Kuchaipadar ist ein Dorf im Verwaltungsblock Kashipur, Bezirk Rayagada, im ostindischen Bundesstaat Orissa. Es steht an vorderster Front im Widerstand gegen den Abbau und die Verarbeitung des Aluminiumrohstoffs Bauxit.
Das Bauxitabbauprojekt wird die Gewässer vergiften, die Hügellandschaft zerstören, den Adivasi in der Region ihr traditionelles Leben unmöglich machen und sie zwingen, in die Städte abzuwandern, wo sie als die Ärmsten der Armen, als die am meisten erniedrigte, ausgebeutete, unterdrückte, wehrlose Bevölkerungsschicht enden werden.
Der Widerstand in der Region begann 1993, als das Bergbauprojekt bekannt wurde. Damals hatten sich die Firmen Indal Co., Tata und Norsk Hydro zur Utkal Alumina International Ltd. (UAIL) zusammengeschlossen. Inzwischen ist Indal im Besitz von Hindalco, einem Unternehmen der Birla-Gruppe.
Jahrzehntelang waren Tata und Birla die beiden größten Konzerne in Indien, und auch jetzt noch zählen sie zu den Großen. Norsk Hydro ist, nach Alcoa und Alcan, der drittgrößte Aluminiumhersteller weltweit.
Mit den Jahren wurde der Widerstand immer stärker, und die Zahl der beteiligten Dörfer wuchs
Zum Jahreswechsel 1998/99 war ich zum ersten Mal dort. Es war eine intensive Erfahrung für mich, und ich mochte die Menschen dort. Schon im Augenblick unserer Ankunft spürten wir StädterInnen den Unterschied. Den Unterschied zwischen dem Leben in zivilisierten, gänzlich vom Staat durchdrungenen Dörfern und Städten und dem Leben der Adivasi. Sicher, ihre Lebensweise war durch die Jahrzehnte staatlicher Einmischung, Manipulation und Herrschaft, durch Jahrzehnte staatlicher Plünderung und Zerstörung, durch den gewaltsamen Einbruch des Marktes in ihre Gesellschaft angefressen, und sie wurden in die Bahn des normalen zivilisierten Lebens gedrängt – also in den Kampf ums Überleben, das offene Geheimnis der Zivilisation.
Aber trotz alledem war von der Lebensweise der Adivasi noch etwas erhalten geblieben – in den abgelegenen Dörfern etwas mehr, in Dörfern wie Kuchaipadar, direkt an der die Region durchschneidenden Fahrstraße gelegen, etwas weniger. Und was erhalten geblieben war, war anrührend und schön. Die typische Offenheit dieser Menschen, ihr Wunsch, das, was sie besaßen, mit uns zu teilen, die Wärme und Fürsorge, mit der sie uns umgaben, ihre schönen Tänze und Gesänge, der magische Klang der Trommeln, das fröhliche Stampfen ihrer Füße, die schöne Bewegung ihrer Leiber, die bezaubernde Offenheit, mit der junge Männer und Frauen aufeinander zugehen konnten, all das berührte mich tief in meinem Innern.
Ich war nicht zum ersten Mal in einem Adivasi-Gebiet. Schon früher hatte ich in anderen Gegenden Ähnliches erlebt. Und ich hatte Lieder voll tiefen Schmerzes gehört, die dem Gefühl eines großen Verlustes entsprangen: Die tiefe Verbundenheit mit der Natur, der friedlichen, großzügigen Natur, ist für immer zerstört, und das Leben wird gewaltsam und für immer von außen verändert, gegen den eigenen Wunsch und Willen der Menschen.
Im Dezember 2000 schlossen sich die UreinwohnerInnen und die Dalit-Bevölkerung in Kashipur unter dem Banner der PSSP (Prakrut Sampad Suraksha Parishad, dt.: Vereinigung zum Schutz der natürlichen Ressourcen) zu einer großen Protestaktion zusammen: Um das Bauxitabbauprojekt zu verhindern, sollte die Straße blockiert werden.
