Viel ist in den letzten Monaten über das neue nationale Selbstbewusstsein der Deutschen geschrieben worden.
Viele Magazine und Zeitungen haben sich ausgiebig der scheinbaren Problematik gewidmet, der Durchschnittsbürger dieses Landes würde zuviel jammern und solle sich gefälligst mal eine Scheibe vom „selbstverständlich“ propagierten Patriotismus anderer Staaten (hier werden oft Frankreich oder die USA angeführt) und deren Bürger abschneiden. Gerne wird das Bild der Deutschen im Ausland herangezogen. Ob Kultur, Technik oder Landschaft – es gäbe viele Gründe, auf dieses Land ein bisschen stolz zu sein.
Da die kulturschaffende Szene nicht nur ein Spiegelbild der Befindlichkeiten der Menschen eines Landes herzustellen vermag, sondern auch eine Einflussnahme hinsichtlich Akzeptanz bestimmter Denkweisen und Attitüden nicht von der Hand zu weisen ist, lohnt es sich, einen Blick auf das Revival der „Neuen Deutschen Welle“ in der Popmusik zu werfen oder zutreffender: die Ohren zu spitzen.
Rammstein verdienen seit geraumer Zeit mit deutscher Rockmusik ihr Geld. Zwischen dem Phänomen Rammstein und neueren Auswüchsen nationaler Popmusik besteht aber ein Unterschied.
Rammstein benutzen die faschistoide Ästhetik sowie das „Bösewicht“-Bild der Deutschen, welches in den letzten Jahrzehnten immer wieder gerne z.B. in James Bond Filmen zum Einsatz kam, um eben dieses Klischee zum Unterhaltungswert zu machen. Faschismus wurde zur Show und der Herrenmensch zum Freak. Diese bewusste Provokation war immer auch Kalkulation und schlug sich nicht zuletzt in den Verkaufszahlen im In- und Ausland nieder. Rammstein zogen hierbei Leni Riefenstahls Olympiabilder von 1936 oder Bergsteigerromantik heran, um ein altdeutsches Mausoleum zu generieren.
Nimmt man nun den Hip-Hopper Fler, laut NDW 2005 „der erste Deutsche, der richtig Welle schiebt“, genauer in Augenschein, so fällt auf, dass zwar wieder bewusst provoziert wird, jedoch eine neue Herangehensweise gewählt wird. In dem Song „Neue Deutsche Welle“ kommen die Zeilen „Schwarz, rot, gold. Hart und stolz“ wie selbstverständlich über seine Lippen. Mit dem Slogan „Am 1. Mai wird zurückgeschossen!“ wurde das Erscheinen seines Soloalbums beworben. Es handelt sich um die Abwandlung eines Hitlerzitates zum Angriff auf Polen: „Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen.“ Um dem Vorwurf entgegenzutreten, dass seine Texte rechtsradikales Gedankengut beinhalten, verweist der Berliner Rapper gerne auf die Gastauftritte auf seinem Album. Da die dort vertretenen Künstler Migranten seien, wäre der Vorwurf gegenstandslos. Fler behauptet in Interviews immer wieder, er sei kein Nazi. Außerdem wisse er selbst überhaupt nicht, warum man ihm so etwas vorwerfe. Eine gewisse Scheinheiligkeit kann man ihm getrost attestieren. Sicher ist Fler kein rassistischer Schläger, der nichts besseres zu tun hat, als Asylanten zu verkloppen. Ein Nationalist ist er jedoch allemal. Da sich seine Fans überwiegend im Pubertätsalter befinden, geht von seiner Geisteshaltung eine Gefahr aus. Klar gibt es den Fan, der die Texte dieses Rappers als Satire ansieht. Trotzdem ist zu befürchten, dass viele Jugendliche die Texte unreflektiert aufnehmen und als Argumentationshilfe benutzen.
Peter Heppner in Kollaboration mit Paul von Dyk haben mit ihrem Lied „Wir sind wir“ den Versuch gestartet, die Schicksals- und Opfergemeinschaft – welche in diesem Fall natürlich nur das deutsche Volk sein kann – heraufzubeschwören. Inspiriert wurde das Duo laut eigener Aussage von dem Film „Das Wunder von Bern“, der sich mit den Fußball-Helden von 1954 beschäftigt und in das neu gefundene Selbstbewusstsein der Nation passt. Mit Verweisen auf die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges, die Nachkriegszeit und den Wiederaufbau wird in dem Lied geschlussfolgert: „Wir sind wir. Aufgeteilt, besiegt und doch, schließlich gibt es uns ja immer noch. Wir sind wir, und wir werden’s übersteh’n, denn das Leben muss ja weitergeh’n.“ Ganz selbstverständlich wird hier von einer Besiegung Deutschlands und nicht von einer Befreiung gesprochen. Der Fokus ist auf die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges gerichtet: „… wenn ich durch diese Straßen geh‘, seh‘ ich, wie die Ruinen dieser Stadt wieder zu Häusern aufersteh’n. Doch bleiben viele Fenster leer, für viele gab es keine Wiederkehr.“
Damit nicht genug, wird an anderer Stelle das nicht erreichte Kriegsziel bejammert:
„Jetzt ist mal wieder alles anders, und was vorher war, ist heute nicht mehr wert. Jetzt könn‘ wir haben, was wir woll’n, aber wollten wir nicht eigentlich viel mehr.“
Die von den Interpreten suggerierte Anteilnahme am Schicksal der Deutschen kam gut an, die Verkaufszahlen der Single sind beachtlich.
