antimilitarismus

Deutschland wird auch in Kinshasa „verteidigt“

Der neokoloniale Militäreinsatz der EU in der DR Kongo

| Bernd Drücke

Zur aktuellen globalen Situation: Nach Angaben der UNO wird weltweit jährlich über eine Billion Dollar für Krieg und Militär ausgegeben, davon allein 450 Milliarden Dollar von den USA. Die USA sind militärisch ein Welthegemon. Die zweitgrößte Militärmacht ist die Europäische Union, deren Mitgliedsstaaten jährlich zusammen etwa 200 Milliarden Dollar fürs Militär verplanen.

Vergleichsweise „bescheiden“ sind die jeweils etwa 70 Milliarden Dollar für Rüstung und Militär in China und der einstigen Weltmacht Russland, sowie die 45 Milliarden Dollar, die die Wirtschaftsmacht Japan fürs Militär verschwendet.

Die Europäische Union wird oft als Zivilmacht gesehen. Ein Irrtum.

Dieses kapitalistische Staatengebilde ist durch die „deutsche Wiedervereinigung“ und den Beitritt zahlreicher Staaten zum größten Handelsraum der Welt angewachsen. Wirtschaftlich gesehen ist die EU mittlerweile stärker als die USA.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren auch in diesem Bereich die USA der Welthegemon, sie hatten an der Weltwirtschaft zeitweise einen Anteil von 50 %. Das hat sich geändert, mittlerweile sind das Handelsdefizit und der Schuldenberg der USA gigantisch.

Die Entwicklung ist fatal, auch weil angesichts der unter George W. Bush drastisch erhöhten Militärausgaben die Macht des Militärs und der Rüstungsindustrie immer größer wird. Somit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Kriege durch die US-Regierung angezettelt werden, etwa gegen den erdölreichen „Schurkenstaat“ Iran.

Allerdings sind die USA nicht das einzige kriegführende Land; zur Zeit gibt es nach offizieller Definition vierundzwanzig kriegerische Auseinandersetzungen weltweit. Eine betrifft seit vielen Jahren die sogenannte „Demokratische Republik Kongo“.

Das Land ist 6,6 mal so groß wie die Bundesrepublik, ein riesiges Gebiet mit nur 60 Millionen EinwohnerInnen.

Nach Schätzungen der UNO werden dort jeden Tag etwa 1.000 Menschen Opfer von Gewalttaten. Allein von 1998 bis Anfang 2005 wurden laut International Rescue Committee 3,8 Millionen Menschen durch gewaltsame Auseinandersetzungen getötet. Viele wurden und werden bis heute von Kindersoldaten ermordet, die von verschiedenen Warlords rekrutiert werden, die Krieg gegeneinander führen. Es geht dabei in erster Linie um Rohstoffe. Die DR Kongo ist reich z.B. an Diamanten, Gold, Kupfer, Edelhölzern, Kobalt, Zink, Zinn, Kadmium, Wolfram, Germanium und Coltan. Letzteres ist ein extrem hitze- und säureresistentes Erz, das für die Produktion von vielen Industrieprodukten der westlichen Welt wichtig ist. Kein (Siemens-)Handy kann ohne Coltan funktionieren. Coltan spielt eine große Rolle in der Rüstungsindustrie, bei der Produktion von Raketen und Computern. Es ist also von militärstrategischer Bedeutung. Etwa 80 % der weltweiten Coltanvorräte und einige Milliarden Barrel Öl werden in der DR Kongo vermutet.

Warum will die EU 1.500 bis 3.000 Soldaten in die DR Kongo schicken?

Der Militäreinsatz soll unter Führung der Bundeswehr stattfinden, die 500 bis 900 Soldaten schicken will.

1.500 bis 3.000 Soldaten sind angesichts einer völlig verfahrenen Situation nicht viel, auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick will die EU ihre einerseits durch Partnerschaft und andererseits durch Konkurrenz geprägte Stellung gegenüber den USA ausbauen. Sie möchte nicht mehr nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch stärker in Erscheinung treten. Deshalb wird sie unter dem Vorwand der Absicherung der „demokratischen Wahlen“ Mitte dieses Jahres eine „Schutztruppe“ in die DR Kongo schicken, hauptsächlich nach Kinshasa, der etwa 8 Millionen EinwohnerInnen zählenden Hauptstadt.

Es stellt sich die Frage: „Was sollen die da?“

Zu den größten Handelspartnern der DR Kongo gehören Deutschland, Belgien und andere EU-Staaten.

