Am 18. April 2006 hat Peter Bürger für seine Studie "Kino der Angst" den "Berha von-Suttner-Preis" der DFG-VK erhalten. Die Graswurzelrevolution gratuliert und nimmt die Preisverleihung zum Anlass, "Kino der Angst" vorzustellen.
In seiner Studie untersucht Bürger, wie Krieg und Militär im US-amerikanischen Unterhaltungskino seit Ende des Kalten Krieges dargestellt werden.
Weil der Film eine so kraftvolle und überzeugende Wiedergabe der Realität verspricht und da er aufgrund seiner technischen Reproduzierbarkeit viele Menschen erreicht, ist er ein politisches Phänomen. Der Film spiegelt und schafft die Mythen der ihn umgebenden Kultur. Indem er Handlungsweisen und ihre Folgen beschreibt, hilft er zu definieren, was kulturell erlaubt ist.
Die Rollen, die er auf diese Weise konzipiert, und die Geschichte(n), die er schreibt, bestimmen weitgehend die gemeinsame Erfahrung unserer Gesellschaft.
Aufgrund der Vorherrschaft US-amerikanischer Filme auf dem Weltmarkt spielt der Hollywoodfilm hierbei eine besondere Rolle. „Die US-amerikanische Filmindustrie, insbesondere hollywoodscher Prägung, ist mit 50 % wichtigster Lieferant für das europäische Fernsehen und mit 60 % für das Kino. Auch weltweit stammen die meisten TV-Filme von einem Hollywoodproduzenten.“ 1992 stammten 83 % der Kinoeinnahmen in Deutschland aus US-amerikanischen Filmen.
In Zeiten von Multimedia bleiben die Bilder und Botschaften des Unterhaltungskinos nicht auf der Leinwand. Die Kinopremiere wird von Video, DVD und TV-Ausstrahlung flankiert. Action wird in Computerspiele umgesetzt. Die Musik-CD und das Buch zum Film sind obligat.
Das Genre des Unterhaltungsfilms über Krieg und Militär wird als „Militainment“ bezeichnet. „Militainment“ beschränkt sich nicht nur auf den klassischen Kriegsfilm. Neben der Inszenierung historischer Schauplätze im Kino- und Fernsehfilm (des Zweiten Weltkriegs, Vietnams und der Militärschauplätze der 90er Jahre) behandelt Bürger den Rekrutierungsfilm, das Miltärgerichtsdrama, Katastrophenfilme, in denen militärische Nukleartechnologie als Instrument zur Weltrettung erscheint, Apokalypse und Sternenkrieg und schließlich Filme, in denen Terrorismus als innenpolitisches Thema der USA sowie als Ausgangspunkt für Militäroperationen vorkommt. Von 542 Filmen, die der Autor aus diesem Spektrum zur Filmanalyse herangezogen hat, wurden 132 unter Beteiligung von Pentagon, Nato-Militär, CIA oder US-Raumfahrt produziert.
„Wir begrüßen die Möglichkeit, uns über ein so machtvolles Medium direkt an das amerikanische Publikum zu wenden“, sagt folgerichtig Captain Philip M. Strub, Chefbeauftragter des Pentagons für die Unterhaltungsindustrie, zum Thema „Film“.
Das Pentagon beeinflusst die US-amerikanische Filmproduktion, indem es den Verleih von militärischer Ausrüstung an die Bedingung knüpft, das Drehbuch eines Filmes einsehen und korrigieren zu dürfen. Weil die Kosten für den Einsatz von Hightech-Waffen auf dem freien Markt extrem hoch sind, sind Regisseure, die in ihren Filmen die Kampfhandlungen eines modernen Krieges zeigen wollen, auf die Kooperation des Pentagons angewiesen.
Strub erläutert hierzu:
„Wir schließen einen Vertrag mit dem Produzenten, der im Grunde folgendes festlegt: Wir geben Dir dies und jenes, bestimmte Geräte an bestimmten Tagen, je nach Drehbuch. Und Du zeigst uns dafür den Rohschnitt, damit wir sehen können, ob das mit dem übereinstimmt, was wir abgemacht haben.“
Der Vertragsleitfaden der U.S. Army fordert: „Die Produktion sollte Rekrutierungsprogrammen der Streitkräfte helfen […] Die Produktionsgesellschaft erklärt sich bereit, in jeder Phase der Produktion, die das Militär betrifft oder darstellt, sich mit dem Verbindungsbüro des Verteidigungsministeriums zu beraten.“
Manche Filme, wie die Produktionen von Jerry Bruckheimer („Top Gun“, „Pearl Harbor“, „Black Hawk Down“), werden mit Beträgen in Millionenhöhe subventioniert. Für die Dreharbeiten an „Pearl Harbor“ stellten die US-amerikanischen Streitkräfte einen Flugzeugträger und Soldaten aller Waffengattungen als Statisten zur Verfügung.
