anarchismus

Eine „anarchistische Dezentrale“

Anarchismus in Berlin. Ein Interview mit Ralf G. Landmesser

Der Schwarze Faden war eine der besten anarchistischen Zeitschriften in der Bundesrepublik. Im Sommer 2004 kam nach 24 Erscheinungsjahren die letzte Ausgabe heraus: SF Nr. 77. Das nachfolgende Interview sollte ursprünglich im SF Nr. 78 erscheinen. Der ist nie erschienen, da die "Vierteljahresschrift für Lust und Freiheit" im Herbst 2005 beerdigt wurde (vgl. GWR 304). Wir drucken deshalb exklusiv das ursprünglich für den SF geführte Interview mit Ralf G. Landmesser ab (GWR-Red.).

Wolfgang Haug (SF-Red.): Ralf, du hast den ALaden in Berlin von Anfang an mitbegleitet. Kannst du uns etwas zu den augenblicklichen Schwierigkeiten des Ladens erzählen? Sind es rein finanzielle Probleme, steckt ein Rückzug von AktivistInnen dahinter oder ändern sich die Bedürfnisse der Szene?

R@lf: Der A-Laden war ja damals 1987/88 eine Gründung v.a. der AStI (Anarchistische StudentInnen Initiative), der Berliner Projekt-A-Gruppe, einiger FAUler und Freischwebender und in der Anfangsphase später auch RAStlos (Rat Anarchistischer SchülerInnen). Über die Jahre sind viele Personen und Gruppen durch den Laden gewandelt, haben zum Projekt beigetragen oder an seiner Substanz genagt. Spezifisch ist aber geblieben, daß über 18 Jahre kaum jemand geblieben ist – der A-Laden, wie auch Berlin überhaupt, war immer ein Durchgangslager (wie das übrigens bei den meisten anderen Projekten hierzulande und anderswo meist auch zu sein scheint). Daher hat sich eigentlich keine, oder sagen wir: erschreckend wenig gewachsene Substanz eines sozialen Umfeldes bilden können. Es war immer ein schichtweises Improvisieren von einem Jahr auf das nächste (manchmal und besonders heute von Monat zu Monat), ohne daß der „St@b der Aktiven“ wesentlich gewachsen wäre. Immer wieder gab es durch Weggang schwer zu verkraftende Aderlässe. Im Gegensatz zu „unseren speziellen Freunden“, den Burschenschaften, haben sich kaum „alte Herren“ (und Damen) herausgebildet, die, verdienend im Berufsleben stehend, auch noch zu ihren alten Einstellungen stehen und dem A-Laden wenigstens finanziell die Treue hielten.

Das daher ständige Arbeiten „am Anschlag“, kurz vor dem Kollaps, hat auch dazu geführt, daß nicht nur die politische Arbeit grenzwertig im Sinne von Potential war, sondern über die Jahre auch keine solide Basis der Finanzierung eines permanenten Projektes erfolgen konnte. Mit einem personellen Erstarken von Aktiven und nachhaltigem Umfeld wäre die Finanzierung eine relative Angelegenheit: 50-100 fördernde Leute könnten die Kosten eines solchen Projektes wie den A-Laden problemlos alleine schultern. Ist aber nur eine geringe Anzahl finanzschwacher Aktiver vorhanden und von einem bestenfalls lethargisch zu nennenden wabernden Umfeld umgeben, ergibt sich die Doppelbelastung der Geldbeschaffung und bergeweiser politischer Arbeit. Finanzen und personelle Situation hängen somit fatal zusammen.

Gibt es nur wenige Menschen, die bereit sind politische (Schwer)Arbeit zu leisten und zeitgleich von außen noch nicht einmal die mindestmögliche Solidarität in Form von G.E.L.D. kommt, sind wir schon im Dilemma. Denn nicht nur die laufenden Kosten müssen bezahlt werden, sondern auch die Ausgaben für Aktionen (Flugis, Plakate, Bücher, Medien, Transport, Logistik etc. etc.).

Seit der Gründung arbeiten wir oft mit schrottreifer Technik (Druckmaschinen, PC u.a.m.), die durch schwierige Wartung und Reparaturen zusätzlich neue Probleme in Zeit- und Nervenaufwand schaffen und daher anderswo die Power wegnehmen.

Angesichts dieses Hintergrunds sind wir ein Wunder an Effektivität!