Um sich gegenüber der internationalen Konkurrenz auf den Weltrohstoffmärkten durchzusetzen, fordern deutsche Wirtschaftsverbände eine politische Strategie zur Sicherung der deutschen Rohstoffzufuhr und schließen dabei kriegerische Gewalt nicht aus. So erklärte Ende März 2006 auf einer hochkarätig besetzten Konferenz in Berlin der Präsident der „Wirtschaftsvereinigung Metalle“, Karl Heinz Dörner, der Kongo sei das wichtigste Fördergebiet für Kobalt und damit für die deutsche Industrie von herausragender Bedeutung. Dörner leitet die Präsidialgruppe „Internationale Rohstofffragen“ des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), die bis März 2007 eine rohstoffwirtschaftliche Gesamtstrategie erarbeiten will und dabei eng mit militärpolitischen Institutionen der Bundesregierung kooperiert.

Der Kongo ist ein Opfer des Kolonialismus. Beim Berliner Kongress 1885 wurde die Bildung des Kongo-Freistaats unter Führung des belgischen Königs beschlossen. Die Kolonialherren ermordeten zwischen 1885 und 1911 etwa 10 Millionen Menschen, die Hälfte der damaligen BewohnerInnen des Kongos. Die intensive Ausbeutung und die Gräueltaten im Privatstaat des Königs schockierten sogar andere Kolonialmächte. 1908 übernahm an Stelle des diskreditierten Königs der belgische Staat die Kolonie.

1960 erlangte Belgisch-Kongo die Unabhängigkeit. 1961 beteiligten sich belgische Militärs und CIA an der blutigen Niederschlagung der nationalen Befreiungsbewegung. Der demokratisch gewählte Premierminister Patrice Lumumba wurde ermordet.

Anschließend wurde Frankreich zur wichtigsten Stütze des westlich orientierten Diktators Mobutu. Als im Jahr 1994 das von Frankreich unterstützte Hutu-Regime in Ruanda die Ermordung von bis zu einer Million Tutsis duldete und mitorganisierte, halfen französische Truppen den Schlächtermilizen, sich in Mobutus Zaïre (1971 bis 1997 Name der heutigen DR Kongo) abzusetzen.

Die Diktatur Mobutus, die das Land weiter zerstörte, wurde erst 1994 erschüttert, als sich, angeheizt u.a. durch die Flüchtlingsbewegungen aus Ruanda und Burundi, im Grenzland zu Ruanda eine Rebellen-Streitmacht bildete, angeführt von Laurent-Désiré Kabila. 1997 stürzten er und seine Freischärler den kranken und international mittlerweile isolierten Mobutu. Danach verfügte Laurent-Désiré Kabila die Rückbenennung Zaïres in „Demokratische Republik Kongo“.

Die konfliktreiche Phase zwischen 1996 und 2002 wird auch als Kongokrieg, ab 1998 als „afrikanischer Weltkrieg“ bezeichnet. Im Januar 2001 fiel Kabila selbst einem Attentat zum Opfer, und sein Sohn Joseph Kabila „erbte“ seine Stellung als Staatspräsident der DR Kongo.

Der Krieg ging weiter, nicht zuletzt, weil die USA und Frankreich miteinander rivalisierende ethnische Gruppen unterstützten, um sich Einfluss auf das Land zu sichern.

Der EU geht es jetzt darum, die Macht des westlich orientierten Joseph Kabila „demokratisch“ abzusichern, was von vornherein eine Farce ist. Die meisten Oppositionsgruppen boykottieren diese Wahl. Dieses Land ist zerteilt von verschiedenen militärischen Gruppen, und Joseph Kabila ist nichts weiter als ein etwas mächtigerer Warlord. Seine Regierung ist ein militärisches Regime, das mit brutalen Mitteln versucht, seine Macht durchzusetzen. Die Polizei- und Militärkräfte der DR Kongo werden in erster Linie finanziert durch die Europäische Union, nicht durch die UNO. Auch wurde dieser EU-Militäreinsatz nicht durch die UNO angefragt, sondern erst nachträglich durch sie abgesegnet.

Es geht um die militärische Präsenz der EU und ihre Eigenständigkeit. Sie baut eine militärische Eliteeinheit auf, 60.000 Elitesoldaten, die als schnelle Eingreiftruppe im Auftrag der EU, nicht mehr der NATO, weltweit agieren sollen. Der Einsatz im Kongo ist ein Vorspiel, eine Generalprobe.

