70 jahre spanische revolution

Das Gedächtnis der Besiegten

Schwerpunkt: 70 Jahre Spanische Revolution

| Übersetzung: Michael Halfbrodt

Vor 70 Jahren, am 19. Juli 1936, begann als Reaktion auf den faschistischen Putschversuch des General Franco in großen Teilen Spaniens eine Soziale Revolution. Aus diesem Anlass widmete sich die GWR 310 schwerpunktmäßig der Geschichte der Spanischen Revolution und des Bürgerkriegs. Dies wird nun in dieser GWR vertieft. Wir beginnen das Hineintauchen in die libertäre Revolutionsgeschichte mit einem Vorabdruck aus dem Roman "Das Gedächtnis der Besiegten" von Michel Ragon. Das Buch wird voraussichtlich im Herbst 2006 im Verlag Edition AV in deutscher Übersetzung erscheinen (GWR-Red.).

Durruti in Bujaraloz

Einige Tage später, nach einer beschwerlichen Reise, trafen Fred, Cottin und Germinal bei Durruti in Bujalaroz ein, in der Nähe von Saragossa.

Obwohl die Wechselfälle seines Lebens ihn gelehrt hatten, sich über nichts mehr zu wundern, nahm er dennoch mit Staunen zur Kenntnis, wie sich sein Freund Durruti, der Flüchtling und Emigrant, wie durch Berührung mit dem Zauberstab in den militärischen Führer einer zehntausend Mann umfassenden Kolonne verwandelt hatte.

Er empfing die Franzosen in einer Hütte, die ihm als Kommandostand diente. In seinem braunen Overall, ein Käppi mit Bommel auf dem Kopf, einen Revolver am Gürtel, ähnelte er nur noch entfernt dem Durruti, mit dem Fred seinerzeit den bedauerlichen Mühsam besucht hatte. Das Lächeln war gleich geblieben, aber die Gesichtszüge hatten sich verhärtet.

Er begrüßte Fred und seine Freunde herzlich, geradezu überschwänglich, und wollte ihnen sofort seine militärischen Einrichtungen zeigen.

Mit der Exaktheit der Gesten, der Sorgfalt der Anlagen, der im Vorbeigehen an beflissene Milizionäre erteilten Befehle weckte Durruti unangenehme Erinnerungen an Trotzki, wenngleich ohne die Arroganz des „Feldmarschalls“ und ohne das Überlegenheitsgefühl, das bürgerliche Intellektuelle in keiner Situation verlässt.

Er blieb ein Mann aus dem Volk, sehr schlicht und bescheiden.

Allein seine Vergangenheit und seine Tatkraft verschafften ihm diese Autorität über die von ihm geführte Truppe.

  • Dich als General zu erleben, versetzt mir einen Schlag, sagte Fred. Trotzki hat angefangen wie du, und er hat Gefallen gefunden an der Macht.
  • Ich lehne sie ab. Ich bin kein General. Die Genossen haben mich zum Führer ihrer Kolonne bestimmt. Sobald wir die Faschisten besiegt haben, werden wir nach Hause gehen. Wir sind keine Soldaten, sondern freiwillige Milizionäre. Überall, wo wir hinkommen, besteht unsere erste Aufgabe darin, das Land an die Bauern zu verteilen. Wir versorgen die Bevölkerung mit Nahrung und Kleidung. Schau dich um in der Gegend, geh in die Orte, du wirst sehen, dass sich die Durruti-Kolonne überall in die Dorfgemeinschaften integriert. Nein, Fred, ich habe unserem alten Antimilitarismus nicht entsagt. Wir kämpfen gegen die aufständischen Generäle. Wir kämpfen gegen den Militarismus, der die Republik verrät.

Fred glaubte, die Stimme Igors wieder zu hören, damals, 1919 in Moskau: „Wir müssen lernen, gegen unsere Feinde Krieg zu führen. Haben wir sie erst besiegt, bereiten wir dem Krieg für alle Zeiten ein Ende und lösen alle Armeen auf.“ O weh! O weh!

