Eine Bleiberechtsregelung für geduldete Flüchtlinge wird es bis auf weiteres nicht geben. Entgegen positiver Verlautbarungen aus verschiedenen Bundesländern und Parteien im Vorfeld hat sich die Innenministerkonferenz im Dezember 2005 erneut nicht auf eine "Altfallreglung" für langjährig geduldete Menschen einigen können. Zugleich nimmt die Abschiebungspraxis in vielen Bundesländern in den vergangenen Monaten an Schärfe zu: Familientrennungen, Nichtbeachtung von Krankheiten und internationalen Vereinbarungen sind immer häufiger die Regel als die Ausnahme. Doch es regt sich Widerstand - von ungewohnter Seite.
„Sie bildeten ein menschliches Schutzschild, und sie waren erfolgreich damit: Über 300 Schüler und Nachbarn haben in Freudenberg im Kreis Siegen-Wittgenstein die Abschiebung einer Familie in den Kosovo verhindert“, berichtete die NRZ Ende Oktober in ihrer Lokalausgabe. Die erwähnte Familie lebt seit 13 Jahren in Deutschland, die Kinder sind zwischen 14 und 18 Jahren alt und kennen ihr „Herkunftsland“ faktisch nicht.
Der Fall ist zwar besonders dramatisch, und ungewöhnlich groß der Widerstand, aber dennoch gewissermaßen exemplarisch:
Landauf, landab bilden sich gegenwärtig Gruppen, die aus persönlicher Betroffenheit Abschiebungen von MitschülerInnen, KollegInnen, NachbarInnen oder FreundInnen zu verhindern versuchen. Dabei kommen diese Gruppen keineswegs aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen, sondern werden getragen von Elterninitiativen, Kirchengemeinden, Lehrerkollegien, KommunalpolitikerInnen, ÄrztInnen, ArbeitgeberInnen.
Da beschließt der Gemeinderat eines Fleckens im schwarzen Münsterland mit satter christdemokratischer Mehrheit eine Resolution gegen die Abschiebung einer Familie. Da holen BürgerInnen aus der thüringischen Provinz gar eine bereits abgeschobene Familie aus Vietnam zurück (FR vom 13.12.05). Da werden Abschiebungen auf den Lokalseiten verschiedener Provinzblättchen zwischen Berichten über Schützenfest und Adventssingen in Leserbriefschlachten als das bezeichnet, was sie sind: „gottlos“, „schäbig“, „unbarmherzig“. Und die Behörden? Sie sehen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt, verweisen auf den Gesetzgeber und hofften auf eine Altfallregelung der Innenminister, um den steigenden Druck kontrolliert verpuffen lassen zu können.
Diese Notwendigkeit erkannten auch die Innenminister mehrerer Bundesländer im November: Eine Altfallregelung müsse her, um den „wirtschaftlich integrierten“ Flüchtlingen ohne festen Aufenthalt eine Perspektive geben zu können. Im Klartext: Wer nichts kostet, sollte bleiben können, sofern er bereits seit sechs Jahren in Deutschland lebt und seit langem Arbeit hat. Derartige Vorschläge brachten zur Innenministerkonferenz am 8. Dezember in Karlsruhe nicht nur das rosa-rot regierte Berlin ein, sondern auch das konservative Hessen und NRWs liberaler Innenminister Wolf. Letzteres sorgte – am Rande bemerkt – für einigen Ärger in der Düsseldorfer Koalition, in der den CDU-Hardlinern die Vorschläge des Innenministers entschieden zu weit gingen.
Allein: Eine Altfallregelung, von der je nach konkreter Ausgestaltung ohnehin nur ein Bruchteil der rund 200.000 Geduldeten in der Bundesrepublik profitiert hätten, scheiterte am Widerstand Niedersachsens und – man glaubt es kaum: Bayerns. „Mit mir gibt es keine Altfallregelung“, polterte denn auch in gewohnter bayuwarisch-barocker Manier Innenminister Günther Beckstein.
Das Thema soll gleichwohl bei der nächsten Innenministerkonferenz Mitte dieses Jahres erneut auf die Tagesordnung – bis dahin solle erst noch einmal „evaluiert“ werden, ob das Problem überhaupt so gravierend sei, da die so genannten „Kettenduldungen“ doch ohnehin durch das Zuwanderungsgesetz abgeschafft sein sollten.
Hierzu jedoch sagt selbst der SPD-Innenexperte und Architekt des Zuwanderungsgesetzes, Dieter Wiefelspütz: „Da braucht man nichts zu evaluieren, jeder sieht seit langem, dass die Abschaffung der Kettenduldung fast nirgends funktioniert.“ Schuld daran ist vor allem Wiefelspütz‘ Parteifreund und frühere Bundesinnenminister Otto Schily, der in seiner damaligen Funktion derart restriktive Verwaltungshinweise zu den Paragrafen herausgab, dass Wiefelspütz gar die Absicht des Gesetzgebers untergraben sieht. Zur Zeit wird denn auch in der Berliner Koalition an einer zweiten Änderung des Zuwanderungsgesetzes gearbeitet. Ob allerdings der humanitäre Aspekt dabei die Oberhand gewinnen wird, darf wohl bezweifelt werden.
Besondere Brisanz könnte die Thematik im Laufe des neuen Jahres erhalten: In Kürze nämlich findet eine neue Gesprächsrunde zwischen den deutschen Behörden und der UNO-Verwaltung im Kosovo, UNMIK, statt. Dabei werden die Deutschen massiv Druck auf die UNMIK ausüben, endlich Abschiebungen der bisher geschützten ethnischen Minderheit der Roma zu akzeptieren – zigtausende Roma leben zum Großteil seit vielen Jahren in Deutschland mit einer Duldung. Um den Druck auf die bisher eher vorsichtig agierende UNMIK zu erhöhen, beschlossen die Innenminister in Karlsruhe, die Bundesregierung möge prüfen, „inwieweit durch eine Verknüpfung von Rückführungsfragen mit der Vergabe finanzieller und technischer Hilfe auf UNMIK eingewirkt werden kann, damit UNMIK der völkerrechtmäßigen Verpflichtung zur Rücknahme der betreffenden Personen nachkommt“.
Solange UNMIK noch nicht unter Kontrolle gebracht ist, behelfen sich die Bundesländer bei der Abschiebung von Personen in den Kosovo damit, relevante Tatsachen wie psychische Erkrankungen, die Zugehörigkeit zu besonders gefährdeten Personengruppen oder Familientrennungen gegenüber der internationalen Verwaltung der Einfachheit halber zu verschweigen – sonst bestünde die Gefahr, dass einer Abschiebung nicht zugestimmt würde. Nach Untersuchungen des UNHCR werden in etwa 50 Prozent aller Abschiebungen relevante Tatsachen nicht an die UNMIK weitergegeben. Allerdings könnte sich das Problem im Lauf des nächsten Jahres quasi von allein erledigen, da die Aufgaben der UNMIK dann von einem kosovarischen Innenministerium übernommen werden sollen, das vermutlich wesentlich besser mit finanziellen Sanktionen zu disziplinieren sein wird.
Die Auseinandersetzung in Deutschland wird an Schärfe zunehmen. Man sollte bemüht sein, die Chancen, die gegenwärtig in einer breiten UnterstützerInnenszene liegen, zu nutzen, und den Versuch wagen, die Legitimität von Abschiebungen und Abschiebungshaft, die Bedeutung von Flüchtlingsschutz und sozialer Teilhabe auf die Tagesordnung zu setzen.
Eine Altfallregelung für einen Bruchteil der Betroffenen kann da nicht die Lösung sein.