anarchismus

„Wir sind gar nicht anarchistisch!“

Ein Interview mit der Kabarettgruppe Der Blarze Schwock

| Interview: Bernd Drücke, Oktober 2005

"'Linke Chaoten' gelten allseits als verbissene Barrikadenkämpfer, die das Schweinesystem hassen und keinen Humor kennen. Münsters Autonome beweisen jedoch Sinn für Witz und Selbstironie. Die linksextreme Kabarett-Gruppe ‚Der Blarze Schwock' aus den Reihen studentischer Demoaktivisten verarscht neben Bullen und Bonzen auch gern den unfreiwilligen Ernst der eigenen Szene. Das kommt an: das Kabarett mit dem schwarz-roten Anarcho-Stern tourt durch besetzte Häuser und autonome Zentren der ganzen Republik." (Ultimo, Uni-Spezial, SoSe 2002)

Eine einmalige Sache hatte es werden sollen, damals, 1997, als das Kabarettensemble Der Blarze Schwock zum ersten Mal in Münster die wacklige Bühne der Baracke betrat. Seither hat sich viel getan: Zwei abendfüllende Programme mit politischem Kabarett sind über die Bühne gegangen - "Fischer, friß' misch net!" (1998) und "Die Muse hat mich gebissen" (2001) - und die Auftrittsorte des Blarzen Schwocks lesen sich inzwischen wie das Ortsverzeichnis einer Landkarte der Bundesrepublik - zumindest wie deren nördlicher und östlicher Teil, denn südlicher als Karlsruhe hat es die Gruppe nie geschafft. Sei es beim Wendlandsommercamp, bei Anti-Atom-Aktionen, beim 30 Jahre Graswurzelrevolution Kongress im Sommer 2002, in frisch besetzten Häusern oder alteingesessenen Kleinkunstkellern, Der Blarze Schwock sorgt landauf, landab für Furore. "Münsters gefährlichster Nebenwiderspruch" (junge Welt), das sind Katrin Huxel (geboren 1976), Daniel Korth (geboren 1969), Torsten "Bewi" Bewernitz (geboren 1975) und der Liedermacher Martin "Baxi" Baxmeyer (geboren 1971).

Das dritte Programm ist gerade in der Mache. Grund genug für ein bisschen Kabarett im Graswurzelrevolution-Redaktionsbüro.

Graswurzelrevolution (GWR): Stellt Euch doch bitte mal vor.

Bewi: Wir sind Der Blarze Schwock.

GWR: Könnt Ihr euch bitte persönlich vorstellen?

Daniel: Ich bin Baxi, studiere Romanistik, schreibe gerade meine Doktorarbeit und spiele die Gitarre.

GWR (zu Baxi): Und hier, der andere mit den vier Augen?

Baxi: Ich bin Der Daniel, ich mag Meerschweinchen, Raufasertapeten und die Bee Gees. Ich grüße meine Mutter in Höxter, seelisch dauernd in Köln, und alle, die mich kennen. Mach du mal weiter.

Bewi: Ja hallo, ich bin Der Katrin. Ich wohne in so ’nem alternativen Wohnprojekt, aber nur halb. Ansonsten bin ich nämlich Schleswig-Holsteinerin, schreibe auch an meiner Doktorarbeit und arbeite hier an der Uni Münster.

GWR (zu Katrin): Ach, dann bist Du bestimmt Bewi?

Katrin: Ich bin Bewi, oder Die Torsten. Ich wohne nicht in Münster, sondern in Mecklenbeck, das ist sozusagen die Hauptstadt von Münster. Und ich schreibe an meiner Doktorarbeit.

Wir sind ziemlich klug. Das merkt man auch an unseren Texten …

Daniel: … und an diesem Interview.

GWR: Wie seid Ihr darauf gekommen, eine anarchistische Kabarettgruppe zu gründen?

Bewi: Wir sind gar nicht anarchistisch! Wer hat denn das gesagt?!

GWR: Das stand doch in der Graswurzelrevolution. (1)

Baxi: Sind wir ’ne Kabarettgruppe?!

Daniel: Man sollte nicht alles glauben, was in der Graswurzelrevolution steht!

Katrin: Eigentlich wollten wir ernsthaftes Theater spielen und dann …

Daniel: Wir sind todernst.