Mit seinen beiden Begleitern streifte Fred kreuz und quer durch das von Durrutis Einheit besetzte Gebiet. Auf den höchsten Gebäuden wehten schwarzrote Fahnen, Sammelpunkte für die Landarbeiter und Schäfer, alle jene braceros, die aus den von Franquisten eroberten Gebieten kamen, staubbedeckt, dunkelhäutig wie Mauren, mit Säcken und Schläuchen beladene Maultiere vor sich her treibend. Sie hatten lange Strecken zurückgelegt, Bergpässe überquert, sich nachts durch die feindlichen Linien geschlichen. Erschöpft, die Füße wund gelaufen in ihren Bastsandalen, schwenkten sie ihre Wanderstöcke oder Jagdflinten, sobald sie die Milizionäre erkannten, und riefen: „Salud! Salud!“

Niemand sagte mehr: „Buenos dias.“ Dieser brüderliche Gruß wurde zum Kennwort der Republik. Jeder duzte den anderen, man sprach sich mit Genosse an. Es schien, als sei plötzlich ein auf der iberischen Halbinsel lastender Bleideckel abgehoben worden.

Alle diese Bauern und Arbeiter, die sich spontan erhoben hatten, um ihre legale Regierung zu verteidigen, fühlten sich von einer Jahrhunderte währenden Knechtschaft befreit.

Sie saßen im Kreis um die zu Pyramiden zusammengestellten Gewehre und sangen alte Volkslieder, vermischt mit revolutionären Refrains, die sie stammelnd lernten. Diese Ansammlung von Bauern und Arbeitern, die gekommen waren, um sich einer perfekt ausgerüsteten Berufsarmee zu stellen, hatte etwas Rührendes und Lächerliches zugleich. Einmal mehr sah Fred die Utopie vor sich, die mit bloßen Händen versuchte, den Ansturm der Ungeheuer aufzuhalten.

Wie seine Milizionäre ging Durruti in Espadrillen, trank nur Wasser und schlief auf Stroh. Er liebte es, Gerechtigkeit walten zu lassen, wie die Weisen früherer Zeiten. Eine in seine Kolonne aufgenommene Bauernbande, die sich brüstete, den Kaziken ihres Dorfes getötet zu haben, der zugleich Besitzer des Landes war, unterzog er einem strengen Verhör, um herauszufinden, ob dieser sie misshandelt habe. „Nein“, antworteten sie spontan, „nein, er hat uns nicht geschlagen, aber er hat nie mit uns geredet.“

Geredet? Das war es also, was sie verlangten, das Recht zu reden.

Das revolutionäre Barcelona

Germinal und Cottin blieben bei Durruti, während Fred allein nach Barcelona zurückkehrte, wo eine hektische Betriebsamkeit herrschte. Verglichen mit der gutmütigen, geradezu treuherzigen Atmosphäre der Durruti-Kolonne schien die Hauptstadt Kataloniens am Rande einer Panik zu stehen. Alle Kirchen, mit Ausnahme der Kathedrale, waren niedergebrannt, und der traurige Anblick ihrer verkohlten Trümmer prägte das Stadtbild. Schwarzrot bemalte Fahrzeuge fuhren mit rasender Geschwindigkeit und lautem Gehupe durch die Straßen. Die meisten waren mit hastig aufgepinselten Riesenbuchstaben geschmückt: U.H.P., das hieß, Uniaos Hermanos Proletarios (Vereinigt euch, proletarische Brüder). In der nach Lenin benannten Kaserne schrieben sich blutjunge Kerle in die P.O.U.M.-Miliz ein. Rote Fahnen der Anhänger Andreu Nins, schwarze Fahnen der Anhänger Buenaventura Durrutis, alle diese Stoffe, diese Symbole wiegten sich in der vom Meer herüberwehenden Brise. Aus Lautsprechern dröhnten die Strophen der Internationale und von Hijos del pueblo (Söhne des Volkes). Große Porträts von Bakunin, Lenin und Jaurès traten an die Stelle der verschwundenen religiösen Bildwerke. Die Stadt, diese von bürgerlichem Wohlstand strotzende Mittelmeerstadt, hatte sich mit einem Schlag proletarisiert. Auf den Straßen waren nur noch im Blaumann herumlaufende Milizionäre und Zivilisten zu sehen. Kein Hut. Nur Käppis und Baskenmützen. Auf den Ramblas trug jeder dritte Mann ein Gewehr über der Schulter: er und der „Genosse Gewehr“, ein unzertrennliches Paar. Patrouillen überwachten die Vororte. Am Eingang der Hotels, der Geschäfte, der Verwaltungsgebäude waren, aus nicht klar erfindlichen Gründen, Wachtposten aufgestellt. Selbst junge Frauen tauschten ihre traditionellen schwarzen Kleider gegen Overalls ein. Barhäuptig, mit Blumen im Haar, ein Gewehr am Riemen, ließen sie sich für die Milizen von Nin oder Durruti anwerben. Je mehr die Kasernen sich füllten, umso leerer wurden im Gegenzug die Geschäfte. Es fehlte an Fleisch, Milch, Zucker, Kohle, Benzin. Vor den Bäckereien bildeten sich Schlangen. Warum, fragte Fred sich traurig, muss die Revolution immer zunächst eine Mangelsituation herbeiführen? Das Barcelona von 1936 erinnerte ihn bereits an das Moskau von 1919.