Gehen wir auf die ursprüngliche Funktion des A-Ladens ein. Was wollten die BetreiberInnen anfangs mit diesem Projekt erreichen und hat es sich ansatzweise verwirklichen lassen?

Nach jahrelanger Odyssee durch FU-Seminarräume, Kneipen, Jugendzentren und Privatwohnungen waren wir es satt, Schlüsselprobleme, Kneipenlärm und -dunst auszuhalten und keinerlei Raum für Archiv, Bibliothek und logistischen Kram zu haben. Durch den ständigen Wechsel unserer Treffpunkte waren wir zudem schlecht ansprechbar und das wollten wir als propagandistisch aktive Gruppe schließlich sein.

Also sollte eine „Anarchistische Dezentrale“ her, die uns in der Szenesuppe klar ausmachbar machte und die möglichst ständig besetzt und offen war. Zwar verstanden wir uns auch als „Infoladen“, aber mit klar anarchistischen Inhalten und Materialien und explizit nicht als autonomer Gemischtwarenladen mit stalinistischem Sahnehäubchen und sonstigem realsozialistischen Studentenfutter. In unserem Etablissement sollte Anarchismus offensiv und in keiner Weise an Deutlichkeit fehlend propagiert werden. Dogmatisches Material sollte gar keinen Platz im Laden haben, ebensowenig wie seine ProtagonistInnen.

Tatsächlich hat sich dieses Konzept generell über die Jahre bewährt, wenn wir uns auch mehr Zulauf versprochen hatten – letzterer verlief bislang in Konjunkturen. Der A-Laden hatte dadurch ständig soviel eigenes Profil, daß er in gewissen autonomen Kreisen und natürlich auch bei den sog. „Antiimps“ auf Vorbehalte bis Haß stieß. Die absurdeste Behauptung aus dieser Richtung besagte wir seien eine Verfassungsschutzgründung

Ladenintern versuchten wir immer ein Höchstmaß an Toleranz und Nichtarroganz zu pflegen und hielten auch einige widersprüchliche Menschen bis zur Schmerzgrenze aus. Das ersparte uns dogmatische Verhärtung und machte uns auf die Dauer auch ein paar Freunde (wenn vielleicht auch wiederum einige Zartbesaitete geflüchtet sind).

Auch international wurde der A-Laden von den vielen PolittouristInnen Berlins gerne frequentiert – in der „Wende“-Zeit halfen wir trotz unseres eigenen Mangels AnarchistInnen im Osten Europas so gut wir konnten. So wurde der A-Laden auch eine zeitlang eine Ost-West-Schnittstelle. Im Westen war diese Kompetenz allerdings wenig gefragt.

Daneben meinten wir, daß es angesagt sei, dort lokal wirksam zu werden wo mensch ist, und so verstanden wir uns gleichzeitig auch als libertären Nachbarschaftsladen und Soziales Zentrum. Das hieß, daß wir basisdemokratisch orientierten Gruppen die Möglichkeit boten, unsere Räume mitzunutzen. Umgesetzt wurde dies durch ein längeres Gastspiel der Bürgerinitiative Lehrter Straße (unsere Parallelstraße am neuen Hbf.), in der sich auch im lokalen Ladenumfeld ansässige Genossen engagierten. Sicher zehn Jahre gab es eine „A FoodCoop“ in der nicht nur AnarchistInnen ihr Futter selbst organisierten (vor einiger Zeit leider eingegangen). Allerdings muß selbstkritisch gesagt werden, daß die nachbarschaftliche Zielsetzung mangels ausreichender personeller Kapazitäten und vielleicht auch zu szeneartigem Erscheinungsbild und geringer Offensivität in dieser Richtung nur in bescheidenem Maße erreicht wurde. Dennoch sind wir ein kleiner Faktor im Stadtteil, auf den sich einige Leute selbst beziehen, wenn sie selten oder nie bei uns in persona auftauchen. Sogar etwas kontinuierliche finanzielle Unterstützung gibt es aus dieser Richtung.

