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Deutscher Fußball

... und andere Geschmacklosigkeiten

| Markus Beinhauer

Im Juni beginnt in Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft, und ein Großteil der Bevölkerung fiebert diesem Ereignis, angetrieben durch staatliche Propaganda, in einem beängstigenden nationalen Taumel entgegen.

Das Motto der Fußball-WM lautet: „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Für die Tausenden von Flüchtlingen, die auch während der WM an den Grenzen zurückgeschickt oder aus Deutschland abgeschoben werden, gilt dieses Motto sicher nicht.

Willkommen geheißen werden die Heerscharen von Bierflaschen schwenkenden, nationale Lieder grölenden Fußballfans, die in den Stadien Schiedsrichter oder Spieler der gegnerischen Mannschaft wahlweise als Kanaken, Schwuchteln oder Weicheier beschimpfen werden, um anschließend ins alkoholische Koma zu versinken. In diese Menschen setzt die Bundesregierung ihre Zuversicht zwecks Belebung der Konjunktur. Viel Geld sollen sie hier lassen, z.B. in den Bierhallen oder den Bordellen, die in vielen Austragungsstädten aus dem Boden gestampft werden, wo per modernem Sklavenhandel eingeschleuste Zwangsprostituierte unter katastrophalen Bedingungen die Aggressionen der Freier nach dem verlorenen Spiel ertragen müssen.

So sieht der Ruck, der durch Deutschland gehen soll, den Bundeskanzlerin, Bundespräsident und Arbeitgebervertreter herbeisehnen, dann konkret aus. Die eigenen Bedürfnisse müssen hinten angestellt werden, und das „besitzstandwahrende“ Denken soll einem Standortpatriotismus weichen. Denn „wir“ müssen endlich wieder, ob im Fußball oder wirtschaftlich, die Nr. 1 werden („Europa lechzt nach der Führung“, so EU-Kommissar Günter Verheugen).

In der „Heimat von Zukunftsangst, Skepsis und Pessimismus“ soll es endlich wieder vorangehen; es entsteht ein „Gute-Laune-Land-Deutschland“ (FR, 9.1.2006). Die Bildzeitung hat es auch im Horoskop nachgelesen, dass es aufwärts geht. Dies Land hat nämlich das Sternzeichen Zwilling (Inkrafttreten der Verfassung am 23.5.1949), und da stehen die Sterne gut, auch wenn die Reformen durch Transzendenten von Jupiter und Merkur (oder waren es Venus und Pluto?) etwas gefährdet scheinen. Die Grundstimmung ist positiv.

Was mit „Du bist Deutschland“ begann, seine Fortsetzung in der nächsten Propagandaschlacht „Deutschland – Land der Ideen“ findet, erfährt seinen voraussichtlichen Höhepunkt in der Fußball-WM.

Diese emotional aufgeheizte Gemeinschafts- und Umarmungsstimmung findet ihre Symbolik in der nationalen Flagge und dem mit schwarz-rot-goldenen Flammen der Begeisterung flambierten DFB-Trikot. Die Telekom erkennt das „größte Nationalteam aller Zeiten“. Die neoliberale Rhetorik propagiert eine Eigenverantwortung und freien Wettbewerb: Jeder Verlierer im Konkurrenzkampf trägt selbst die Verantwortung für sein Elend.

Die Fußball-Nationalmannschaft wird hierbei zur Avantgarde einer ganzen Nation. „Hier gibt es kein Ich. Hier gibt es nur Wir“, so Nationaltrainer Klinsmann in einem Kinospot. Der Teamgeist der Millionäre auf dem Rasen soll identisch sein mit einem Teamgeist der bundesdeutschen Gesellschaft. Die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Nation ist aufgehoben.

Der „Fanclub Deutschland 06“ (eine neuerliche Initiative von Bundesregierung und Industrie) startet durch und verkündet: Du bist Weltmeister. Aber ich bin weder Deutschland noch Weltmeister oder gar Papst. Wer ich bin, entscheide ich immer noch selbst.

