Eine Pressemeldung vom Montag, 13. März: "Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble kündigte an, Ausländern vor der Einbürgerung auch ein Bekenntnis zur deutschen Geschichte abverlangen zu wollen. 'Wer Deutscher werden will, muss die deutsche Vergangenheit als seine nationale Vergangenheit mit übernehmen', sagte der CDU-Politiker."
Das müssen wir erst einmal übersetzen, damit auch unsere einbürgerungswilligen ausländischen Mitbürger, die ja die Feinheiten der deutschen Syntax und Semantik womöglich nicht spitzen, mitkriegen, auf was sie sich einlassen, wenn sie deutsche Staatsbürger werden wollen.
Der Gedankengang unseres Innenministers lässt sich auf Pidgin-Deutsch zusammenfassen: Ohne Hitler nix deutsch!
Da sagt er allerdings den Einbürgerungskandidatinnen und -kandidaten nichts Neues. Wer einen Antrag auf Einbürgerung stellt, hat sich ja möglicherweise mit den Einbürgerungsrichtlinien vertraut gemacht und weiß, dass es dort unter „Einbürgerungsvoraussetzungen“ unter Punkt 3.2.1 heißt: „Weitere Voraussetzung für die Einbürgerung ist die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse; sie setzt in der Regel ein langfristiges Einleben in die deutsche Umwelt voraus.“
Und jeder, der sich in der deutschen Umwelt bewegt, weiß, wie heiß es hergeht, wenn im Kollegenkreis oder in der Kneipe die Topthemen der nationalen Geschichts-Charts diskutiert werden; Verlauf und Ergebnis der Revolution von 1848, der Reichsdeputationshauptschluss von 1803, oder, im Falle eher kulturgeschichtlicher Dispute, Christoph Martin Wielands Erstaunen darüber, dass man ernsthaft die Gründung eines deutschen Nationalstaats für eine gute Idee halten könne …
Nein, natürlich nicht: Wer sich in die deutschen Lebensverhältnisse eingeordnet hat, guckt Guido Knopp und wird sich demzufolge nicht darüber wundern, wenn ein deutscher Staatsbürger, der nicht nur die deutsche Vergangenheit als seine nationale Vergangenheit, sondern auch ein paar Flaschen Bier intus hat, im Regionalexpress zu randalieren anfängt, weil sämtliche Klos besetzt sind; und sich dabei unvermittelt, aber laut, langanhaltend und unflätig, über diese Ausländer, Juden und Fixer auslässt, von denen wir uns ja – im eigenen Land! – immer alles bieten lassen müssten; aber ihm reiche das jetzt, immer hätten wir zu zahlen und zu kuschen, die sollten doch alle hingehen, wo sie hergekommen seien – es ist manchmal ganz merkwürdig, wie Bierdruck auf der Blase und zwei besetzte Zugtoiletten Aufschluss über die Psyche eines Deutschen im Sinne des Grundgesetzes liefern können. Wenn ein deutscher Biertrinker in einem deutschen Zug nicht pinkeln gehen kann, steigert er sich prompt in einen Anfall von Verfolgungswahn, weil er weiß: Das Ausländergesocks, dass die Klos besetzt hält, wird ihn hämisch und mit einem Verweis auf Hitler, also seine nationale Vergangenheit, runterputzen, wenn er sich den so dringend benötigten Zugang erstreiten will. Der arme Kerl hat es gar nicht leicht, aber Wolfgang Schäuble kennt und versteht seine Sorgen. Wer Deutscher werden will, müsse die deutsche Vergangenheit als seine nationale Vergangenheit mit übernehmen. Nun ist die Einbürgerung einerseits ein bloßer Verwaltungsakt, mit dem jemand in ein bestimmtes Rechtsverhältnis zu einer staatlichen Organisation gesetzt wird; andrerseits aber ein Verwaltungsakt mit Bedeutung, tiefer und emotionaler Bedeutung, denn schon in den Einbürgerungsrichtlinien von 1977 heißt es:“Die Einbürgerung setzt eine freiwillige und dauernde Hinwendung zu Deutschland (…) und ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung voraus.“
Mit bloß gesetzestreuem Verhalten war es nicht getan, Bekenntnisse wurden gefordert. Das Bekenntnis zur Geschichte ist allerdings noch etwas anderes als das zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, denn wer dieses ablegen wollte, könnte ja einfach sagen: Die Verfassung find‘ ich schon OK. Aber was sagt man zur Geschichte? Wie soll man sich das „Mitübernehmen“ von Vergangenheit vorstellen? Um das Spielchen mit den rhetorischen Fragen nicht auf die Spitze zu treiben: Das kann man sich natürlich überhaupt nicht vorstellen, so etwas gibt es nicht; was Herr Schäuble da formuliert hat, ist ein so verquastes, ungenaues, schlechtes Deutsch, dass er mal bloß froh sein kann, keinen Sprachtest ablegen zu müssen. Sein Bekenntnisgeschwätz zielt auf nichts anderes als auf die Entlastung des Biertrinkers im Regionalexpress, der sein schlechtes Gewissen wegen einer Vergangenheit nicht loswird und nicht loswerden kann, weil er sich von der Vergangenheit gerade nicht distanzieren will. Da tröstet es doch, wenn er sich sagen kann, der eingebürgerte Junkie, der da grade das Klo verdreckt, müsse nun genauso viel und genau die gleich nationale Vergangenheit mit sich herumschleppen wie er. Tatsächlich hat Wolfgang Schäuble seine Forderung, andere müssten die „deutsche Vergangenheit mit übernehmen“, so begründet: „Gerade aus der türkischen Gemeinschaft sei immer wieder zu hören: Solange die Deutschen sich mit ihrer nationalen Identität schwer täten, sei es schwer, anderen zu sagen, sie sollten Deutsche werden.“