Baxi: Wir haben uns getroffen, um Goethes „Faust“ zu spielen, und dann kam das. Dann haben wir so gelacht beim Lesen, dass wir gedacht haben, wir machen jetzt Kabarett.

Bewi: Wir haben Goethes „Faust“ auch nicht verstanden.

Baxi: … aber verarscht …

Katrin: … und zum Teil gelesen.

Bewi: Also, ich nicht!

Baxi: Du musstest die Nummer ja auch nicht spielen!

GWR: Wann ist der Blarze Schwock gegründet worden?

Baxi: Das weiß keiner mehr so genau.

Bewi (zu Baxi und Daniel): Doch, ihr beide wisst das. Da gab es doch diese Ahaus-Fotos.

Baxi: Ach so, ja. Da kommt der Name „Blarzer Schwock“ her. Da gab es noch kein Kabarett.

Katrin: Was für Ahaus-Fotos?

Bewi: Der Gründungsmythos.

Daniel: Ich erzähle das mal fürs Mikrofon und für Katrin.

Baxi (zu Daniel): Komm Baxi, erzähl mal.

Daniel: Es war einmal an einem Abend im Infoladen Bankrott, da hat ein Freund von uns Cartoons gemalt. Kleine Zeichnungen vom Schwarzen Block, so Männchen. Der „Schwarze Block“ war damals wieder in den Medien von wegen „böse, böse, böse“, wegen Atomkraft und so. Da hat Alex gezeichnet, kleine maskierte Leute mit schwarzen Pappkartons um sich rum. Daraufhin haben wir das nachgestellt für eine Anti-Atom-Aktion in Ahaus. Da sind wir als „Schwarzer Block“ aufgetreten.

Baxi: Umzugskartons haben wir uns angezogen, schön schwarz angemalt. Aber was fehlte – wir hatten halt Sorge, dass man uns nicht sieht – war ein Namensschildchen, sozusagen ein Wegweiser für Demo-Touristen. Da haben wir ein Transparent gemalt. Und ich wusste nicht, was ich draufmalen sollte: „Schwarzer Block“ war mir zu blöde. Also habe ich spontan, krickel-die-krackel, mit so einem dicken Quast draufgeschrieben: „Der Blarze Schwock“.

Das hat dann jemand vom Komitee für Grundrechte und Demokratie fotografiert und uns netterweise später Abzüge der Fotos geschickt, wie wir da böse in unseren Kartons vor diesem dusseligen Transpi stehen. So kam dann der Name in die Welt und auch gleich die erste Nummer. „Hic, haec, hoc – Schwarzer Block!“. Das haben wir gebrüllt auf der Demo …

Daniel: … als Replik auf „hopp, hopp, hopp – Castor stopp!“ Vor jungen Anti-AKW-AktivistInnen …

Baxi: … die waren etwas irritiert.

GWR: Das war im Frühjahr 1998?

Baxi: Das muss 1997 gewesen sein.

Bewi: Der erste Auftritt des Blarzen Schwocks war dann im Rahmen der Veranstaltungsreihe des Infoladen Bankrotts in der Baracke, direkt nach dem Studistreik 1997. Da haben wir zum ersten und zum letzten Mal die Nummer „Die Wahl des Rudi Dutschke 97“ gemacht. Darum kann man sich das merken.

Baxi: Mit Bewi als Moderator.

GWR: Wie ging es dann weiter?

Bewi: Eigentlich sollte es eine einmalige, spaßige Veranstaltung werden. Daraufhin sind wir aber direkt nach Bielefeld eingeladen worden, zu den „Schwarzen Tagen“. Das war unser 2. Auftritt. Und das ist typisch für zweite Auftritte, dass sie immer daneben gehen, weil man glaubt, man kann alles.

Katrin: Das ist wie ’ne zweite Platte. (2)

Baxi: Danke, danke, Blumen bitte hierher.

Bewi: Also, es ist komplett schief gegangen. Wir haben den Text vergessen, sind an den falschen Stellen auf die Bühne gegangen. Aber das Publikum fand es aus irgend einem mir unverständlichen Grunde gut. Und dann kamen die nächsten fünf Anfragen.

Baxi: Meine Lieben, wir wissen ja nicht, was die sonst noch für Veranstaltungen hatten an dem Abend.