Die Popgruppe Mia. stand in der Vergangenheit wegen ihres „betont unverkrampften“ Verhältnisses zur deutschen Identität wiederholt in der Kritik. Sei es der in Metaphern gepackte Verweis auf die deutschen Nationalfarben in ihrem Skandallied „Was es ist“ oder ihre ausbleibende Stellungnahme zu einem lobenden Artikel in der „Deutschen Stimme“, einer NPD-Zeitschrift, Mia polarisierten. Die Frontfrau Mieze trat bevorzugt in Schwarz-Rot-Gold auf, und auch die Fotos zur Promotion ihres Albums „Stille Post“ wurden bewusst mit diesen Farben bestückt. Als Reaktion auf Boykottaufrufe ruderte die Band zurück – die Sängerin Mieze behauptete nun, die Gruppe sei „definitiv links“. Fortan versuchte Mia, sich als „linke“ Band zu präsentieren, veröffentlichte die Single „Ökostrom“ und stellte einen Song für einen Sampler der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl zur Verfügung (vgl. GWR 298).
Das Bemühen der Popgruppe, sich durch solch ein Engagement von ihrem deutsch-nationalen Image zu distanzieren, hinterlässt trotzdem ein mulmiges Gefühl. Es stellt sich die Frage, ob sich ihr bisheriges Image einfach nicht als verkaufsfördernd herausstellte und es deswegen zum Einlenken der Band kam.
„Wohin das geht, das wollen wir wissen. Und betreten neues deutsches Land… Ich freu mich auf mein Leben. Mache frische Spuren in den weißen Strand“, ein weiteres Zitat aus dem Song „Was es ist“ belegt eine Intention, die auch von Aussagen der Sängerin Mieze untermauert wird.
„Ich seh diese Verbindung zwischen neuer deutscher Welle und uns so nicht. Damals ging es um diese ‚No Future‘-Haltung, aber wir freuen uns auf die Zukunft. Zukunft, juuhu, her damit! Wir wollen mitgestalten!“
Präsentiert wird also eine leistungsbereite, zuversichtliche Haltung, die sich PolitikerInnen bestimmt gerne für die Durchsetzung ihrer neoliberalen Vorhaben wünschen. Gerne werden ambivalente Texte benutzt, damit man sich ein Hintertürchen offen halten kann. So lässt sich „Wir sind wir“ laut Die Welt auch anders deuten, nämlich als ein „Appell an ein wieder vereintes und doch orientierungsloses Deutschland … zu seiner eigenen Stärke zu finden so wie in den kraftvollen Aufbaujahren der Fünfziger“.
Es wird ein eigentlich völkisches, geschichtsrevisionistisches Gedankengut eingemeindet und vermeintlich entschärft. Unterschwellig kommen die rechten Signale trotzdem an. Viele mögen sich nun fragen, warum es explizit für Deutsche ein Problem ist, stolz auf die Nation zu sein.
Um der Frage vorzubeugen, warum ein Franzose nun auf sein Land stolz sein kann, und einem Deutschen dies verwährt bleibt, kann ich nur wie folgt antworten: Einen Franzosen mit der Tricolore oder einen Briten mit dem Union Jack finde ich potentiell ebenso unsympathisch wie einen Deutschen, der sich in die – in den Nationalfarben gehaltenen – Modekreationen der Designerin Eva Grombach hüllt.
Der Nationalsozialismus als Teil der Geschichte dieses Landes ist jedoch nicht wegdenkbar. Einen Schlussstrich zu ziehen und die Aufarbeitung dieser Zeit einfach hinter sich zu lassen, ist respektlos gegenüber den Opfern des Naziregimes und birgt die Gefahr eines (unterschwelligen) Wiedererstarkens nationaler und patriotischer Gefühle.
Seit dem Buch „Der Brand“ ist eine Überbetonung der Opfer auf deutscher Seite nicht mehr zu übersehen. Einer nachträglichen Umdeutung der Geschichte wird hier der Weg geebnet. Außerdem ist es fraglich, was ein Konstrukt wie die Nation dem einzelnen Menschen an Gefühlen vermitteln soll.
Man kann auf sein Kind stolz sein, auf ein gut gemaltes Bild oder auf die soeben geputzte Klobrille.
Aber auf ein Land?
Dann bleib ich doch lieber bei der Klobrille.