Seit Hurricane Katrina und die rassistische Innenpolitik der US-Bundesregierung Ende August 2005 zur Überflutung großer Teile der Stadt New Orleans führten, tobt ein Kampf darum, wie die Stadt wieder aufgebaut werden soll und wer die Macht hat, darüber zu entscheiden. Soll eine Art Disneyland der Südstaatenromantik auf den Trümmern entstehen, oder haben die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt ein Recht, die Stadt in ihrem Sinne wiederaufzubauen und womöglich sogar Übelständen wie dem wuchernden, rassistischen Jugend-Justizsystem abzuhelfen?
1. Vorderhand sind die Chancen klar verteilt. Ein Großteil der Einwohnerinnen und Einwohner, die im September teils zwangsweise aus New Orleans evakuiert wurden, lebt noch immer in Flüchtlingslagern oder privaten Notunterkünften, die über fast die gesamte Fläche der USA verteilt sind. Subtile Mechanismen sorgen (neben schlichten Verboten) dafür, dass eine soziale Auslese der Rückkehrwilligen betrieben wird. So kann man New Orleans zwar mit dem Flugzeug erreichen, nicht aber mit dem Bus. Staatliche Schulen (die von den ärmeren Schichten besucht werden) öffnen in diesem Schuljahr fast durchgehend nicht mehr, und dasselbe gilt für viele Einrichtungen der öffentlichen Wohlfahrt.
Die Wohngebiete der Armen (und das ist beinahe identisch mit den Wohngebieten der Schwarzen) gehören ohnedies zu den von Überschwemmungen am härtesten getroffenen Vierteln. Aber auch dort, wo die Häuser unversehrt blieben, ist es nicht besser.
Leute, die zur Miete wohnten, finden bei ihrer Rückkehr fremde Menschen in ihrer Wohnung, die die doppelte Miete bezahlen. Die Gerichte in New Orleans haben Spitzenleistungen vollbracht und täglich hunderte und aberhunderte Beschlüsse gefasst, die den Rauswurf von Mieterinnen und Mietern absegneten. Am betreffenden Haus wurde vorher ein Zettel angebracht, der auf den bevorstehenden Gerichtstermin hinwies; aber die Leute waren ja evakuiert, konnten und durften also nicht zu dem Ort kommen, an dem allein sie von ihrem bevorstehenden Rauswurf erfahren hätten. Wochen später finden sie dann ihre Möbel, Kleider usw. an der Straßenecke vereint mit dem unbeschreiblichen Müll und Unrat, den die Überschwemmung hinterlassen hat.
Dieselbe Justiz, die hier so eifrig war, schaffte es nicht, hunderten von Jugendlichen, die kurz vor Katrina wegen Bagatelldelikten (oder kurz darauf wegen „Plünderns“) eingesperrt worden waren, einen Verhandlungstermin zu gewähren, so dass diese wochen- und monatelang in Untersuchungshaft schmoren mussten. Noch heute [14.12.] gilt eine Ausgangssperre ab 2 Uhr nachts, und man hört, dass Leute festgenommen wurden, die um 2 Uhr auf ihrer Veranda saßen.
2. Eine freiwillige Helferin äußerte im Oktober (und bis heute ist es kaum anders), New Orleans bei Nacht sehe aus wie ein Schachbrett: Das touristisch erschlossene French Quarter und die Wohnquartiere der Reichen/Weißen waren längst wieder mit Elektrizität versorgt, die schwarzen Nachbarschaften gleich nebenan nun buchstäblich so schwarz, dass sie nicht mal die Straße vor sich erkennen konnte. Dies verweist darauf, dass der Wiederaufbau von New Orleans tatsächlich im Gange ist.
George W. Bushs medienwirksam lancierte Milliarden haben die üblichen, schon vom Irak her bekannten Aasgeier wie Halliburton angelockt. Diese bringen private „Sicherheitsdienste“ wie „Blackwell Security“ mit („die Jungs, die uns Abu Ghraib beschert haben“, heißt es in den USA). Man spricht bereits von einem „katastrophen-industriellen Komplex“, um dieses jüngste Stadium des räuberischen Kapitalismus zu charakterisieren.