(Gelächter)

Bewi: Da war noch was mit „Zwischen Schreibschrift und Straßenbahn“, oder so etwas.

Baxi: Etwas ganz Obskures. Ein älterer Soziologe aus Münster war da eingeladen.

(Gelächter)

Bewi: Jedenfalls dauerte unser Auftritt vielleicht ’ne halbe Stunde und bestand aus fünf Nummern.

Dann haben wir gesagt, entweder müssen wir jetzt ein Programm schreiben, oder wir lassen es ganz bleiben und die armen Bielefelder Anarchisten im Regen stehen. Das wäre auch nicht so schlecht gewesen …

(Gelächter)

… und dann haben wir uns fürs Weitermachen entschieden.

Baxi: Wobei Nummern an den verrücktesten Ecken entstanden. Das war meistens so ein Versuch, das Hirn auszufegen während irgendwelcher politischer Veranstaltungen, oder auch danach.

Den „Strahlengottesdienst“ aus dem ersten Programm haben wir zum Beispiel gemacht, als wir eigentlich auf einem Protestcamp in Ahaus eine Theatergruppe leiten sollten.

Das „Lied vom Stalinisten“ ist entstanden, als Daniel und ich mit dem Auto zu einer „Kuba-Soliveranstaltung“ unterwegs waren. Irgendwie war das nötig, weil wir uns nicht so richtig wohl fühlten dabei. Wir fuhren durch stockfinstere Nacht und fingen plötzlich an zu singen: „Ich bin Stalinist/ ich bin Stalinist/ ich bin noch einer, der im Stehen pisst …“

So kamen langsam, aber sicher die Nummern für das erste abendfüllende Programm zusammen.

Bewi: Es ist auf jeden Fall festzustellen, dass die Gründung des Blarzen Schwocks eng an die Anti-Castor-Bewegung angegliedert ist.

Baxi: Wenn man es so wissenschaftlich sehen will. Ich könnte Ihre These unterstützen, Herr Bewernitz, äh, Herr Katrin.

Daniel: Dann kam Katrin.

Katrin: Genau. Und mit mir die Emanzipation.

Baxi: Mit ihr kam der Inhalt.

Bewi: Vorher haben wir halt Klamauk gemacht, dann kam Katrin.

GWR: Es gibt historische Parallelen zwischen dem Blarzen Schwock und den 3 Tornados. (3)

Bewi: Wer sind Die 3 Tornados?

Baxi: Wir sind Die 4 sanften Windstöße.

GWR: Die 3 Tornados waren eine anarchistische Kabarettgruppe, die in Berlin entstanden ist, auch an der Uni, auch im Zusammenhang mit einem Studistreik. Eine Gruppe, die von 1977 bis 1989 auf Tour war …

Baxi: … und nach acht Jahren einen Kabarettförderpreis bekommen hat.

Bewi: Wenn man mal nachrechnet, sind wir nächstes Jahr auch schon acht Jahre auf Tour, das heißt, wir müssten nächstes Jahr auch einen Kabarettförderpreis bekommen.

Katrin: Einen Kleinkunstpreis.

Baxi: Wenn Volker Pispers schon auf der Bühne für uns Werbung macht.

GWR: Wie bitte?

Baxi: Das muss Die Bewi erzählen. Ich war nicht dabei.

Katrin: Er hat gesagt, man soll sich auch mal Nachwuchskünstler ansehen.

Baxi: Der wohnt in Münster, der kann nur uns gemeint haben.

Katrin: Er hat mich angeguckt, da bin ich sicher. Er hat ganz klar in meine Richtung geguckt. Das war live, und von den 350 Leuten, die da waren, war das ganz klar.

Bewi: Vielleicht liest er ja dieses Interview in dieser Zeitschrift, für die Du schreibst. Wie hieß die noch mal?

GWR: direkte aktion.

Baxi: Neues Deutschland.

Katrin: taz.

Daniel: Hallo Volker!

Bewi: Also, wenn Du für die taz Münster schreibst, dann liest er das ja vielleicht wirklich: Hallo, wir sind kleine Kabarettisten und brauchen Geld!

Baxi: Ich glaube, wir torpedieren dieses Interview ganz schön. Viel Spaß beim Abschreiben!

Bewi: Das muss der Schlusssatz sein.