Wichtig ist in dieser Hinsicht auch noch der Punkt, daß wir damals ganz bewußt nicht nach Kreuzberg gegangen sind, weil wir nicht der Xte Szeneladen im Szeneghetto werden wollten, sondern unseren Ansatz breiter sahen. So landeten wir im als abseitig angesehenen, proletarisch und durch Migration geprägten Moabit (Tiergarten) bei Polizei, Knast und Berliner Mauer. Dabei sind wir nur drei U-Stationen vom bekannten Bahnhof Zoo entfernt. Und jetzt sitzen wir mitten drin in der „Hauptstadt“, gleich am Regierungsviertel und neuen Hauptbahnhof: zeig mal mit dem Finger auf Berlins Mitte und auf dem Plan unter deiner Fingerkuppe findet sich die Rathenower Straße …

Kannst du unseren LeserInnen etwas über die highlights in der Geschichte des A-Ladens erzählen? Zu welchem Zeitpunkt und bei welchen politischen Kampagnen hatte der A-Laden eine politische Bedeutung, die über die Anarchoszene hinauswies?

Highlight der A-Laden-Geschichte waren sicher die zweimaligen, von uns angestoßenen und im wesentlichen durchgeführten „Schwarze(n) Tage“ in der Anfangsphase. Dutzende von Veranstaltungen, verdichtet auf einen kurzen Zeitraum um den 1. Mai, und die damit verbundene publizistische Arbeit (Plakate, Flugis, Terminvorankündigungen) setzten einen unübersehbaren Spot auf anarchistische Inhalte und hoben die vorhandenen A-Locations aus der Anonymität. Flankierend verteilten wir je 15.000 und 20.000 Sonderzeitungen „Maischrei„, die mit großem Interesse genommen und gelesen wurden. Gleichzeitig beteiligten wir uns an der Organisation der „Revolutionären Maidemo„, was von unserer Seite jedoch in den folgenden Jahren wegen des immer mehr verfehlten krawallanten Ritus-Charakters der Veranstaltung eingestellt wurde.

Einige Jahre in der Nachwendezeit organisierten wir zusammen mit dem Initiator „El Locco„, einem vor ein paar Jahren geschlossenen Kreuzberger A-Café, den „Libertären Jahrmarkt“ zwischen Schönhauser Allee und Kollwitzplatz, jeweils über ein Wochenende mit einiger Öffentlichkeitsaufmerksamkeit und buntem Programm.

Es fällt mir schwer, chronologisch zu bleiben, denn 18 Jahre Präsenz in Berlin, einer Stadt in der ständig etwas läuft, an dem ständig GenossInnen aus unserem Umfeld teilnehmen, lassen sich schwer auf ein paar Highlights subsumieren.

Unsere Initiativen gegen den Hauptstadtwahn: den „Hauptwahnhof“ und die „Teergartentunnel“ waren zwar letztendlich nicht erfolgreich, aber das war absehbar. Wichtig war uns der damit einhergehende Bewußtseinsprozeß von Widerständigkeit für als richtig empfundene Anliegen.

Widerständigkeit haben wir auch gefördert, indem wir die Bürgerinitiative FREIe HEIDe gegen das Bombodrom bei Wittstock-Rheinsberg-Neuruppin (BW-Out-of-Area-Trainingsgelände) unterstützten. Mit unserer logistischen und ideellen Hilfe gab es dort (mehrfach) den größten Ostermarsch D-Lands.

Auch unser „klammheimlicher Einfluß“ auf die Nachbarschaft in Moabit mag zu diesem oder jenen vorzeigbaren Resultat geführt haben. Dabei verhalten wir uns durchaus realpolitisch.

Schade ist, daß aus dem starken Engagement von A-Laden-Menschen im „Projekt A“ und im in Berlin selbst anvisierten, verwandten „Projekt B“ keine großen und dauerhaften Projekte libertärer Prägung entstanden sind (bis auf ein paar halbwegs akzeptable „Bewegungsruinen“). Sogar ein spezielles „Projekt O(st)“ gab’s, das letztendlich seine Geburt verschlafen hat.

Lassen wir’s vielleicht hierbei einmal bewenden, wenn ich auch noch auf unser TERMIN@TOR hinweisen möchte: die Auflistung aller uns bekannt werdenden libertären Berlin-Termine im WWW und manchmal nur (mangels Geld) als Printausgabe mit inhaltlichem Artikel und vollständiger Berliner @dressenliste. Dieses Unternehmen basiert auf dem von uns vor einigen Jahren initiierten P.L.E.Bs. (Plenum Libertärer Elemente BerlinS), das aber aus Szeneschlafmützigkeit nicht zu einem echten Plenum geraten will (im Moment versuchen sich daneben Leute an der Gründung einer Anarchistischen Föderation Berlins). Immerhin wurde über P.L.E.B.s als Forum wiederholt das A-Camp organisiert (wie vom A-Laden aus schon ein Vorgängercamp bei Potsdam organisiert wurde).