Welcher Türke dem Innenminister da immer wieder in den Ohren liegt, hat er nicht gesagt; wenn es aber nicht einer war, den er selber gebaut hat, hätte er ihm mit einem Hinweis auf die Einbürgerungsrichtlinien entgegnen müssen, dass es bitte sogar unerwünscht sei, anderen zu sagen, sie sollten Deutsche werden. Da ist der Punkt 2.3 der Richtlinien recht deutlich: „Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland; sie strebt nicht an, die Anzahl der deutschen Staatsangehörigen gezielt durch Einbürgerung zu vermehren.“
Das strebt sie sogar so wenig an, dass die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften zur Einbürgerung immer noch auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 zurückgehen – allerdings werden dort im Paragraphen 8 die Voraussetzungen für eine Einbürgerung (unbeschränkte Geschäftsfähigkeit, Nichtvorliegen eines Ausweisungsgrundes, fester Wohnsitz, Unabhängigkeit von Sozialhilfe) knapp und klar aufgeführt; von Hinwendung und Bekenntnissen zu etwas, was man 1913 wohl „Deutschtum“ genannt hätte, ist nicht die Rede.
Aber irgendwann muss man ja auch einmal den einen oder anderen Fortschritt machen, und der besteht darin, dass die freiheitliche und demokratische Bundesrepublik Deutschland gleiche Rechte wirklich nur noch denen gewähren will, die den Eingeborenen gleich sind, oder jedenfalls bereit, sich ihnen gleichmachen zu lassen. Im politischen Jargon heißt das „Integration“, und die ist sehr beliebt geworden, seit die politische Klasse gemerkt hat, dass ihr die Kontrolle über einen langsam anwachsenden Teil der Bevölkerung entgleitet – das nennt sich dann „Parallelgesellschaft“. Dieser parallelen Gesellschaft gehören Leute an, die nicht einmal genug deutsch können, um die Bildzeitung zu verstehen, deshalb lesen sie Sabah, aber die wiederum verstehen die Politiker nicht, und nun haben sie ein Problem. Was die Ausländer über uns denken, mag ja schon schwer festzustellen sein, aber wenn man nun nicht einmal mehr weiß, was die Ausländer, die im Lande leben, über uns denken, wird’s brenzlig.
Daher das aufs Äußerste gesteigerte Interesse an einer Integration dieses Bevölkerungssegments, nachdem man sich um die Bedingungen, unter denen die importierten Arbeitskräfte und nachher ihre Familien hier lebten und weiter leben würden, jahrzehntelang nicht sonderlich gekümmert hat. War ja alles ruhig, also in Ordnung. Jetzt aber haben wir den Kampf der Kulturen, und demzufolge Angst vor Leuten, die wir schlecht behandelt haben und von denen wir sicher wissen wollen, dass sie genauso denken, sich genauso verhalten, genauso sind wie wir. Die sollen sich integrieren!
Das wird natürlich nicht funktionieren, denn Integration bedeutet, dass sich nicht nur die Einwanderer verändern, sondern auch die Gesellschaft, in die sie eingewandert sind. Wenn aber die einzige Änderung, die diese Gesellschaft akzeptieren will, das allgegenwärtige Angebot von Döner Kebab ist (Döner ist einfach besser als Currywurst mit Pommes), wenn dazu noch eine Integrationsdebatte kommt, die hinter jeder Dönerbude die Moschee drohen sieht, wenn die Koexistenz verschiedener Bevölkerungsgruppen nicht mehr anders gesehen werden kann, denn als ständiger Kampf um die Durchsetzung der einen oder anderen Werte und Traditionen, dann führt das eben nicht zu irgendeiner Form gesellschaftlicher Integration, sondern zur immer rüder gestellten Forderung nach Unterwerfung und zum immer heftigeren Aufbegehren dagegen, das sich ja auch als Abkapselung äußern kann.
Die verdachtsunabhängigen Personenkontrollen der Polizei, deren Opfer fast ausschließlich erkennbare Ausländer sind, und die Forderung nach einem Bekenntnis der Einbürgerungswilligen zur deutschen Geschichte sind zwei Seiten derselben Medaille. Es ist nur ein Ausdruck der immer repressiver werdenden Verhältnisse, wenn aus dem Verwaltungsakt der Einbürgerung ein Initiationsritus in eine verschworene Bande wird.