Baxi: Ich muss jetzt noch was Gebildetes zu unseren Vorläufern sagen: auf die Frage, ob wir an den 3 Tornados kleben. Ich würde sagen, zu unseren Vorläufern gehört eine ganze Reihe von Kabaretts. (4) Die 3 Tornados waren ja nicht das einzige ursprünglich studentische Ensemble. Die Amnestierten waren das erste politische Studentenkabarett, schon in der Nachkriegszeit. Die zogen durch das ganze Land, spielten in den letzten Löchern und kämpften gegen die Wiederbewaffnung. Das hätte schon auf uns gepasst: Wir sind ja auch so blöde und touren durch die Gegend. Die 3 Tornados waren auch nicht das einzige Szenekabarett. Da gab es Karl Napps Chaostheater, das Vorläufige Frankfurter Fronttheater, alle möglichen Gruppen. Ich glaube, der einzige Kabarettist, der momentan auf der Bühne unterwegs ist, auf den wir uns alle einigen können, ist der Volker Pispers. Vor dem ziehen wir alle den Hut. Matthias Beltz als Solist wäre ein anderer gewesen, aber der lebt ja leider nicht mehr.

GWR: Auf Matthias Beltz gab es einen schönen Nachruf in der Graswurzelrevolution. (5)

Baxi: Wo drin?!

Letztlich, wenn du heute Kabarett spielen willst, musst du dir im Grunde die Kollegen alle angucken. Jedes gute Kabarett hat im Laufe der Jahre bestimmte Stilmittel kultiviert, die heute einfach jeder beherrschen muss – und auch beherrscht – der als Kleinkünstler überleben will.

Die Münchner Lach- und Schießgesellschaft hat dieses journalistische Kabarett etabliert. Einer wie Matthias Beltz hat die Szenesprache und die Szenelogik aufs Korn genommen und hat sie gemischt mit Philosophie und Literatur. Der Quast ersetzt auf der Bühne mit Mund und Stimme ein ganzes Tonstudio und ist auch sonst genial. Dietrich Kittner hat wunderschönes, straff marxistisches Kampfkabarett gemacht.

Jedes Kabarett muss auch eine gehörige Schaufel Comedy zur Verfügung haben, um heute nicht unter zu gehen. Es kommt darauf an, wie man sie einsetzt. Jemand wie Volker Pispers beherrscht diese Stilmittel perfekt. So nimmt man alles, rührt es kräftig durch, und wenn man Glück hat, hat man am Ende einen eigenen Stil. Wenn man Pech hat, spielt man eben scheiße.

Katrin: Dann hat man zwar keinen eigenen Stil, aber viel Geld.

Baxi: Scheiße und Erfolg schließen sich nicht aus.

Daniel: Haben wir einen eigenen Stil?

Baxi: Ich weiß nicht, ich glaube, wir werden ihn irgendwann mal haben.

Bewi: Wer stellt hier eigentlich die Fragen?

Katrin: Ich glaube schon, dass wir den haben.

GWR: Auf jeden Fall.

Bewi: Wer gibt hier eigentlich die Antworten?

(Gelächter)

Wir haben also einen eigenen Stil? Wie würdest Du, Bernd, den denn definieren?

GWR: Ich würde ja vermuten, dass es sich beim Blarzen Schwock um die einzige zurzeit aktive anarchistische Kabarettgruppe handelt …

Bewi: Das stimmt nicht.

GWR: … zumindest die einzige, die mir richtig gut gefällt.

Katrin: Wir haben den Begriff „Anarchismus“ ja peinlich vermieden bis jetzt.

Bewi: Wobei wir immer „anarchistisches Kabarett“ hießen.

Katrin: Kabarett muss immer anarchistisch sein?

Bewi: Kabarett muss immer anarchistisch sein. Und ich würde sagen, das Ensemble Blarzer Schwock funktioniert anarchistisch, in dem Sinne basisdemokratisch, alle machen alles, und alle gegen alle, und Gewalt auf und hinter der Bühne, …

Katrin: … viel Chaos, und es funktioniert nichts …

Baxi: … wir kommen nie aus unserem Proberaum raus, den wir nicht bekommen haben …

Katrin: … und wir trinken viel Bier und nehmen alle möglichen anderen Drogen.

GWR (zu Daniel): Gib mir bitte mal ein Bier. Das hält man nüchtern ja gar nicht aus.