Und was werden „unsere Jungs“ vollbringen? Es wird wohl kommen, wie es immer kommt. Mit biederer Fußballkost wird sich die Truppe beinharter Kämpfer und technischer Banausen bis ins Finale durchwurschteln. Und wenn es in den Viertel- oder Halbfinalen Probleme geben sollte, kann sich noch Innenminister Schäubles Wunsch erfüllen: Die Bundeswehr wird eingreifen, vielleicht mit einem neuen Bomber der Nation (wie einstmals Gerd Müller).

Eine Rekordjagd kann im Juni eröffnet werden! Wer wird wohl der beste Schütze der WM? Der Generalleutnant der Bundeswehr oder der Kölner Stürmerstar Lukas Podolski? Kann Deutschland die WM mit der bisher höchsten Militärdichte, mit der Militärdiktatur Argentiniens als Gastgeberin 1978, überbieten?

Natürlich könnte Deutschland neben dem WM-Pokal auch noch einen anderen Titel erhalten. Den mit den meisten Toten bei einer Fußballweltmeisterschaft. Die Stiftung Warentest hat gravierende Sicherheitsmängel an mindestens vier Stadien (Berlin, Kaiserslautern, Gelsenkirchen, Leipzig) festgestellt. Das Organisationskomitee um den letzten Monarchen der Republik, Franz Beckenbauer, sieht darin reine Panikmache. Bei einer Massenpanik im Berliner Stadion wären praktisch keine Fluchtwege vorhanden, stellen die VerbraucherInnenschützerInnen fest. Das ficht die Herren Veranstalter nicht an.

Schließlich könnte es noch einen Rekord geben: Noch nie wurden so viele BürgerInnen für ein Sportereignis zwangsweise überprüft. DatenschützerInnen gehen von ca. 250.000 Menschen aus, die beruflich mit der WM zu tun haben, vom Würstchenverkäufer bis zur Ordnerin. Diese sollen routinemäßig von Verfassungsschutz und Polizei auf ihre Vorgeschichte überprüft werden, ohne die Möglichkeit eines Widerspruchs gegen das Untersuchungsergebnis.

Natürlich müssen auch die Fans ihren Teil zum Erfolg beitragen. Außer Kaufen, Saufen und Raufen gilt es noch, ein reizendes „Iro-Accessoire“ zu erwerben (für 9,95 Euro unter www.erwinmueller(!!).de) und dieses in den Nationalfarben daher kommende Punknostalgiehaarteil stolz zur Schau zu tragen.

Der WM-Gewinn von Basel 1954 stand noch für die Überwindung der „nationalen Schmach“ nach dem 2. Weltkrieg und schuf einen Mythos, der auch 50 Jahre später wirkt. Grundsolide und bescheidene Spieler wie Fritz Walter, ausgestattet mit allen nur erdenklichen deutschen Tugenden, ließen die Nation wieder das Haupt erheben. 20 Jahre später versuchten Beckenbauer und Co. mit attraktiven Langhaarfrisuren wie die Südamerikaner, durch ihren erneuten Titelgewinn das scheinbar liberale, sozialdemokratische Deutschland zu präsentieren. Durch attraktiveren Fußball der Holländer und das verlorene Spiel gegen den Klassenfeind DDR ging diese Mission in die Hose. Schließlich gelang 1990, unmittelbar nach der Wiedervereinigung, durch „Spielerpersönlichkeiten“ wie Mathäus der Titelgewinn. Und in der Folge entbrannte ein von vielen nicht für möglich gehaltener Nationalismus, der sich schließlich auch in den Pogromen gegen Fremde wie in Solingen oder Rostock entlud. Was sollte zu erwarten sein, wenn der Weltmeister 2006 wieder Deutschland hieße?

Ob nationales Fußballfieber, die diesjährige Schwulen- und Lesbenparade unter dem Motto „Einigkeit und Recht und Freiheit“ oder Kampagnen, in denen Barmer, ZDF und Bild uns „Fit für Deutschland“ machen wollen: Hier werden in einer modern angestrichenen Masche alle Kräfte mobilisiert für eine uralte Ideologie: alles für Staat und Nation.