Er fuhr in einem fast leeren Zug nach Frankreich zurück. Auf dem Gegengleis in Richtung Süden rollten mit Milizionären gefüllte Waggons langsam vorbei. Durruti hatte Fred beauftragt, die Regierung Léon Blum zu überzeugen, ihm Waffen zu liefern. Im Augenblick sorgte allein Mexiko für die Grundausstattung der Volksstreitkräfte.

Würde es ihnen gelingen, den Vormarsch der verbündeten Generäle zu stoppen? Alles begann wieder wie in Russland nach dem Oktober. Die traditionelle Armee rebellierte. Es musste eine Volksarmee aufgebaut werden, um die Revolution zu verteidigen, die ohne diesen Kraftakt hinweggefegt würde. Diese Volksarmee musste viele Opfer auf sich nehmen, Disziplin und Selbstverleugnung an den Tag legen, um den Berufssoldaten standzuhalten. Schlimmer noch, sie musste zu den gleichen militärischen Methoden greifen, die gleichen Strategien anwenden. Fred vertraute weiter auf Durruti. Aber Durruti war nicht der Einzige. Der erste siegreiche Aufstand in Barcelona hatte die Aktivisten von C.N.T., F.A.I. und P.O.U.M. spontan zusammengeführt. Inzwischen baute die von den Libertären gerettete republikanische Regierung „legale“ Regimenter auf. Missmutig beobachtete Fred auf den Straßen Barcelonas die Offiziere der neuen republikanischen Armee, junge Leute in eleganten Kakiuniformen, die vor den Caféterrassen herumstolzierten.

Fred war schlecht gelaunt. Er wäre lieber bei Durruti geblieben. Aber Durruti verlangte seine Unterstützung in Paris. (…)

Solidaritarische Hilfe aus Frankreich

Fred erstattete den libertären Genossen in Frankreich Bericht über seine Beobachtungen in Katalonien. Die in Russland ausgerottete, in Deutschland und Italien dezimierte anarchistische Bewegung erlebte in Spanien ihre Auferstehung, stärker, umfassender, lebendiger denn je. Fred drängte seine Kameraden, Durruti vorbehaltlos zu unterstützen.