Filme, in denen das US-Militär „unrealistisch“ dargestellt wird, kommen nicht in den Genuss dieser staatlichen Förderung.
Unrealistisch sind für das US-amerikanische Verteidigungsministerium z.B. das historisch verbürgte „fragging“ (Anschläge amerikanischer GIs auf ihre Vorgesetzten in Vietnam) und ein Massaker amerikanischer Marines an vietnamesischen Zivilisten in Oliver Stones Film „Platoon“.
„Jeder Film, der das Militär negativ darstellt, ist für uns nicht realistisch“, so Philip Strub.
Allerdings ist nicht allein die Zensur des Pentagons dafür verantwortlich, wie der Krieg und seine Protagonisten im Kino präsentiert werden. Auf Grund seiner Produktionsweise tendiert der Film dazu, die herrschenden Mythen zu (re-)produzieren. Der Film ist kein individuelles Kunstwerk, sondern eine Ware, deren Herstellung sich nur die Wohlhabendsten leisten können. Ebenso wie der Redakteur einer Zeitung ist der Regisseur eines Films von seinen Arbeitgebern abhängig. Bürger spricht von 12 Konzernen, die den US-Markt beherrschen. Die Interessen der Konzerne und die Werte und Normen ihrer Eigentümer spiegeln sich im Produkt wider.
Zudem bestehen zwischen Medien- und Militärmacht wirtschaftliche Verflechtungen. Z.B. ist die US-Army Großkunde von General Electric, dem weltweit größten Unternehmen mit Rüstungsanteilen, und Eigentümer des Fernsehsenders NBC. Westinghouse (CBS) ist ein anderer Konzern, der gleichzeitig Rüstung produziert und durch Tochterunternehmen Massenmedien betreibt.
Schließlich steht die Filmproduktion Hollywoods unter der Prämisse zu unterhalten. Krieg unterhaltsam darzustellen bedeutet, die intellektuelle Analyse des Geschehens zu Gunsten von emotional ansprechenden Kriegsgeschichten zu vernachlässigen. Ebenso folgt daraus eine Ästhetisierung der Grausamkeit. Francis Ford Coppola unterlegte in „Apokalypse Now“ die Jagd der US-Luftinfanterie auf Vietnamesen mit Musik von Richard Wagner.
Krieg realistisch darzustellen, hieße zu zeigen, wie jemand drei Stunden im Schützengraben verblutet.
Die Kategorie des Antikriegsfilms hält Bürger deswegen für fragwürdig und spricht stattdessen in seinen Analysen von kriegskritischen bzw. kriegsunterstützenden Kriegsfilmen.
Das Dilemma von „Antikriegsfilmen“ besteht darin, dass die Darstellung von brutaler Gewalt nicht nur Abscheu, sondern auch Faszination auslösen und Sadismus, Größenphantasien oder Rachegefühle bedienen kann.
So wurde der deutsche Film „Die Brücke“ (BRD 1959) in Südamerika unter dem Titel „Die Helden sterben aufrecht“ verliehen.
Militainment
„Militarismus bezeichnet die Vorherrschaft militärischer Wertvorstellungen und Ziele in der Politik und im gesellschaftlichen Leben, wie sie bspw. durch die einseitige Betonung des Rechts des Stärkeren und die Vorstellung, Kriege seien notwendig oder unvermeidbar, zum Ausdruck kommen …“ (Bundeszentrale für politische Bildung)
In den Filmanalysen seiner Monographie arbeitet Bürger Bilder und Botschaften heraus, die bei der Inszenierung von Krieg und Militär im US-amerikanischen Kino wiederkehren. Z.B. ist es für Science Fiktion und Katastrophenfilme wie „Armageddon“ typisch, dass der US-amerikanische Präsident die Menschheit gegenüber einer äußeren Bedrohung repräsentiert. Am Kampf gegen diese Bedrohung nehmen die US-amerikanischen Minderheiten mit je einem Angehörigen teil. Abgewendet wird die Gefahr durch technische und militärische Mittel.