A-Laden und T. gibt’s im Wwweb unter www.a-laden.org und www.terminator-berlin.tk verlinkt natürlich.

Gab es interne Konflikte, politische Zerwürfnisse, die den A-Laden spalteten oder zum Ausscheiden größerer Gruppen führten? Wenn ja, an welchen Themen haben sich diese Konflikte entzündet und wie liefen sie ab?

Regelrechte Spaltungen gab es nicht. Wir bemühen uns im A-Laden um eine Atmosphäre der Toleranz. Eher gab es ein Abwandern von Personen und Gruppen. Einige RAStlos-Leute haben sich z.B. an der Gründung des libertär gelagerten Infoladens OMEGA (elektrisch: Widerstand) im benachbarten Wedding beteiligt und gingen dem A-Laden damit verloren. Allerdings haben sie über etliche Jahre dort eine gute Arbeit gemacht und sogar ein libertäres Kneipenkollektiv mitgegründet. Die Kneipe, OMEGA und dessen pionierhafte Wwweb-Existenz sind nun auch schon länger Geschichte.

Die FAU hat den A-Laden nach Jahren verlassen, weil sie mit einem eigenen „Büro“ mehr eigenes Profil zeigen wollte. Die Zusammenarbeit geht allerdings weiter, da einige A-Laden-Leute gleichzeitig FAU-Mitglieder sind.

Diverse GRASWURZEL-Gruppen hatten den A-Laden als Domizil, sind aber immer wieder eingegangen, genauso wie ein paar libertäre Friedensgruppen.

Eine rätekommunistische Gruppe fühlte sich letztendlich bei uns nicht mehr zu Hause und ging ihrer Wege. Schade eigentlich, obwohl, anstrengend war’s mit denen teils schon. Gerade haben uns die B.O.N.E.s verlassen, weil sie einen für sie bequemeren Treffpunkt suchten – jetzt in der OUBS.

Der einige Zeit im A-Laden angesiedelte Vegan-Laden heterogener Zusammensetzung (As und Nicht-As) machte sich 2002 in Kreuzberg kommerziell selbstständig und ging uns inhaltlich und als MieterIn verloren (seither großes Kassenloch!).

SchülerInnen kamen und gingen (auseinander), wie nach ihrem Abi die AschuKis (Anarchistische Schulkinder) und deren Vorläufer „Kadimadi„, die einige Jahre bei uns im Laden waren. Jetzt sind se Studies sonstwo oder machen Lehre. Der natürliche Lauf von „Schüli“-Gruppen …

Sprengstoff brachte vor vielen Jahren eine bundesweit wahrgenommene Spitzelaffaire in den A-Laden, die wir aber souverän überstanden, weil wir uns von so was nicht irre machen lassen (Wo käm´wa hin?!). Hier ist Ruhe die erste revolutionäre Pflicht. Aber von außen versuchte mensch uns deswegen nachhaltig zu schaden.

Dies auch, als ein ziemlich wirrer Mensch, der sich jahrelang mehr oder weniger unauffällig in der Berliner A-Szene bewegte, zeitweilig im Mahler-Umfeld zu finden war (er flog konsequenterweise bei uns nach offener Klärung und Erklärung raus und hat sich mittlerweile von seinen Rechtsausflügen distanziert, ohne wieder bei uns aufgenommen zu werden.)

Attacken gab es auch von vorgeblichen AntiFas, die den A-Laden als nationalistische Brutstätte ausgemacht zu haben glaubten und mit Anschlägen drohten. Sprengstoffdrohungen von Nazi-Seite der sog. Anti-AntiFa, die in uns ein antifaschistisches Nest sehen, konkurrierten damit. Klar, sind wir ja auch – von der Beteiligung an AntiFa-Fahrwachen über das „harbouring“ des Antifaschistische(n) Infotelefon(s) u.a.m. haben wir einiges auf dem „Kerbholz“. Nazis verpißt euch – keiner vermißt euch!