Sébastien Faure und Louis Lecoin sagten ihm sofort ihre Hilfe zu. Sébastien Faure, der auf die achtzig zuging, vertrat die absolute anarchistische Orthodoxie. Als Popularisator der kropotkinschen Lehre ein allseitig geachteter Theoretiker war er im Laufe seines langen Lebens seinen Überzeugungen niemals untreu geworden. Aufgrund seines Alters und seines unbeirrbaren Pazifismus schlug er eine Brücke zwischen den anarchistischen Wegbereitern des neunzehnten Jahrhunderts und eher agitatorisch veranlagten Aktivisten wie Lecoin. Fred fühlte sich beiden nahe. Auf den Versammlungen jedoch war man von Einigkeit weit entfernt. Die Angst, erneut auf die Abwege der Heiligen Union zu geraten, die einen so integren Mann wie Jean Grave ins Verderben gestürzt hatte, veranlasste viele Libertäre, jedem Krieg mit Argwohn zu begegnen, selbst einem solchen Bürgerkrieg wie dem spanischen. Die einzige Antwort auf einen Militärputsch, so ihre These, sei der Generalstreik, der bedingungslose Streik, die absolute Gewaltlosigkeit. Die Hoffnung, einen ungerechten in einen gerechten Krieg verwandeln zu können, sei illusorisch. Wir verurteilen alle Kriege, egal, ob sie dem Angriff oder der Verteidigung dienen. Erheben wir uns vor der Mobilmachung gegen den Krieg, danach ist es zu spät. Die uniformierten Milizionäre waren ihnen ein Grauen. Dass Durruti ein Käppi trug, erschien ihnen bereits als Verrat. Ihr werdet es erleben, meinten sie, er endet wie Trotzki. Auch Trotzki war einst Pazifist. Aber an dem Tag, als er sich eine Offiziersmütze aufsetzte, war der Fall erledigt. Die Kappe macht den Mönch.

Der spanische Bürgerkrieg wäre zu Ende gegangen, ohne dass die französischen Anarchisten sich auf eine Beteiligung (oder Nicht-Beteiligung) hätten einigen können, wenn nicht Sébastien Faure, Lecoin und Fred Barthélemy aus eigener Initiative ein Komitee Freies Spanien gegründet hätten. Sie stimmten darin überein, dass der Bürgerkrieg das für Antimilitaristen heikelste und schwierigste Problem aufwerfe, das keiner der großen Theoretiker des 19. Jahrhunderts gelöst habe, dass sie aber unmöglich zusehen könnten, wie Franco und die anderen aufständischen Generäle Spaniens Freiheit auslöschten. Statt einer direkten Intervention der französischen Regierung, wie von den Kommunisten gefordert, befürworteten Sébastien Faure, Lecoin und Barthélemy eine Hilfe von Volk zu Volk. Der Theorie ließen sie sogleich die Praxis folgen und bildeten eine aus hundert Freiwilligen bestehende Brigade, der sie, trotz aller Proteste des Betroffenen, der jeden Personenkult verabscheute, den Namen Sébastien Faure gaben. Allerdings war Sébastien Faure zu dieser Zeit der einzige französische Anarchist, der über internationales Ansehen verfügte.

Louis Lecoin und Fred Barthélemy teilten sich die Aufgabe.

Beide kümmerten sich um Spendengelder zum Ankauf von Waffen und Lebensmitteln bzw. zur Anmietung von Transportfahrzeugen und versuchten, Männer, die nicht auf ein derartiges Opfer vorbereitet waren, davon zu überzeugen, in den Kampf zu ziehen. Zu einer ihrer Versammlungen, ins Vélodrome d’Hiver, kamen zehntausend Menschen. Nach der Veranstaltung zog die hinausströmende Menge mit „Waffen und Flugzeuge für Spanien!“-Rufen durch die Pariser Straßen.

Innerhalb weniger Wochen entfachten sie eine außergewöhnliche Begeisterung. Seit den Demonstrationen für Sacco und Vanzetti hatte Paris nichts Vergleichbares, keine derartige Uneigennützigkeit erlebt. Mit Munition, Kleidung und Lebensmitteln beladene Lastwagen rollten Richtung Pyrenäen. Germinal und Cottin, die sich der Hundertschaft Sébastien Faure anschlossen, schrieben aus Spanien, dass alles gut verlaufe, dass die Unterstützung durch ausländische Freiwillige den Milizionären Mut mache, dass es aber an Waffen fehle. Lecoin und Fred vollbrachten das Wunder, jeden Tag einen Laster zur spanischen Grenze abzuschicken. Aber diese Nachschublieferungen, Ergebnis von so viel Opferbereitschaft und Hingabe, stellten, an ihrem Ziel angelangt, verglichen mit dem Ausmaß des Benötigten, nur einen Tropfen auf dem heißen Stein dar.

Anarchisten in der Regierung?

Ende September sorgte eine unerwartete Nachricht für zusätzlichen Zwist unter den französischen Anarchisten.

