So lautete kürzlich das Thema einer Diskussionssendung im Radio. Und damit niemand auf Lustgewinn verzichten muss, liegt schwarz-rot-goldenes Tuch den Tageszeitungen bei, "Satisfaction guaranteed". Tatsächlich: Soviel Flagge wurde lange nicht mehr gezeigt. Und die Hymne wird intoniert: "Brüll im Glanze dieses Glückes".
Mit geradezu religiöser Inbrunst werden „Fußball-Götter“, wahlweise für Anhänger der Antike: „Titanen“, gefeiert, die Spieler haben die Verehrungswürdigkeit moderner Heiliger erlangt, eines der Bilder, die immer wieder in ähnlichen Formen gezeigt werden: Ein Spieler kniet auf dem Rasen, die Hände zum Himmel erhoben. Er bedankt sich für ein Tor, er hadert mit dem Schicksal, wenn er vorbeigeschossen hat. Transzendenz, die Gemeinschaft der Heiligen, die Liturgie: Je industrialisierter und kommerzialisierter der Sport wird, desto mehr wird er als etwas ganz anderes imaginiert: „You’ll never walk alone“ – Gemeinschaft, Klassenlosigkeit, Vorschein vom Ende der Trennungen. Und dass unter diesem Banner genau das Gegenteil davon organisiert werden kann, macht den Lustgewinn für das Management aus. Der kurze Rausch, die komplette Illusion, der Fan opfert sich für seinen Verein und ist immer der Betrogene. Alles wie im richtigen Leben.
Auffällig sind Fahnen, Hymnen, alle Zeichen der Zugehörigkeit in der Fankultur: Es ist die verzweifelte Suche nach Heimat und Schutz in einer kalten, mechanisierten, verwalteten Welt. Hier dürfen Emotionen gezeigt werden, auch von Männern.
„Leuchte auf, mein Stern Borussia, ich folge Dir, wohin Du gehst“ wird auf die Melodie der alten Hymne „Amazing Grace“ gesungen. Auch auf Beerdigungen. Was dem Leben Sinn gibt, gibt auch dem Tod Sinn. So wie früher Jahreszeiten und das Kirchenjahr das Leben organisierten, so tun dies heute die Termine großer Sportveranstaltungen: Vor der WM ist nach der WM.
Und die, die gerne die letzten religiösen Feiertage einsparen würden (wozu noch Christi Himmelfahrt, Ostermontag, Pfingstmontag, sind das nicht enorme Standortnachteile?), zeigen große Toleranz für die Feiertage der sportlichen Fahnenweihe. Sogar der Selbständigen-Verband BDS forderte die Unternehmer auf, die Gelbe oder Rote Karte stecken zu lassen, wenn Beschäftigte Radio-, Fernseh- oder Internet-Übertragungen der WM-Spiele verfolgen, denn „zufriedene Mitarbeiter sind motivierte Mitarbeiter“ – „nach dem 9. Juli wird dann wieder voll gearbeitet.“ Und zwar mit dem Teamgeist, den wir gerade gesehen haben. Die MitarbeiterInnen dürfen auch ihre Überzeugungen offen zeigen, solange sie kein Kopftuch tragen … und den Betriebsfrieden nicht stören.
Schließlich: Leben wir etwa nicht in einer „Wissensgesellschaft“? Da muss man doch den Spielstand kennen.
Die Religionen und Kirchen sind in dem Maße, wie sie Macht verlieren, kritischer und sozialer geworden, sie legitimieren nicht mehr ganz überwiegend Herrschaft, Krieg und Ausbeutung. Sie müssen sich rechtfertigen und werden kritisch beobachtet. Es ist, als ob einige der bösesten, gewaltfördernden Charakteristika sich neue Orte und Zeiten suchen.
Die Religion des modernen Staates aber ist der Nationalismus: Hier bekommt das Leiden und Sterben seinen Sinn, hier wird in Heldendenkmälern und glorifizierenden Ritualen eine säkularisierte Unsterblichkeit der Opfer behauptet, die im Kollektiv fortleben bis hin zum „Du bist nichts, Dein Volk ist alles“.