Wo siehst du heute die Bedeutung des A-Ladens, oder anders gefragt, warum muss der A-Laden unbedingt gerettet werden?

Der A-Laden hat genau die Bedeutung, die die in ihm aktiven Leute ihm geben. Ansonsten ist er ein leeres Gehäuse, durch das die Geschichte geistert und nicht der Geist der Freiheit.

Seit geraumer Zeit haben wir in Berlin sozusagen jeden Monat „Schwarze Tage“, denn es gab noch nie, so weit ich das seit 1980 erinnere, eine solche Dichte an explizit libertären Veranstaltungen in dieser Stadt. Hieran ist der A-Laden nicht ganz „unschuldig“.

Seit 18 Jahren ist er ein „international“ bekanntes Markenzeichen und gelegentlich Anlaufpunkt von Menschen aus aller Welt. So weit wir das ökonomisch können, halten wir auch entsprechende Literatur und Medien vorrätig. Der A-Laden ist die „Ständige Vertretung“ der Anarchie gegenüber der großmächtelnden Staatlichkeit.

Für einige Leute im Kiez ist der A-Laden in seiner einfachen Existenz ein psychologisches Rückgrat.

Neben der „Bibliothek der Freien“ mit ihrem halben untergemieteten Raum im „Haus der Demokratie„, dem FAU-Büro in Prenzlberg (das sich in Teilen dem Vernehmen nach eher syndikalistisch als anarchistisch versteht), und dem A-Café in der Køpi ist der A-Laden der einzige noch explizit anarchistische Raum in der größten Stadt D-Landsspannendsten. Viele Projekte Berlins sympathisieren zwar mit anarchistischen Ideen, vertreten sie aber nur unter anderem. In einer Stadt mit mehreren Millionen Menschen ist ein Projekt wie der A-Laden daher geradezu unverzichtbar.

Der A-Laden muß in seiner Substanz gestärkt werden, indem die finanziellen Sorgen möglichst beseitigt, mindestens aber stark relativiert werden und damit zweitens die wenigen überlasteten Menschen sich mehr darum kümmern können, mehr aktive GenossInnen durch verstärkte anarchistische Propaganda zu gewinnen. Wir alle zusammen wollen die libertären Ideen relevant voranbringen und zeitgemäße Lösungen, auf die alle Welt wartet, finden helfen und propagieren. Das kann aber nur gelingen, wenn Einsicht Platz greift, daß ein solches Projekt und die in ihm aktiven Menschen mehr Unterstützung in materieller Form und in erster Person bedürfen und verdienen.

Persönlich hast du dich ja auch in ganz anderen Projekten bis an deine gesundheitlichen Grenzen verausgabt, sei es der Schwarzrote-(Kain)-KALENDA, der Schwarzrotbuch Verlag, anarchistische Organisationsansätze oder auch die e-mail-anarchonews Verteilerarbeit unter [LPA]: Libertarian Press Agency – hingen diese Projekte mit dem A-Laden zusammen oder „nur“ mit deiner Person?

Der schwarzrote KALENDA war eigentlich als kollektives Projekt angelegt. In jeder Ausgabe stand ein Aufruf hierzu und ich sah mich „nur“ als Koordinator der Beiträge. Leider ist dieses Konzept in den 18 Jahren seines Erscheinens (bis 2000) kaum aufgegangen. Als „kleinstes Kollektiv“ der Republik habe ich den Löwenanteil der Arbeit alleine tun müssen. Das schafft auch einen Herkules auf die Dauer. Dennoch haben in diesen fast zwei Jahrzehnten immer einige wenige Getreue mitgeholfen, manche punktuell, manche über Jahre hin. Ein paar davon kamen auch ab 1988 aus dem A-Laden wie z.B. Sylvester Kaben, der zusammen mit Raissa 1997/98, als ich meine Bypass-OP hatte, sogar einen ganzen KALENDA unter meiner Restmitwirkung weitgehend gestaltet hat.

Die anarchistischen Organisationsansätze wie z.B. PulverFASS (Föderation Anarchistischer SchülerInnen und StudentInnen), Projekt B, AKo Berlin (Anarchistische Koordination), PLEBs und andere mehr sind immer kollektiv aus dem A-Laden getragen worden. Sicher habe ich das eine oder andere inspiriert, aber Einzeltrips wären genauso unsinnig wie unmöglich gewesen.