Bewi: Wir sind nicht das einzige anarchistische Kabarett.

Auch, wenn wir nicht viel geschafft haben, kann man behaupten, dass wir da ein bisschen was angeschoben haben bei einigen Leuten. Ich weiß, dass es ein anarchistisches Kabarett in Düsseldorf gibt. Ich habe auch schon von anderen lokalen anarchistischen Ensembles gehört.

Der Unterschied: Wir waren vielleicht lange Zeit das einzige anarchistische Tourkabarett.

Baxi: Wir mussten in recht abenteuerlichen Löchern spielen, gelegentlich …

GWR: … sprich, in besetzten Häusern wie der „Uppe“. (6)

Bewi: Die schulden uns immer noch das Honorar.

GWR: Das Haus ist ja auch mittlerweile abgerissen.

Bewi: Ja, und wir finden die Postadresse nicht, wo wir die Mahnung hinschicken würden.

Baxi: Wir schicken sie seit Jahren dahin, aber es kommt nix zurück.

Bewi: In Hamburg, in der Hafenstraße, und auf dem Bauwagenplatz in Frankfurt am Main, das waren die besten Gigs.

In Frankfurt mit Thee Evil Bad, also einer Punkband, was eine großartige Stimmung war auf kleinem Raum mit vielen Leuten. Dieses Gedränge macht einfach immer viel aus. Und wo, Bernd, das ist dann auch wieder ein Anekdötchen für dich, wo ein etwas älterer Genosse heulend rausgegangen ist aus dem Wagen: „Ach, das ist wie damals in den 80er Jahren mit den 3 Tornados„.

Baxi: Wirklich, der heulte. Er hat noch nachgeschoben: „Ich fühl mich 20 Jahre jünger.“

Bewi: Selbst wenn wir uns nicht nur an den 3 Tornados orientieren. Ein bisschen stimmt der Vergleich sicherlich.

Baxi: Wir schmeißen nicht so viel Zeug rum.

GWR: Ich habe Die 3 Tornados 1987 in Berlin gesehen. Da hatten sie ihre beste Zeit leider schon hinter sich. Da muss ich sagen, da waren sie schlechter als Der Blarze Schwock.

Katrin: Uuhh.

Bewi: 1987 war ich 12, und da war ich schlechter als Die 3 Tornados.

GWR: Die 3 Tornados haben super Platten und Programme gemacht. Aber Ihr seid nicht schlechter.

Baxi: Oh doch.

Katrin: Die 3 Tornados konnten singen.

GWR: Die konnten prima grölen.

Bewi: Bei uns kann nur Die Bewi singen.

GWR: Ihr seid kreuz und quer durch die Republik gereist, von Gig zu Gig. Es gibt „heimliche“ Mitschnitte, die in jugendlichen Kreisen Kultstatus haben, …

Bewi: Die Schweine!

GWR: … Raubkopien von Schwock-Auftritten …

Katrin: … da leiden wir sehr drunter! Diese Leute ziehen sich das alles aus dem Internet.

Und die Musikindustrie, oder wie wir, die Kabarettindustrie, die leiden da sehr drunter.

Bewi: Copying Kabarett is killing Kabarett!

Katrin: „Copy kills Kabarett!“, das sind unsere neuen Aufkleber.

Wir werden auch demnächst Personaleinsparungen vornehmen müssen. Das geht auch an uns nicht vorbei.

Baxi: Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Strafmündigkeit für Leute, die sich unsere Sachen heruntergeladen haben, auf mindestens acht Jahre herabgesetzt wird. Irgendjemand muss ja mal Schritte einleiten, und wenn wir das sind, ist das gut so. Möchtest Du was wissen von unseren Vorstellungen über Anarchismus?

Bewi: Ich habe auch diesen Oskar Schily gewählt.

GWR: … es gibt immer noch keine offizielle CD vom Blarzen Schwock.

Baxi: Wenn wir Glück haben, gibt es von unserem 3. Programm irgendwann mal eine schöne Aufnahme.

GWR: Wann gibt es die CD? Wann gibt es das 3. Programm?

Baxi: Es gibt auf jeden Fall die CD zum 3. Programm vor dem 3. Programm.

Bewi: So um den Dreh, … wir nennen das immer gern: „Agenda 2010“. Da sollte das Programm fertig sein. Und unsere Doktorarbeiten auch.