Ob der jetzige Diktator an der Macht bleiben wird oder jemand anderes dran kommt, ist relativ unerheblich, weil es darum geht, dieses Land militärisch abzusichern und wirtschaftlich auszubeuten, die Rohstoffe zu sichern für die westlichen Industriestaaten.

Auch der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat benannt, worum es geht:

„Um zentrale Sicherheitsinteressen unseres Landes nämlich; sollten keine Soldaten geschickt werden, würden wir es mit einem großen Flüchtlingsproblem in ganz Europa zu tun bekommen, und schließlich, Stabilität in einer rohstoffreichen Region nutzt auch der deutschen Wirtschaft.“

Die Frage ist, was können wir tun als Teil einer Friedensbewegung?

Einiges. Wir müssen uns engagieren gegen die Militarisierung der Außenpolitik, gegen jegliche Waffenexporte, gegen die imperialistische und neokoloniale Politik von EU, USA und NATO. Die haben in der DR Kongo nichts verloren!

Es gibt keinen gerechten Krieg. Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit, und wir müssen alles tun, um seine Ursachen zu beseitigen.

Das Menschenrecht auf Asyl auch für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer muss durchgesetzt werden. Menschen, die aus Kriegsregionen wie der DR Kongo, aus Eritrea oder sonstwoher fliehen, haben ein Recht darauf, Asyl zu bekommen.

Stattdessen müssen sie hier jeden Tag damit rechnen, abgeschoben zu werden. 17.800 Menschen wurden 2005 aus Deutschland abgeschoben. Jede Abschiebung ist traumatisierende Gewalt, ein Angriff auf die Menschenwürde.

Wir müssen verhindern, dass Menschen abgeschoben werden. Wer hier hinkommt, muss hier auch leben können. Wer Kriegsgebiete verlässt, muss in anderen Regionen aufgenommen werden.

Jeder Mensch hat ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben ohne Hunger und Krieg.

Die Würde des Menschen ist unantastbar!

Unsere Aufgabe ist es auch, darüber zu informieren, was die Hintergründe von kriegerischen Interventionen wie in der DR Kongo sind.

Auch im Irak-Krieg verhält es sich ähnlich. Irak ist eines der vier Länder mit den größten Erdölvorkommen der Welt. Iran gehört ebenfalls dazu. Es geht den Herrschenden nicht um Menschenrechte, um irgendwelche moralischen Gründe, die immer vorgeschoben werden, sondern um geostrategische Machtpolitik, um Absicherung der eigenen kapitalistischen Interessen und um die Ausplünderung der ehemaligen Kolonien, die genau genommen immer noch Kolonien sind, zumindest aus Sicht der herrschenden Eliten innerhalb der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten von Amerika.

Unsere Aufgabe ist es, von unten Leute zu unterstützen, die gegen dieses System arbeiten, Oppositionsgruppen in verschiedenen Ländern, die in ähnliche Richtung arbeiten wie wir, die versuchen, das Kriegssystem zu beseitigen, die dafür kämpfen, dass es eine menschengerechte Welt, eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft gibt.

Pazifistischen und anti-militaristischen Gruppen weltweit gehört unsere Solidarität. Wir haben hier die Möglichkeiten, Menschen konkret zu helfen, die auf der Flucht sind vor Krieg, Militarismus und Armut.

Die Armut wird hier gemacht. „Die Weltlandwirtschaft könnte ohne Probleme 12 Milliarden Menschen ernähren. Das heißt, ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet“, so Jean Ziegler, der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. (…)

Eine Billion Dollar wird jährlich ausgegeben für Militär und Krieg. Ein Bruchteil dieser Summe würde ausreichen, um alle vom Hungertod bedrohten Menschen zu retten.

Um Hunger als globales Problem zu beseitigen, um eine gerechte Welt zu schaffen, müssen wir Militär und Kapitalismus abschaffen.

Anmerkungen

Der Text basiert auf einem (vom Medienforum Münster für eine Radiosendung aufgezeichneten und hier gekürzten) Redebeitrag des GWR-Koordinationsredakteurs, gehalten am 15.4.06 im Rahmen der Ostermarschaktion für Frieden und Solidarität in der Frauenstraße 24, Münster.

Zum Thema siehe auch: Bernd Drücke: Coltan, Gold und Diamanten. Der Kongo-Krieg und die Interessen der EU, in: GWR 281, Sommer 2003, S. 1 f.