Was LPA betrifft träume ich noch immer von einer tatsächlich funktionierenden Kollektivität, die zu einer wirklichen und notwendigen anarchistischen Presseagentur plus Medienzentrum führt (schließlich bin ich ja aufgrund lebenslanger publizistischer Arbeit und Unistudium „vom Fach“). Zwar gibt es von wenigen Menschen u.a. aus dem A-Laden eine gewisse Zuarbeit, aber wenn ich bei meiner „Vorarbeit“, die durchaus Erfolge aufzuweisen hat, zurückblicke, blicke ich zumeist auf leere Ränge, die leeren Versprechungen folgten. Dabei wäre ein anarchistisches Medienzentrum, das ich mir durchaus im A-Laden angesiedelt vorstellen könnte, eine brennende Notwendigkeit im (Mis)Informationszeitalter.

Wie wählst du aus, was als Anarcho-news in LPA weiterverbreitet wird und wie stark ist dieser Multiplikator, wie viele eMail-Adressen erreichst du damit?

Übermittelst du alle Nachrichten, die dir angeboten werden oder wählst du aus? Und wenn letzteres, nach welchen Kriterien wählst du aus?

Journalistische Sorgfalt ist für mich erstes Gebot. Zunächst prüfe ich die Informationen auf Plausibilität und Quelle. Notfalls recherchiere ich nach. Dann erfolgen Überlegungen betreffs Wichtigkeit und Zielgruppen. Manche Nachrichten bedürfen der zusätzlichen Kommentierung oder leider auch oft genug der Redigierung auf Rechtschreib- und Übersetzungsfehler sowie Layout. Zunehmend viel Arbeit machen falsche Formate, die erst zur Weiterversendung umformatiert werden müssen, teils in mühsamster Hand- und Kopfarbeit (ich hasse unnötig versandten HTML-Scheiß und bescheuerte Datei-Anhänge, die besser erst bei wirklichem Bedarf aus dem www heruntergeladen würden!).

Keine Nachricht geht ungeprüft raus.

Ausgewertet werden mehrere mailing-lists auf die LPA abboniert ist, sowie news die privat oder organisiert direkt an LPA geschickt werden.

In besonderen Fällen verbreitet LPA eigene Artikel (von mir selbst oder freien MitarbeiterInnen). Zunehmend schreiben wir auch Rezensionen. Ab und zu, soweit dazu die Zeit reicht, gibt es Tips z.B. betr. Radio- oder Fernsehsendungen von libertärem Interesse.

Durch totale Überarbeitung kann auch schonmal was unter den Tisch fallen, aus den Augen geraten, was eigentlich versandt werden sollte.

Die Technik (Hard- und Software) ist unzureichend und muß dringend optimiert werden. Das kostet aber zusätzlich Zeit, Geld und Arbeit und liegt daher immer auf der langen Bank.

Spam und (z.T. anscheinend gezielter) Virenbeschuß von LPA verursachen unnötigen Zeitaufwand der auf Kosten der news geht.

Eine genaue Reichweite von LPA kann ich nicht angeben, da es neben den privaten Verteilern und den Verteilern an A-Medien (auch websites) auch Spezialverteiler sowie Verteiler an Linke Medien und bürgerliche Mainstreammedien gibt. Hinzu kommt der globale Bereich. Aus sporadischen Einblicken heraus ist die potentielle RezipientInnenschaft (mögliche EmpfängerInnen/LeserInnen) mit vermutlichen mehr als 100.000 anzugeben, möglicherweise aber sogar höher. Alleine die Websites anarchie.de und a-infos.ca haben ja zehntausende BesucherInnen und hunderttausende Zugriffeim Monat. Wieviele dann wirklich etwas lesen bleibt Spekulation. Das Feedback ist dünn. Durch das Internet ist jedenfalls die Reichweite libertärer Inhalte exponentiell gewachsen, was sich u.a. darin ausdrückt, daß mittlerweile in Ländern in denen bisher keine nachweislichen anarchistischen Aktivitäten festzustellen waren, neue anarchistische Bewegungen existieren oder offenbar im (Wieder)Entstehen begriffen sind.