In Zusammenarbeit mit den Eliten der Stadt wollen sie New Orleans rigoros „säubern“, vor allem demographisch: weniger Arme, weniger Schwarze. Diesem Zweck dient das Fernhalten der Evakuierten, bis diese aufgeben und sich auf die Armen-Ghettos der übrigen Südstaaten-Städte verteilen. Ein weiterer Schritt ist die Zerstörung des öffentlichen Wohnungsbaus. Wie der republikanische Kongressabgeordnete Richard Baker es ausdrückt: „Endlich haben wir mit dem öffentlichen Wohnungsbau aufgeräumt. Wir selbst haben es nie schaffen können; nun hat Gott es geschafft.“
3. Aber New Orleans wäre nicht New Orleans, wenn die Machtfrage mit dem Vorstehenden schon beantwortet wäre. Diese Stadt hat eine bemerkenswerte Tradition des Widerstands und der Selbstorganisation, und beides hat sich auch jetzt entwickelt.
Am 7. November wurde die Brücke über den Mississippi in den weißen Vorort Gretna „zurückerobert“. Hier hatten während der Überschwemmung örtliche Polizeikräfte mit Waffengewalt tausende Menschen zurückgejagt, die versuchten, zu Fuß das Katastrophengebiet zu verlassen – aus Sorge um das Eigentum der Evakuierten von Gretna. Dieses Polizeihandeln gilt zu Recht als eine der größten Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit der Tragödie von New Orleans, als mächtigstes Symbol des weißen Rassismus seit den 60er Jahren.
„Nie wieder dürfen Eigentumsrechte die Menschenrechte ausstechen!“, war die Forderung der DemonstrantInnen.
Die Menschen, die sich der Zwangsräumung der Stadt erfolgreich widersetzt haben, bauten von Anfang an Graswurzel-Strukturen der Versorgung, vor allem mit Wasser und Lebensmitteln, auf. Es gibt Telefonketten, die aktiviert werden, sobald jemand von einer bevorstehenden Zwangsräumung Wind bekommt. Am 22. November wurde vor Gericht durchgesetzt, dass MieterInnen von beantragten Zwangsräumungen brieflich informiert werden müssen. Die Katastrophenbehörde FEMA, die über den Verbleib der meisten Evakuierten Unterlagen hat, wurde verpflichtet, diese dafür herauszugeben.
Seit dem 9. Dezember finden verschiedene Demonstrationen und Aktionen statt, um das Recht auf Rückkehr in die Stadt, die Beteiligung der Bevölkerung am Wiederaufbau, aber auch die Fortsetzung der Zahlung der Unterbringungskosten für die Evakuierten durchzusetzen. Auf Konferenzen vernetzen sich die Interessen und Initiativen.
4. Das Leiden und Kämpfen der Menschen von New Orleans haben es nicht verdient, dass die Welt sie vergessen hat. Wir alle verdanken „The Big Easy“ Unermessliches, nicht zuletzt die musikalischen Traditionen von Jazz, Blues und Hip Hop. Gerade das Leben in der „Schüssel“ unterhalb des Wasserspiegels hat die Stadt kulturell so produktiv gemacht.
„Wenn du so nah am Tod lebst“, sagt der schwarze Intellektuelle Cornel West, „hinter den Deichen, dann lebst du intensiver, sexuell, gastronomisch, psychologisch.“
Die Kultur der „community“, der gegenseitigen Hilfe, deren Rückkehr Halliburton und Blackwell jetzt verhindern sollen, gehört ebenfalls zu diesem Phänomen.
Unsere Solidarität mit dem Kampf gegen diese „Säuberer“ kann sich von Deutschland aus am besten in finanzieller Form zeigen.
We owe so much to the people of New Orleans – it’s time to give in return.
Spendenaufruf
Wer den Menschen in New Orleans helfen möchte, wende sich bitte direkt an:
The People's Hurricane Fund
c/o Vanguard Public Foundation
383 Rhode Island St., #301
San Francisco, CA 94103
Spenden können auch überwiesen werden auf das Konto der GWR, Kontonr. 26657-207, BLZ 20010020, Postbank Hamburg, Stichwort "New Orleans". Eingegangene Gelder werden an "The People's Hurricane Fund" weitergeleitet.