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Weiter 4 Jahre Haft für Mehmet Tarhan

Türkei: Militärgericht verwirft Vorschlag der Berufungsinstanz

Sivas/Türkei. Am 15. Dezember 2005 verwarf das Militärgericht die Empfehlung der Berufungsinstanz des Militärs. In der Berufungsentscheidung war dem örtlichen Gericht der Vorschlag unterbereitet worden, prüfen zu lassen, ob Mehmet Tarhan nicht wegen seiner Homosexualität auszumustern sei. Da er sich einer solchen Untersuchung verweigert, war befürchtet worden, dass er durch eine Zwangsuntersuchung erneut misshandelt werden könnte.

Das Militärgericht hielt nun an dem am 10. August 2005 verkündeten Urteil von vier Jahren Haft wegen zweimaligem „Ungehorsam vor versammelter Mannschaft“ fest. Die Verteidigung kündigte an, Berufung einzulegen. Es ist noch offen, wann über die Berufung entschieden wird.

Zum Hintergrund

Mehmet hatte im Jahre 2001 seine Kriegsdienstverweigerung öffentlich erklärt. Der gewaltfreie Anarchist hatte deutlich gemacht, dass er nicht wegen seiner Homosexualität ausgemustert werden möchte, wie dies in der Türkei Praxis ist. Er wollte sich nicht dem entwürdigendem Verfahren unterziehen und sieht dies zudem als einen „faulen Kompromiss“ an. Er besteht auf der Anerkennung seiner Kriegsdienstverweigerung. Die Türkei erkennt das Menschenrecht auf Verweigerung nicht an.

Am 8. April 2005 war Mehmet festgenommen und einberufen worden. Da er jede Zusammenarbeit mit dem Militär verweigert, klagte ihn das Militär wegen „Ungehorsam vor versammelter Mannschaft“ an. Am 9. Juni 2005, dem dritten Prozesstag, wurde er aus der Haft entlassen, jedoch sofort den Militärbehörden überstellt und erneut einberufen. Damit begann eine zweite Runde von Einberufung, Verweigerung, Anklage wegen Befehlsverweigerung und Haft. Zudem war Mehmet im Militärgefängnis in Sivas mehrmals misshandelt worden.

Weltweiter Ruf für Freilassung des türkischen Verweigerers

Mit Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen forderten am 9. Dezember weltweit Gruppen und Organisationen in über zwölf Ländern die Freilassung von Mehmet Tarhan. „Die Türkei muss das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung endlich anerkennen. Das skandalöse Urteil von vier Jahren Haft muss aufgehoben werden“, so GWR-Autor Rudi Friedrich con Connection e.V. in Frankfurt/M. vor ca. 50 KundgebungsteilnehmerInnen. GWR-Autor Christian Axnick von der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Hessen machte darauf aufmerksam, dass Hunderte von Kriegsdienstverweigerern aus der Türkei aufgrund der Repressionen ins Ausland geflohen sind. „Die deutschen Behörden lehnen sie jedoch in den Asylverfahren ab. Hier gilt es, klar von der deutschen Regierung zu fordern, dass Kriegsdienstverweigerer und Deserteure Schutz und Asyl brauchen.“

Zu der in Münster von der Graswurzelrevolution-Redaktion und der DFG-VK veranstalteten Kundgebung kamen ebenfalls 50 TeilnehmerInnen.

„Wir setzen uns für die Freilassung aller weltweit inhaftierten Kriegsdienstverweigerer ein“, betonte GWR-Redakteur Bernd Drücke. „In unzähligen Ländern werden Kriegsdienstverweigerer misshandelt. Zwei Beispiele von vielen: In Südkorea sitzen zur Zeit mehr als 1000 Verweigerer lange Gefängnisstrafen ab. In Eritrea sitzen tausende Gefangene im Militärgefängnis. Folter und sogar Hinrichtungen sind dort ’normal‘. Wir müssen uns für ihre Freilassung einsetzen und hier endlich das Recht auf Asyl für Deserteure und Verweigerer durchsetzen.“ Weitere Redner in Münster waren Volker Maria Hügel (Pro Asyl), Werner Kuhn (DFG) und Spyros Marinos (Ausländerbeirat). Das Presseecho war befriedigend (vgl. www.graswurzel.net).

Aus Anlass des Internationalen Aktionstages wiesen auch 18 Abgeordnete des EU-Parlamentes in einer Erklärung gegenüber der türkischen Regierung darauf hin, dass die Behandlung von Mehmet Tarhan „nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung, das Recht auf Freizügigkeit und das Verbot grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung verletze“. Auch sie forderten „eine unverzügliche Freilassung von Mehmet Tarhan und seine Entlassung aus dem Militärdienst.“