Am 15. Dezember 2000 versuchte die Regierungspartei gemeinsam mit anderen politischen Parteien der herrschenden Klasse, im Dorf Maikanch eine Kundgebung zugunsten des Bauxitabbaus zu erzwingen. Es wurden Fahrzeuge bereitgestellt, um die mehrheitlich auswärtigen TeilnehmerInnen in die Ortschaft zu bringen. Die Bevölkerung von Maikanch jedoch wehrte sich entschieden gegen eine solche von außerhalb und gegen ihren Willen inszenierte Veranstaltung in ihrem Dorf und vertrieb die Eindringlinge. Tags darauf kamen bewaffnete Polizeieinheiten und begannen, auf die Menschen zu schießen. Die Männer flohen in die Berge. Die Frauen und einige Jugendliche blieben zurück, protestierten und versuchten, die Polizisten von ihrem Tötungsvorhaben abzubringen. Sie wurden zusammengeschlagen und von der Polizei mit dem Tode bedroht. Die Polizisten feuerten weiter auf die Männer in den Bergen. Drei Ureinwohner wurden getötet, Dutzende erlitten Schussverletzungen.
In den folgenden Tagen ging der Polizeiterror weiter. Aber die Adivasi ließen sich nicht einschüchtern. In der Nacht kamen sie zu Tausenden und versammelten sich auf der Straße. Und so, wie sie es in ihrem zuvor beschlossenen Protestplan festgelegt hatten, blockierten sie die Straße bei Rabkana. Der Versuch, den Widerstand mit massenhafter Repression und Terror zu brechen, hatte eine gebührende Antwort bekommen.
Es dauerte kein Jahr, bis sich Norsk Hydro aus dem Projekt zurückzog.
Vermutlich wurde das Unternehmen von Teilen der norwegischen Kirche unter Druck gesetzt und erkannte, dass der Widerstand in Kashipur trotz der Repression des indischen Staates nicht so leicht zu überwinden war.
Für den Widerstand war dies nur ein kleiner Sieg. Klein deshalb, weil UAIL umstrukturiert wurde. Tata hatte das Projekt bereits 1998 verlassen. Hindalco und Alcan wurden jetzt, nachdem auch Norsk Hydro abgesprungen war, die einzigen Anteilseigner von UAIL.
Die Maschinerie des Todes und der Zerstörung kam nicht zum Stehen
Den meisten Menschen in den Städten ist es egal, was mit den UreinwohnerInnen geschieht.
Viele, insbesondere aus dem Bürgertum, sind sogar aktive UnterstützerInnen der Politik des Todes und der Zerstörung. Die meisten Zeitungen, große wie kleine, spucken Gift und Galle gegen den Widerstand.
Die Journalisten sind von Alcan-Hindalco gekauft und dienen ihren Herren, den Unternehmen, den Parteien der herrschenden Klasse und auch einfach ihrem Eigeninteresse und ihrem Ehrgeiz, ein materiell reiches Leben zu führen – in Wirklichkeit ein völlig leeres Leben.
Die Hunderte von Millionen armer und hungriger Menschen, die ständig um ihr Überleben kämpfen müssen, sind dagegen ohnmächtig. Sie sind kaum in der Lage, aktiv zu werden und in Solidarität mit jenen zu handeln, die sich dem tödlichen Marsch der Industriegesellschaft widersetzen. Wir leben in einer postmodernen Welt: Der Leviathan (1) und seine Technologie vernichten jede andere Lebensform, zerstören uns selbst und die gesamte Umwelt von außen und durchdringen uns zutiefst mit ihrer Gentechnik, Kybernetik und Biotechnologie. Was für eine leere, fruchtlose, vergiftete Existenz.
In irgendeiner Ecke dieser Welt haben UreinwohnerInnen Hunderte von Generationen lang ein freies und friedliches Leben geführt, ohne sich selbst und ihre Umwelt zu zerstören, ein Leben als Teil der Natur. Jetzt kämpfen sie, um das, was von dieser Lebensweise übrig ist, zu verteidigen und zu schützen. Ihre Lebensform ist einem Krieg der Zivilisation ausgesetzt. Schon heute ist sie nur noch ein blasser Widerschein der Vergangenheit, zerbrochen und zerfetzt, geplündert und beschädigt durch die zivilisierten Kräfte und Institutionen des Staates. Und dennoch ist sie immer noch freier, egalitärer und friedlicher als jegliche zivilisierte, staatsförmige Gesellschaft. Ähnliches gilt für die Buschmänner in der afrikanischen Kalahari, die verschiedenen Ethnien Brasiliens, Indiens und anderer Länder.
Seit seiner so genannten Unabhängigkeit ist der indische Staat für die Adivasi-Gemeinschaften Indiens ein Regime der Zerstörung und des Völkermords. Die Politik der Kolonisierung war bereits Teil der indischen Zivilisation, bevor der britische Staat weite Teile Asiens kolonisierte. Jetzt, seit 1947, setzt sich diese Politik als ein beispielloser Marsch des Todes in der Tradition des britischen Kolonialismus fort. Immer wieder jedoch stößt das europäische Projekt, jede Ecke der Welt der Macht des Staates und des Marktes zu unterwerfen und zu kolonisieren, auf den Widerstand der UreinwohnerInnen.