Zurück nach Berlin. Kannst du eine Einschätzung der Anarcho-Szene in Berlin geben? Jahrelang sind bundesweit Anarchas und Anarchos nach Berlin umgezogen, sei es wegen der Wehrdienstverweigerung, den Häuserkämpfen, der Rolle von Kreuzberg, sei es wegen kulturellen und selbstorganisierten Projekten, sei es wegen einer guten Infrastruktur der Szene zu der Stadtteilarbeit, Knastarbeit genauso gehörte wie die Nähe zu den Autonomen, z.B. über die Radikal oder die Interim. Wie sieht das heute aus? Wie stark ist die ASzene noch in Berlin?

In den 80er Jahren war ich mir sicher, daß es in Berlin Tausende libertär inspirierter Menschen gab, die sich im engeren Sinn als AnarchistInnen sahen. Das war schon an den Verkaufszahlen des KALENDA sichtbar: alleine die Buchläden „Schwarze Risse„, „O21“ und der Infoladen „M99“ verkauften zeitweilig jeweils (!) 500 KALENDAs und mehr. Und das waren, neben HandverkäuferInnen, nicht die einzigen Verkaufsstellen in der Stadt. Natürlich waren die KäuferInnen nicht alle AnarchistInnen, aber zumindest irgendwie Sympathisierende.

Mitte der 90er Jahre begann ich darüber zu sinnieren, wie viele Leute sich wohl jetzt noch, in einer Phase des allgemeinen linken Niedergangs, hier zu den AnarchistInnen zählen mochten. Der Umgang damit war auch meist weniger plakativ. Und da wo er plakativ war, fragte man sich, wieviel Substanz da letztendlich noch hinter stecken mochte. Die Verkaufszahlen für den KALENDA gingen jedenfalls tief in den Keller, auch wegen fremdverschuldeter und dann ab 1995 krankheitsbedingter Produktionsverspätungen. Der A-Laden dümpelte ebenfalls vor sich hin.

Heute haben wir eine erfreulich aktive A-Szene in Berlin mit mehreren Projekten, sympathisierenden Infoläden und Jugendzentren und Asten (AStA TU machte sogar wiederholt einen libertär tendierenden Studie-Kalender) und dreimal das größte A-Fest der Republik, das sehr lebendige und farbige Erich-Mühsam-Fest, das 2004 in Friedrichshain im Szene-Hype „RAW-Tempel“ (ReichsbahnAusbesserungsWerk) gleich drei volle Tage lange statt(!)fand. Trotz wirklich sehenswerter Acts wurde es leider nicht angemessen beachtet (2005 fand es nicht statt, 2006 fraglich). Daß zu solch einem großen Fest eine lebendige libertäre Kulturszene gehören muß, versteht sich von selbst. Schon lange habe ich nicht mehr so viele unter 20jährige mit A-Insignien herumlaufen sehen wie z.B. auf dem jährlich stattfindenden „Kulturschock Hellersdorf“ einem großen linksradikalen Fest im tiefsten Osten Berlins, dort wo er mit am braunsten ist.

Nun kann mensch sich fragen, wie aussagekräftig irgendwelche A-Logos auf Punkerjacken oder sonstigen Klamotten sind, zumal die dementsprechende Industrie das A im Kreis zunehmend zur Vermarktung entdeckt. Ist das wiedermal ein Logo das aufgetragen wird bis zum nächsten Hype? Möglich. Aber: zumindest ein paar dieser jungen Leute kaufen neben dem Bier von der Abfülltheke auch anarchistische Infos und Bücher an unserem Stand. Das läßt hoffen. Zudem haben wir von eben solchen jungen Leuten ständig Anfragen für anarchistische Vorträge (siehe demnächst auch die im Aufbau befindliche ReferentInnen-Liste auf dem bevorstehenden relaunch der A-Laden site!).

Ideen haben wir weitaus mehr als wir Mittel und Leute haben und umsetzen können. Es ist hohe Zeit für mehr Hilfe und mehr Hände!

Und zurück zum A-Laden. Welche Schritte kannst du vorschlagen, um den A-Laden zu retten? Welche konkreten Überlegungen gibt es? Was kann und was sollte seine Funktion in den nächsten Jahren sein? Gibt es neue Pläne?

