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„Gouvernement au Karscher!“

Kommentar zur sozialen Massenbewegung in Frankreich

| Thomas S. Eiselberg

Erinnern Sie sich an die "couragierte" Rede des französischen Außenministers de Villepin vor der UN, als er gegen die Kriegsabsichten der USA im Irak Stellung bezog und Beifall im Sicherheitsrat bekam?

Er wurde zum Symbol des „Friedenswillens“ vom Kriegskurs abweichender europäischer Länder. Dass dieser „Friedenswille“ nur von nationalen Interessen bestimmt war, und dass wirklicher Friede auf sozialer Gerechtigkeit basiert, das muss der inzwischen zum französischen Premier aufgestiegene de Villepin nun im Schnellkurs lernen.

So hat er, getrieben durch die Aufstände in den Banlieues vom vorigen November, am 18.1.2006 ein Gesetz über Arbeitsverträge für Erstbeschäftigte (CPE) durchs Parlament gepeitscht, ohne gesellschaftliche Diskussion, ohne Gespräche mit Gewerkschaften oder Jugendverbänden. Das Gesetz verfügt, dass alle Unter-26-Jährigen bei ihrem ersten Arbeitsvertrag binnen zwei Jahren ohne Angabe von Gründen entlassen werden können. Vor allem aber entmündigt es die Jugendlichen, die mit solch einem Arbeitsvertrag keine eigene Wohnung oder Kredite mehr bekommen, weil Vermieter und Banken in Frankreich niemandem etwas zugestehen, der bereits morgen ohne Einkommen dastehen kann.

Doch die französische Gesellschaft lässt sich das längst nicht mehr bieten. Seit Anfang Februar wurden die Universitäten bestreikt, gegen Ende März waren es bereits 64 von 88 Universitäten Frankreichs. Fünft Tage, bis zur Räumung durch die Bundespolizei CRS am 10.3., wurde die symbolträchtige Universität Sorbonne, mitten in Paris, besetzt, das erste Mal seit 1968. Das Gros der StudentInnen einigte sich auf gewaltfreie Kampfformen, so dass die Solidarität sich nach der brutalen Räumung ausbreitete.

Frankreichweite Aktionstage, etwa am 14., 16. und 18. März, brachten Millionen Menschen auf die Straße. Allein am Samstag, den 18. März, demonstrierten 350000 Menschen in Paris. Am Ende löste die CRS an der „Place de la Nation“ die Demonstration durch Schlagstockeinsätze auf, wodurch Cyril Ferez, ein gewaltlos Protestierender, Mitglied der Basisgewerkschaft SUD, ins Koma stürzte und seither in Lebensgefahr schwebt.

Zuvor waren die Studierenden vor die Gymnasien gezogen und hatten die SchülerInnen aufgefordert, sich der Bewegung anzuschließen – mit Erfolg: in der Pariser Vorstadtregion Seine-Saint-Denis etwa sind 25 von 64 Gymnasien im Ausstand und die Jugendlichen dort gehen wieder ihrer üblichen Freizeitbeschäftigung vom November nach. Mitunter kommt es zum Zusammenprall unterschiedlicher Protestkulturen; Jugendliche aus den Banlieues klauen ihren MitdemonstrantInnen Handys oder entwickeln ziellose Militanz. Die herrschenden Medien fokussieren ihre Aufmerksamkeit darauf und versuchen so, die gesamte Bewegung in Misskredit zu bringen.

Doch diesmal ist der soziale Widerstand nicht auf eine Minderheit beschränkt. Große Teile der Jugendlichen unter 26 Jahren haben der Regierung de Villepin den Rücken gekehrt und auch Kontakt mit den Gewerkschaften aufgenommen, die die Bewegung unterstützen. Diese haben zusammen mit dem den Widerstand vorantreibenden StudentInnenverband UNEF (Union Nationale des Etudiants de France) am Sonntag, 19.3., der Regierung de Villepin ein Ultimatum gestellt: Wenn innerhalb von 48 Stunden das CPE-Gesetz nicht ersatzlos gestrichen wird, soll der Generalstreik ausgerufen werden. Während de Villepin sich in öffentlichen Durchhalteparolen ergeht, bröckelt die Unterstützung selbst im Lager der eigenen Regierungspartei. Sollte es nach Drucklegung dieser GWR zum erhofften Generalstreik in Frankreich kommen, könnte weit mehr auf dem Spiel stehen als das CPE-Gesetz: nämlich die Fähigkeit der Konservativen, überhaupt noch irgend ein Gesetz umsetzen zu können.

„Wenn sie die CRS schicken, anstatt zu verhandeln“, so konstatiert die anarchistische Zeitung Le Monde Libertaire in einer ersten Bilanz, „wenn sie versuchen, StudentInnen, die gewaltfrei die Universitäten besetzen, das Etikett von Gewalttätern aufzukleben, dann haben sie Angst bekommen. Wenn die Herrschenden schwanken, dann auch weil sie sich einer praktischen Annäherung von Bewegungen gegenüber sehen, die bislang eher isoliert voneinander agiert haben.“ (Nr. 1430, 16.3., S. 3)

Über dem Eingang der bestreikten Universität von Marseille hängt das Transparent: „Le Gouvernement au Karscher!“ Die deutsche Reinigungsfirma Kärcher ist in aller Munde, seit Innenminister Sarkozy damit die Vorstädte von angeblichem „Gesindel“ reinigen wollte. Nun kriegen sie es zurück, als Unterhöhlung ihrer Macht! Die französischen Protestierenden werden den deutschen Firmennamen zwar nie richtig schreiben, aber in Sachen Widerstand machen sie den Deutschen allemal was vor.