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Rascheln im libertären Blätterwald

| Bernd Drücke

Sieht mensch einmal von der Graswurzelrevolution und der anarchosyndikalistischen direkten aktion (www.fau.org) ab, die auch nach 34 bzw. 29 Erscheinungsjahren immer noch quicklebendig sind, dann scheint im libertären Blätterwald zur Zeit ein Blattsterben stattzufinden.

Der Schwarze Faden (www.schwarzerfaden.de), neben da und GWR in den 1980er und 90er Jahren die wichtigste überregionale anarchistische Zeitung in der Bundesrepublik, wurde 2005 nach 77 Ausgaben eingestellt (vgl. GWR 304).

Beerdigt wurde auch das TATblatt aus Wien. Dieses überregionale Gegenmedium erschien ab 1988 zunächst zweiwöchentlich, dann monatlich, bis Sommer 2005 insgesamt 220 mal.

Es war ein etabliertes und wichtiges Sprachrohr primär der autonomen Szene Österreichs, mit deutlich anarchistischen Tendenzen. Der Versuch des TATblatt-Kollektivs, auch Leute außerhalb der linksradikalen Szene zu erreichen, scheiterte.

Nicht zuletzt interne Konflikte und das Schmoren im eigenen Saft führten letztlich wohl zur Resignation der verbliebenen RedakteurInnen. Die lesenswerte Abschiedsnummer reflektiert Gründe für den Niedergang dieses Bewegungsorgans. Sie findet sich auch im TATblatt-Textarchiv im Internet: www.tatblatt.net

Einige Blätter sterben, andere wachsen und gedeihen

In den 80er und 90er Jahren gab es in Deutschland noch eine große Vielfalt vor allem an lokalen, sowie regionalen Anarchoblättern und Flugblattsammlungen. Mittlerweile haben sich viele dieser libertären Printmedien aufgelöst. Relativ wenige wurden neu gegründet, während gleichzeitig das Internet enorm an Bedeutung gewonnen hat.

Viele Periodika, die nicht explizit „anarchistisch“ sind, haben libertäre Tendenzen. So kommen erfreulicherweise zum Beispiel in der überregionalen, seit 1984 als „Monatszeitung für Selbstverwaltung“ erscheinenden Contraste (www.contraste.org) immer wieder auch anarchistische Positionen zum Vorschein. (1)

Das gilt auch für den Wahrschauer, ein Blatt, das anders konzipiert ist als die im Berliner Tageszeitungsformat mit monatlich 16 Seiten und einer Auflage von 3.000 Stück erscheinende Contraste.

Mittlerweile sind 52 Ausgaben des „Magazin(s) für Gegenkultur mit CD“ erschienen. Als das Fanzine 1989 in Berlin gegründet wurde, kam es mit 20 bis 40 DIN-A-4-Seiten Umfang im klassischen Schnibbel-Layout heraus. Heute erscheint der Wahrschauer mit 132, zum Teil vierfarbigen Seiten (plus CD). Die Auflage ist von knapp 2.000 auf 15.000 pro Ausgabe gestiegen. Neben unzähligen CD- und Buchbesprechungen, Konzertberichten und Band-Interviews finden sich viele lesenswerte Artikel, oft aus anarchistischer Perspektive geschrieben.

Auch der Preis von 4 Euro macht dieses vierteljährlich erscheinende Blatt nicht nur für Libertäre, die gerne mal Punk hören, zu einem Muss.

Kontakt: www.wahrschauer.net

Die Grenzen von unten abschaffen will ABB, ein gut gemachter und lesenswerter anarchistischer Kurier aus Osteuropa.

Abolishing The Borders From Below – An Anarchist Courier From Eastern Europe ist ein zweimonatlich in leicht verständlichem Englisch erscheinendes Magazin mit Informationen über verschiedene politische und kulturelle Prozesse und Aktivitäten in Osteuropa.

ABB betrachtet, kommentiert und analysiert aus anarchistischer Perspektive. Das internationale Redaktionskollektiv wurde im August 2001 in Berlin von osteuropäischen MigrantInnen gegründet. Später kamen andere MitstreiterInnen aus aller Welt hinzu. Neben der aktionsorientierten Zeitung produziert die Gruppe auch Radiosendungen, eine libertäre Bibliothek, Solidaritätsaktionen sowie kulturelle und politische Veranstaltungen.

Sie kooperiert mit anderen, vor allem osteuropäischen Kollektiven und unterstützt lokale und globale Kämpfe gegen jede Art von Unterdrückung und für eine freie Gesellschaft.

Die aktuelle ABB Nr. 22 (Dezember 2005/Januar 2006) bringt auf 60 DIN A 4-Seiten zum Beispiel Interviews mit „Food Not Bombs“-AktivistInnen aus Kiew und Warschau, sowie mit einem Unterstützer des in der Türkei zu vier Jahren Haft verurteilten Kriegsdienstverweigerers Mehmet Tarhan.

Thematisiert werden zudem u.a. das G8-Treffen in St. Petersburg, „Anarchismus und Prostitution“, faschistische Überfälle gegen AnarchistInnen in Russland, Litauen und der Ukraine, Antifa transnational, Homophobie und die Situation in Polen nach der Wahl.

Brauchbar ist auch die Auflistung libertärer Kontakte aus allen Ländern des ehemaligen „Ostblocks“. Wer die Vernetzung mit osteuropäischen GenossInnen verstärken möchte, kommt an ABB nicht vorbei.

Kontakt: www.abb.hardcore.lt / E-Mail: abolishingbb_subs@riseup.net

(1) In der Contraste Nr. 253, Oktober 2005, findet sich z.B. auch ein Interview zur Geschichte der Graswurzelrevolution: "300 Ausgaben gelebte Utopie"