Baxi: Wir gehen auf die Bühne und lesen sie vor. Das wird ein Fetzer.

GWR: Was plant Ihr für die Zukunft?

Baxi: Programm Nr. 3.

GWR: Schön wäre doch, wenn Ihr von der Kabarett-Arbeit leben könntet.

Bewi: Schön wäre auch, wenn die Graswurzelrevolution eine 2 Millionen-Auflage hätte …

GWR: … hat sie doch fast, wenn wir die Auflagen der ersten 302 Ausgaben zusammenzählen …

Bewi: … und nur noch anarchosyndikalistische Texte publizieren würde.

Baxi: Ein Solist kann notfalls noch von Kleinkunst leben, ein Ensemble nicht.

Katrin: Und wenn, dann nur der Chef von uns.

(Gelächter)

GWR: Warum? Die 3 Tornados haben ja auch davon gelebt.

Baxi: Ja, aber die sind mit ihrem schimmeligen Kadett durch die Gegend gefahren.

Bewi: Die waren ja auch nur 3.

Baxi: Die waren nonstop unterwegs und nachher eines der bekanntesten deutschen Kabaretts. So weit muss man es erst einmal bringen.

Bewi: Außerdem hatten die nicht so einen ausschweifenden Lebensstil wie wir.

Baxi: Die hatten einen leichten Shit-Konsum, aber ansonsten brauchten sie nicht so viel.

Daniel: Das würde dann doch in Arbeit ausarten.

Baxi: Vor allem schränkt es deine künstlerischen Möglichkeiten ein. Wenn wir uns jetzt auf größeren Bühnen tummeln würden, wären wir schon eine Stufe über dem, was wir machen können oder mögen.

Von der Qualität her sind wir noch weit entfernt von einem Profiensemble.

Katrin: Und inhaltlich müsste vieles anders werden, weil das, was wir bisher gemacht haben, tatsächlich ein Szenekabarett ist. Und so groß ist die Szene nicht, dass …

Daniel: … sie sich uns leisten kann.

Baxi: Wir hatten da schon öfter drüber nachgedacht. Die Frage ist, ob es tatsächlich schlau gewesen wäre, die Nische, die wir gefüllt haben, eben das Szenekabarett, das gelegentlich in die allgemeine Politik hinüberspazieren kann und einfach alles mischt, tatsächlich zu verlassen. Denn auf einmal musst Du konkurrenzfähig sein mit ganz anderen Gestalten. Das momentane Kleinkunstniveau, von einer Reihe wunderbarer Leute, die da oben arbeiten, explizit abgesehen, ist eigentlich ziemlich mau. Da zu konkurrieren, wenn alle auf blöde Flachwitze, Frauenscherze und „hö hö hö höi, ich steh am Pissbecken“-Lacher stehen, hätte nicht wirklich Spaß gemacht, glaube ich.

Bewi: Andererseits ist es so, dass es da anscheinend eine Lücke gibt …

GWR: Was bedeutet für Euch Kabarett?

Bewi: Kabarett bedeutet Kaba und Red. Ich kann mich daran erinnern, dass ich mal in einem Soziologieseminar saß, es ging um Anarchismus und Medien, oder so ähnlich, und die letzte Sitzung war dann: „Anarchistisches Kabarett“. Da hat dann Der Daniel einen Vortrag gehalten und ein bisschen kabarettistisch den Lehrer gespielt und mich gefragt, was denn Kabarett sei. Daniel hat dann dieses Zitat gebracht: „Kabarett ist Spiel mit dem erworbenen Wissenszusammenhang des Publikums“.

Baxi: Das hat Professor Dr. Jürgen Henningsen 1968 geschrieben. Immer noch eine schöne Definition, wenn man denn eine braucht. Ich finde noch einen anderen Satz schön. Volker Pispers hat einmal gesagt, für ihn sei das Kabarett „kein Kurpark für Unzufriedene“. Das ist ein schöner Ansatzpunkt, um in einer wie auch immer gearteten linken Szene Kabarett zu machen. Denn die möchte manchmal noch viel lieber als die Bürgersleut‘, dass man es ihr gemütlich macht.