Offensichtlich ist die Absicht, Schützenhilfe in einer politischen Auseinandersetzung zu liefern, beim Militärgerichtsdrama „Rules of Engagement“ (USA 2000). In der ersten Szene von „Rules of Engagement“ sind US-amerikanische Soldaten bei der Evakuierung der US-Botschaft in einem arabischen Land zu sehen. Vor der Botschaft demonstriert eine aufgebrachte Menge. Heckenschützen schießen auf die US-Amerikaner. Der Einsatzleiter, Colonel Childers (Samuel L. Jackson), lässt auf die Menschenmenge feuern, obwohl sein zweiter Offizier einwendet, dass es sich um unbewaffnete Zivilisten handele. Bei dem Massaker sterben 83 Menschen. Der Colonel wird aus politischen (!) Motiven vor Gericht gestellt, weil das Außenministerium fürchtet, Ansehen bei gemäßigten muslimischen Staaten zu verlieren. Während des Prozesses erfahren die ZuschauerInnen durch Rückblenden, was wirklich geschah. In den Erinnerungen des Colonels, die im Film durch ein Videoband verifiziert werden, welches ein korrupter Politiker verschwinden lässt, bewaffnet sich die scheinbar friedliche Menge.
Hier erscheint eine Kalaschnikow, dort ein Brandsatz oder eine Handgranate bis hin zur Pistole in der Hand eines kleinen Mädchens. Wer wollte US-amerikanische Soldaten danach vor einen Internationalen Gerichtshof stellen?
Den militärischen Humanismus der Vereinigten Staaten illustriert „Air Force One“ (USA 1996) von Wolfgang Petersen. Nach einer amerikanisch-russischen Militäroperation gegen den ‚selbsternannten Staatschef von Kasachstan‘, der eine Gefahr für den Weltfrieden darstellt und die Demokratiebewegung blutig unterdrückt, erklärt der amerikanische Präsident (Harrison Ford): „Nie wieder werde ich zulassen, dass unsere politische Engstirnigkeit uns daran hindert, irgendetwas zu tun, was wir für moralisch richtig halten. Folter und Terror sind keine politischen Mittel.
Denen, die sie einsetzen, sage ich: ‚Eure Zeit ist um! Wir werden nicht verhandeln, wir werden auch nicht mehr die Augen verschließen, und wir werden auch keine Angst mehr haben. Jetzt sollt Ihr Angst haben!'“
Terroristen entführen daraufhin die Präsidentenmaschine „Air Force One“, ahnen aber nicht, dass der Präsident nicht nur liebevoller Familienvater, sondern auch kampferprobter Vietnamveteran ist. Im Alleingang erledigt er die Bösewichter und lässt sich als letzter der Überlebenden aus dem abstürzenden Jet evakuieren.
Als europäischen Beitrag zur neuen Weltkriegsordnung steuert die französische Produktion „Transporter“ (Frankreich/USA 2003) den schönen Satz bei:
„Du warst Soldat, Deine Aufgabe war es, Leben zu retten.“
Was tun?!
Die weiche Propaganda des Kinos liefert die Bilder und Mythen, welche die harte Propaganda vor Beginn eines Krieges glaubhaft machen.
Wer gesehen hat, dass es einen James Bond braucht, um die Schurken in ihren unterirdischen Hightechhallen aufzuspüren, wird sich vielleicht nicht wundern, dass die UN-Inspektoren die irakischen Massenvernichtungswaffen nicht finden konnten.
Gegen das kulturelle Diktat der Bellizisten fordert Bürger zum einen die Umsetzung geltender Rechtsnormen. Nationale und internationale Verträge und Bestimmungen stehen der Propagierung von Krieg und Gewalt als Mitteln zur Lösung von Konflikten entgegen und enthalten zum Teil die ausdrückliche Verpflichtung, Kriegspropaganda zu unterbinden und eine Kultur des Friedens zu fördern. „Jede Kriegspropaganda wird durch Gesetz verboten“, heißt es im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16.12.1966, Artikel 20 (1).
Zum anderen schlägt er vor, die Beteiligung von Militärs an Filmen auf der Hülle von Videos und DVDs zu kennzeichnen.
Diese ist zur Zeit in den Danksagungen am Ende eines Films versteckt. Auf DVD und Videoformat ist der Abspann noch dazu klein und unleserlich.
In Deutschland wäre die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien für Bürger eine Instanz, die dieses Etikett vergeben könnte.
AnarchistInnen werden vielleicht nicht auf die Initiative einer staatlichen Stelle warten wollen, sondern die direkte Aktion in ihrer Videothek bevorzugen.
Peter Bürger: Kino der Angst. Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2005, 637 S.