Das gemeinsame Vorgehen der Adivasi-Gemeinschaften und der Dalits gegen das Bauxitabbauprojekt in Kashipur ist Teil dieses fortgesetzten Widerstandes im Zeitalter der Globalisierung von Staat, Kapital und Markt, als deren Werkzeug der Bundesstaat Orissa agiert. Seit dem 1. Dezember 2004 überzieht er Kashipur mit einer massiven Repressions- und Terrorkampagne. 800 oder mehr Paramilitärs sind in der Region stationiert. Am 1. Dezember wurde mit dem Bau einer Kaserne für diese Truppen sowie einer neuen Polizeiwache und einem Gebäude für UAIL begonnen. Über Jahre hinweg hatte der Widerstand verhindert, dass UAIL hier irgendetwas bauen konnte, und auch eine Polizeiwache hatte es bei Kuchaipadar nie gegeben. Jetzt haben sie es dank ihres überwältigenden Terrorapparats geschafft. Alte, Kinder, Jugendliche, die am 1. Dezember Widerstand leisteten, wurden brutal geschlagen, verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Seitdem marschieren die Kräfte des Terrors und des Todes durch das ganze Gebiet. Die Menschen werden terrorisiert und gezwungen, ein Papier zu unterschreiben, mit dem sie ihre Unterstützung für das Bauxitprojekt bekunden.
Wenn Menschen versuchen, sich zu versammeln und über die Situation zu diskutieren, werden sie bedroht, terrorisiert, geschlagen, verhaftet. Dennoch gab es Versuche, den Ausbau der Straße zu behindern, ohne den weder die Monstermaschinen in die Berge gelangen noch das Material zum Bau der Weiterverarbeitungsanlage oder das abgebaute Bauxit transportiert werden können. Der Premierminister des Bundesstaats Orissa erklärte daraufhin gegenüber der Presse, dass man den Kriminellen, die sich der Entwicklung entgegenstellten, eine Lektion erteilen müsse und dass man keinen Widerstand gegen die industrielle Entwicklung dulden werde.
Die Medien, die PolitikerInnen, die Claqueure der Aluminiumindustrie verbreiten die Lüge, die Adivasi-Gemeinschaften würden durch ausländische Unruhestifter aufgehetzt. Angesichts dessen, dass 45 % der UAIL-Anteile dem kanadischen Alcan-Konzern gehören, dem weltweit zweitgrößten, multinational agierenden Aluminiumproduzenten, ist es ebenso paradox wie dreist, dass ausgerechnet diese Kräfte behaupten, der Widerstand der UreinwohnerInnen werde aus dem Ausland finanziert, und eine Kampagne gegen die angeblichen ausländischen Strippenzieher losgetreten haben. Die absurde These, es gäbe eine ausländische Verschwörung gegen die Industrialisierung Indiens, wird von den gebildeten Klassen aufgetischt und aufgeleckt. Sie haben ja selbst ein vitales Interesse am tödlichen Marsch der Industrialisierung.
Die Lage in Kashipur ist inzwischen sehr kritisch
Die kleinen städtischen Solidaritätsgruppen in Orissa und anderen indischen Bundesstaaten, die Berichte diverser Menschenrechtsgruppen, die das Gebiet besucht haben, die moralische Unterstützung einiger Organisationen und Prominenter und die in den vergangenen zwei Jahren aktiv gewordene kanadische Solidaritätskampagne „Alcan’t in India“ (2) haben es nicht geschafft, Alcan und UAIL aus Kashipur zu verjagen und die Herrschaft des Terrors zu stoppen.
Deshalb müssen wir uns hier in Europa organisieren und mit dem Widerstand solidarisieren, bevor der Bauxitabbau beginnt und der Widerstand, und mit ihm eine ganze Lebensform, zerstört wird.
Etwa 100 Kilometer von Kashipur entfernt laufen bereits zwei Bauxitabbauprojekte. Auch sie liegen auf Adivasi-Gebiet. Sie sind in der Hand britischer Unternehmen und marschieren unaufhaltsam voran, nachdem Repression und Terror den Widerstand im Keim erstickt haben. Und sie sind nicht die Einzigen: Viele weitere monströse Industrialisierungsprojekte schaffen sich Raum in Orissa, dem neuen indischen Schmelztiegel der Globalisierung.