Man ist ja schon sooo kritisch! Wenn man da mal reinhakt, eine böse Pointe raushaut, das Publikum provoziert, dann schadet das nichts. Es herrscht ja tatsächlich unter vielen, vielen endemischen Arten dieses merkwürdigen, zahnreichen, wollhaarigen Lebewesens „Szene“ eine gewisse Selbstgefälligkeit, gelegentlich. Das ist ein schönes Betätigungsfeld für Kabarett. Kabarett wird umso besser, je besser man sein Publikum kennt. Deshalb sitzen bei Volker Pispers immer nur Lehrer im Publikum. Oder Theologen.

Aber wenn es eine Regel für politisches Kabarett gibt, dann die: Du sollst es Deinen Gästen nicht gemütlich machen.

Daniel: Für mich war und ist dieses Kabarett auch eine Möglichkeit, auf eine humorvolle Art sich und die linke Szene selbst zu kritisieren. Viele kommen sich doch sehr wichtig und sehr ernst vor. Das ist manchmal echt stressig. Da ist das eine nette Sache, solche Stücke wie „Der Spitzel“ auf die Bühne zu bringen, wo die Leute drüber lachen können, das alles ein bisschen lockerer anzugehen.

Bewi: Durchaus ein Spiegel.

Da fällt mir noch ein Anekdötchen ein. „Der Spitzel“, unsere berühmteste Nummer, leider, denn es ist nicht unsere beste, hat sehr früh sehr viel Ruhm auch über unsere Stadtgrenzen hinaus erlangt. Und es begab sich dann im Dezember 1998, dass ich in Berlin in der Gneisenaustraße im Ex war, einem DER linken Läden überhaupt, dort hineingewandert kam. Und erst mal wurde mir entgegengebrüllt: „Da ist der Spitzel aus Münster!“ Ich wurde kreidebleich, was in Berlin sicherlich angemessen ist. Und ich fragte mich: „Was will die denn?!“

Der zweite Satz war dann: „Ist Bernd auch hier?“ – Das ist der Mensch, der uns da interviewt! Schlagartig wurde mir klar, diese Person hat uns als Kabarett im Oktober 1998 bei Bernds Libertären Doktor Andentagen gesehen und meint den „Spitzel auf der Bühne“.

Katrin: Um dann zusammengeschlagen zu werden.

Bewi: Zum Glück sind diese autonomen Zeiten vorbei, wo jeder und jede erst mal Spitzel war. Das war echt nicht angenehm. (…)

Aber wenn man einmal auf der Bühne drauf gestanden hat, dann will man da auch nicht mehr runter.

Daniel: Deshalb schindet Bewi bei jedem Auftritt auch immer Sekunden.

(1) Vgl. tequila: Anarchismus auf der Bühne. "Münsters gefährlichster Nebenwiderspruch" amüsiert die Linke, in: GWR 251, September 2000, S. 13

(2) Rezension der zweiten Platte: Bernd Drücke: Mal den Teufel an die Wand. Baxi - zwölf neue Lieder für Kopf, Herz und Bauch, Concert for Anarchy, in: GWR 263, November 2001

(3) Zur Geschichte der 3 Tornados: Bernd Drücke: Wie kam die Jungfrau zum Kinde? Die 3 Tornados, Mary, Josef, Jesses und "Das Krippenspiel", in: GWR 274, Dezember 2002, S. 10 f.

(4) Martin Baxmeyer: "Rufen wir dem Adolf Heil/ oder auch das Gegenteil?" Kabarett im Dritten Reich: Werner Finck und die anderen..., in: GWR 267, März 2002

(5) Joseph Steinbeiß: Einwurf von links. Zum Tod des Frankfurter Kabarettisten Matthias Beltz, in: GWR 269, Mai 2002, S. 2

(6) Zur Geschichte der "Uppe" siehe: Niko: 42 Tage gelebte Anarchie. Leute, bleibt heiter, der Häuserkampf geht weiter!, in: GWR 247, März 2000

Kontakt

Blarzer Schwock
c/o Infoladen Bankrott
Dahlweg 64
D-48153 Münster

projekte.free.de/ bankrott/ schwock.html

bankrott@free.de
falling-down@gmx.de

LP: Baxi: "Der Einzelfall", Falling Down Records, Münster 1998

CD: Baxi: "Mal den Teufel an die Wand", Falling Down Records, Münster 2001

4 CD-Box: Die 3 Tornados auf Tour 1977-1988, Trikont-Verlag, München 2000