Fünf katalonische Anarchosyndikalisten hatten sich bereit gefunden, der Koalitionsregierung Largo Caballeros beizutreten.

Sofort schrieb Fred Barthélemy einen äußerst heftigen Artikel im Libertaire, den er mit „Der verhängnisvolle Abweg“ betitelte. Beim heutigen Wiederlesen ist immer noch Freds Beklemmung zu spüren, die ihm die Kehle zuschnürte, die Erregung und Verzweiflung, die sich im Stakkato seiner Zeilen niederschlägt:

„So beugt sich die mächtigste libertäre Organisation der Welt der bürgerlichen Macht. Sie, die stets die Überlegenheit der direkten Aktion betonte, schickt fünf Minister in eine Regierung, die fortan die Anarchisten an der Leine führt. Wie 1919 in Russland rechtfertigen sie sich damit, dass der drohende Sieg reaktionärer Kräfte ihre Mitarbeit erfordere. Was in Moskau passierte, ist offenbar nicht lehrreich genug. Es ist stets die gleiche Kapitulation. Entweder unsere spanischen Genossen verleugnen nach und nach ihre Prinzipien oder sie werden liquidiert. Wie kann man das Proletariat vor den Verlockungen der Macht warnen und sich selbst höflichst vor ihr verbeugen, sobald sie den Anschein einer Veränderung bietet? Unsere fünf Genossen in der Regierung der Frente popular sind ein schlechter Scherz. Leider wird erst die Zukunft zeigen, dass es sich um einen fatalen Irrtum handelt. Ein Minister ist immer eine komische Figur. Aber diese fünf werden am Ende als die Idioten dastehen.“

Von diesem Moment an kannte Fred nur noch ein Ziel: nach Katalonien aufbrechen, sich Germinal und Cottin in der Durruti-Kolonne anschließen.

Der Roman

"Das Gedächtnis der Besiegten", im Original 1990 erschienen, ist ein Historienroman, der versucht, die politische Geschichte des 20. Jahrhunderts in ein großes, erzählerisches Panorama zu fassen. Über die Biographie einer fiktiven Hauptfigur werden die wichtigen Etappen und Wendepunkte dieses Zeitalters miteinander verknüpft und aus anarchistischer Sicht geschildert.

Der "Held", Fred Barthélemy, wächst am Vorabend des ersten Weltkriegs im Pariser Anarchistenmilieu auf, gelangt während des Krieges als Mitglied einer französischen Militärmission nach Russland, wird Beobachter und Beteiligter der revolutionären Ereignisse und Machtkämpfe, kehrt desillusioniert in das Frankreich der Zwischenkriegszeit zurück, macht sich einen Namen als politischer Publizist, nimmt am spanischen Bürgerkrieg teil, verbringt den Zweiten Weltkrieg als politischer Dissident in Haft und gehört schließlich in den Nachkriegsjahren zu den Vergessenen, die erst in Zeiten eines erneuten politischen Aufbruchs (Mai 68) wieder ins Rampenlicht treten.

Der Verfasser, Michel Ragon (Jahrgang 1924), war in Frankreich bereits als Kunst- und Architekturhistoriker bekannt, bevor er Anfang der 1980er Jahre auch als Romancier den Durchbruch schaffte. Als Kunstkritiker ein Verfechter der Avantgarde, geht Ragon in seinem literarischen Werk einen anderen Weg. In seinen oft mit autobiographischen Bezügen versehenen Geschichtsromanen knüpft er an die Tradition des realistisch-naturalistischen Erzählens an und zielt darauf ab, mit klar strukturierten Geschichten ein Massenpublikum zu erreichen.

Wie in seinem bekanntesten (und bis heute einzigen ins Deutsche übersetzten) Roman "Die roten Tücher von Cholet", der den Massenmord an der aufständischen Bevölkerung der Vendée (Provinz in Westfrankreich) während der französischen Revolution thematisiert, geht es Ragon auch in "Das Gedächtnis der Besiegten" darum, die aus der offiziellen Geschichtsschreibung verbannten Kämpfe vergessener und besiegter Sozialbewegungen wieder ins Gedächtnis zu rufen.