „von nicht-weißen Anderen geprüft“ eine besondere Bedeutung hat, und zwar gerade im Kunstbereich, wo es im Moment besonders hip ist…
J.S.: …was ist gerade besonders hip?
A. J.-A.: Es ist besonders hip, sich mit dem Konzept der „Weißheit“ (2) auseinanderzusetzen; es ist besonders hip, auch antirassistische Positionen zu haben. Wenn ich als weiße Künstlerin sagen kann, ich habe diese und jene Kooperationen geführt, dann ist das natürlich ein unglaubliches symbolisches Kapital.
J. S.: Es kommt natürlich darauf an, wie die Kooperationen geführt werden.
A. J.-A.: Auch wenn sie gut geführt werden, haben sie im Kunstkontext die Möglichkeit, als Beispiel für gute Kooperation in die kritische, progressive Kunstgeschichte einzugehen.
Als Meilenstein können sie dann auch wieder ausgestellt werden.
J. S.: Das sehe ich anders. Ich denke, dass politische Positionen im Kunstbereich total marginalisiert sind. Es gab vielleicht Anfang der 1990er Jahre die Hoffnung, dass es in diese Richtung gehen könnte. Jetzt sehe ich eher die Tendenz, dass KünstlerInnen, die politisch arbeiten und Kooperationen mit marginalisierten Gruppen suchen, viel mehr im politischen Feld wahrgenommen werden als im Kunstfeld.
A. J.-A.: Klar sind das gleichzeitig auch im Kunstbereich gerade in Österreich äußerst marginalisierte Positionen. Diese Tatsache hebt aber die von mir beschriebenen Machtverhältnisse und die damit verbundenen Mechanismen in diesem zugegeben kleinen Segment nicht auf.
GWR: Kann eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der „Weißheit“ auch Mechanismen durchbrechen? Womit wird gebrochen, was wird reproduziert?
J. S.: Interessant ist auch zu überlegen, warum wir den Begriff „Weißheit“ oder „Weißsein“ verwenden. „Weißheit“ fragt nach den Wissenstraditionen, die mit weißer Macht und Herrschaft einhergehen. „Weißsein“ macht deutlich, dass weiße Herkunft sich mit der Reflexion darüber nicht einfach ablegen lässt. Wichtig ist aber, sie nicht biologistisch zu denken, sondern als politische Position.
GWR: Die Idee des „Weißheit“-Konzeptes ist es also, die eigene Position als Position in der Gesellschaft sichtbar zu machen.
J. S.: Genau. Auf die jahrelange Auseinandersetzung mit dem Konzept der „Mehrheitsposition“ folgt nun die Beschäftigung mit dem „Weißsein“. Interessant an dem Konzept finde ich, dass es die Geschichte – Kolonialismus und NS-Zeit – mit einbezieht und nicht nur auf aktuelle Ungleichheiten zielt. Daher erscheint es mir sinnvoll. Problematisch ist daran aber der Import, die Critical Whiteness Studies wurden aus den USA einfach übernommen.
A. J.-A.: Entscheidend ist ja, dass es in Schwarzen kritischen Diskursen entwickelt wurde und dass es darum ging und geht, Machtverhältnisse in einer Gesellschaft sichtbar zu machen. Dass die österreichische Realität bei der Anwendung von „Whiteness Studies“ hier zu Lande ausgeklammert bleibt, stört mich daran extrem.
GWR: Angesichts der Bild- und Blickregime stellt sich die Frage noch mal, wie sie sich durchbrechen lassen und ob es eine Bildpolitik geben kann, die sehr wohl etwas mit Empowerment zu tun hat. Von welchen Bildpolitiken träumt ihr also?
J. S.: Bildpolitiken, von denen ich träume, sind welche, die meine Vorstellungen übersteigen und bei denen Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen etwas miteinander teilen und es anderen mitteilen. Bildpolitiken, die antirassistisch und feministisch sind – von der Ästhetik bis zur strukturellen Ebene der Bedingungen der Herstellung und Veröffentlichung. Und die noch genug Platz lassen für Widersprüche.
A. J.-A.: Das unvorstellbare Moment erscheint mir auch sehr wichtig. Und um zu dem Parmar-Zitat zurückzukommen: Ein Traum wäre, das ideologische Wesen der Bilderwelt zu dekolonisieren. Aber ich sehe das als fortlaufenden, niemals endenden Prozess. Denn gerade weil die Unterdrückung so umfassend ist, muss auch unsere Befreiung umfassend sein.
(1) Ein Bild- oder Blickregime umfasst die Organisation von Sichtbarkeiten, eine Konstellation von Objekten im Hinblick darauf, welche Bedeutung sie als Bildelemente entwickeln können. Das Bild- oder Blickregime ist ein Bildrepertoire, das sämtliche Figuren der Herstellung von Bedeutungen beinhaltet und in Machtverhältnisse verwoben ist. Die Rede von einem Bild- oder Blickregime macht deutlich, dass jede Darstellung einer visuellen Vorprägung unterliegt.
(2) "Der Begriff des weiß-Seins (whiteness) wurde von feministischen Migrantinnen geprägt, um Macht- und Herrschaftsverhältnisse analysieren und angreifen zu können sowie eine Auseinandersetzung von Mehrheitsangehörigen mit ihrer unsichtbaren Machtposition zu forcieren. Wir verwenden den Begriff des weiß-Seins, um in der antirassistischen feministischen (Kultur-)Arbeit eine notwendige Verschiebung zu bewirken. Ethnisierte Identitäten sind nicht nur jene von Afroösterreicherinnen oder -deutschen, von Latinos/as oder AsiatInnen. Auch weiße Österreicherinnen sind Ethnisierte." So heißt es im Text zu der zeitgenössischen Kunst-Ausstellung "Born to be White", die vom 2. Juni bis 22. Juli 2005 in der IG Bildende Kunst in Wien stattgefunden hat und von Rosa Reitsamer und Jo Schmeiser kuratiert wurde.
www.igbildendekunst.at/ seiten/ seiten%20gallery/ 2005/ borntobewhite.htm
Anmerkungen
Das Gespräch fand am 15. August 2005 in Wien statt und wurde von Nora Sternfeld und Jens Kastner für GWR und Bildpunkt geführt und für die Textfassung in Absprache mit den Teilnehmerinnen gekürzt und überarbeitet. Es erschien erstmals in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Herbst 2005.
Araba Evelyn Johnston-Arthur ist freie Kultur- und Sozialwissenschafterin Mitbegründerin von Pamoja. Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora in Österreich und Aktivistin der Schwarzen Communities in Wien und arbeitet u. a. zu Schwarzer Repräsentationskritik und -praxis, Schwarzer österreichischer Geschichte und Gegenwart. Sie war Programmkommissionsmitglied bei der Diagonale. und Kuratorin des dialogs: Here to stay! der Diagonale 2005.
Jo Schmeiser ist Künstlerin und Autorin. Unter dem Label Klub Zwei arbeitet sie mit Simone Bader zum Thema der Nachwirkungen des Nationalsozialismus in der Gegenwart (Things. Places. Years, Dokumentarfilm, 2004). Mit Rosa Reitsamer hat sie 2005 die Ausstellung Born to be white. Rassismus und Antisemitismus in der weißen Mehrheitsgesellschaft in der IG Bildende Kunst konzipiert.