Die neuen Pläne sind die alten. Modernisiert. Mehr Medienarbeit, mehr Vorträge, mehr Präsenz in der Gesellschaft. Schaffung eines gemeinsamen sozialen Umfeldes, eines libertären Lebensraumes. Vielleicht ein Umzug in besser geeignete Räumlichkeiten (Kraftakt!), die Mieten sind grad günstig. Der A-Laden in der Metropolis als inspirierendes Sprachrohr der Anarchie, als Keim für Besseres. Der A-Laden als Treffpunkt, als Forum, als VermittlerIn und AnsprechpartnerIn, als Infopool und etwas auch als Kommunewohnzimmer.

Das A und O ist die Entsorgung des ständigen Finanzdesasters. Wir brauchen definitiv jeden Monat 500 EUroh für die (dauer)laufenden Kosten des A-Ladens als da sind: Miete, Strom, Gas, Versicherungen, Telefon/www, Verbrauchsmaterial. Das ist aber nur der Sockel.

Wollen wir sinnvolle politische Arbeit machen, den A-Laden optisch attraktiver machen, indem wir ihn besser ausstatten und renovieren, wollen wir mit besserer Technik die Arbeitseffektivität erhöhen und auch damit Leuten einen Anreiz bieten einzusteigen, dann brauchen wir einige hundert EUroh zusätzlich jeden Monat.

Unbedingt müßten mehr Propagandamaterialien wie Flugis, Plakate und Broschüren sowie CDs/DVDs hergestellt werden um damit offensiv nach außen wirken und Leuten notwendige Materialien an die Hand geben zu können. Denn Anarchismus ist immer noch ein blinder Fleck im Wissen der allermeisten Menschen.

Die einfachste Form der Unterstützung, die jedeR in verschieden großem Maße leisten kann, ist G.E.L.D.. Selbst wenn genügend Mittel vorhanden sind, arbeiten wir im A-Laden uns alle halb tot. Aber mit ausreichenden Mitteln kann vieles kompensiert werden.

Beispiel: Da wir unsere schrottreifen Druckmaschinen verschrotten mußten, haben wir schon lange keine eigene Druckerei mehr. Wollen wir etwas drucken, fehlt Geld. Die billigste Möglichkeit in Berlin weißes Papier partiell einzuschwärzen ist eine Bewegungsdruckerei, in der mensch mithelfen muß, um Geld zu sparen. Drucken wir beispielsweise ein TERMIN@TOR, müssen bis zu vier Leute mithelfen, die ohnehin schon bis über die Ohren beschäftigt sind. Wunderbar wäre es, einfach in eine preisgünstige Druckerei zu gehen und den Auftrag zu erteilen. Dann bliebe Zeit und Power für andere, vielleicht wichtigere Dinge übrig (oder ein wenig Erholung).

Schließlich und endlich sollen Menschen, die sich für AnarchistInnen halten, auch die nötigen Schritte unternehmen, die ihrem ungeheuren weltrevolutionären Anspruch entsprechen: sich engagieren. Sonst ist alles Blabla und Wichtigtuerei, Attitüde und geredetes Blech.

Viele haben tatsächlich so viel um die Ohren, daß sie keine Kapazität mehr übrig haben. Gut. Für die gilt Punkt 1: G.E.L.D. – macht uns die Arbeit einfacher! Oder besser: überhaupt möglich.

Alle anderen sind gefordert selbst Hand anzulegen und mit uns zusammen den Kopf anzustrengen, wie es, gerade jetzt wo auch andere Projekte schwächeln, weitergeht und ein reales Stück anarchistischer Lebenswelt nachhaltig errichtet werden kann. VOR: DER? REVOLUTION! Das ist nämlich revolutionär.

Früher haben uns die Pfaffen auf den Himmel und das Paradies (wenn wir brav und gehorsam waren!) vertröstet. „You´ll get pie in the sky when you die …

Aber es geht nach wie vor darum, wie schon Heinrich Heine sagte, das Himmelreich auf Erden zu errichten, und sei es nur ein Stückchen davon in einer „Temporären Autonomen Zone“. JedeR hat Anspruch auf ein Stück persönliches Glück. Und wäre es nicht ein Glück, wenn wir es schafften, uns ein wenig Raum für gel(i)ebte Anarchie zu erobern?! Her mit dem Kuchen! Machen wir uns Appetit auf mehr und stärken uns daran und dann holen wir uns DIE GANZE BÄCKEREI !

Anmerkungen

Dies ist die ungekürzte Fassung des Interviews, das in zwei Teilen in GWR 307/308 erschien.

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