Die Diagnose des Feuilletons: Es gibt eine Sehnsucht nach Patriotismus, die in der globalisierten Moderne sonst nicht mehr gelebt werden kann, hier wird etwas wieder übersichtlich, ein Grund zum Feiern. Damit das Ganze fröhlich bleibt, wird ein dichtes Netz disziplinierender Kontrollen um die schwitzenden Körper gespannt, industrialisierte Begeisterung ist zuletzt immer Begeisterung für Ordnung, Rahmen, Raster, oft genug: für Gewalt.
In den Medien wird aber von dieser Gewalt nicht der soziale Kern, sondern nur der ungerichtete Rand thematisiert: Hooligans. Davon abgegrenzt ist der Sport gerade ein Zivilisierungsmodell: Fair play, alles folgt den Regeln, Schiedsrichterentscheidung gilt (auch wenn Millionen in aller Welt in Echtzeit sehen: Er hat sich geirrt). Nur selten werden Spieler noch staatlich bestraft, weil sie durch Niederlagen die Ehre der Nation besudeln. Die Ausnahme ist auch, dass ein Spieler hingerichtet wird, weil er einen hohen Wetteinsatz zunichte gemacht hat, egal wie. Das ist Kolumbien, die haben noch nicht begriffen: Alles nur Spiel. Da wird noch mit Gewalt das Marktgeschehen irritiert.
Sonst ist Sport überall das Fest der Leistungsideologie. Als würde nicht alltäglich das Gegenteil erlebt, wird die Ansicht, es sei der Beste, der gewinne, demonstriert. Jeder seines Glückes Schmied. Ein wenig Glück muss natürlich dabei sein, aber das Ideal ist doch, dass die Leistungsstarken gewinnen, der Beste siegt. Die sozialen Ausscheidungskämpfe werden so erläutert.
Hier ist tatsächlich die männliche Sprachform allein angemessen; Sport ist die Domäne ganz bestimmter Formen von Männlichkeit, die aufs engste mit Gewalt legiert sind. Wenn krasse Formen des Sexismus (ebenso des Rassismus, Antisemitismus; das alles verbindet sich) sichere Rückzugsgebiete finden, dann hier. Die Kampagnen gegen Zwangsprostitution während der „fröhlichen“ Spiele haben versucht, das zum Thema zu machen.
Die Spiele werden jetzt auch verwissenschaftlicht; wo Marketing und Betriebswirtschaft regieren, kann die Statistik nicht wegbleiben, „wissenschaftliche Betriebsführung“ sucht auch Rationalisierungsvorteile.
So wird versucht, den „Heimvorteil“ wissenschaftlich zu erforschen: Was ist eigentlich die Ursache dafür, dass Mannschaften im eigenen Stadion den „Gast“-Mannschaften (den Fremden!) überlegen sind? Wie heute üblich: Speichelprobe – und das Ergebnis: mordsmäßige Testosteron-Ausschüttung der Mannschaft, die „auf ihrem Territorium verteidigt“, durch das Testosteron aber: mehr Aggressivität, bessere Orientierung im Raum, größere Reaktionsgeschwindigkeit, also bessere Leistung, also Sieg auf der ganzen Linie, (kleiner intellektueller Scherz für den Öffentlichkeitsoffizier Sanftleben J:) also Clausewitz: Vorteil der Verteidigung über den Angriff, also Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Die Fahne sollte uns schon Warnung genug sein, deckt sie doch jedes Unrecht: „Right or wrong, my country“; vielleicht liegt aber die entscheidende soziale Bedeutung der „fröhlichen Spiele“ in etwas anderem: Im „Normalfall“ tatsächlich nur Ablenkung und Kompensation für die Eintönigkeit des Alltags und sogar völkerversöhnend wie früher die Sozialdemokratie, zivilisierend, weil eben Spielergebnisse in der Regel nicht gewalttätig korrigiert werden, zeigt die Struktur körperbetonter, gewaltbereiter Männlichkeit in gesellschaftlichen Krisensituationen ein ganz anderes Gesicht.
Das wurde etwa deutlich, als der jugoslawische Staat zerfiel und aus dem Umkreis von Fußballmannschaften … Milizen entstanden. Dies ist möglich, weil dort kämpferische, gar kriegerische Werte, Gewaltbereitschaft und nationalistische Legitimation wie auf Vorrat für solche Situationen latent vorhanden sind. Solche Vorab-Militarisierung wird gerade wichtig, wenn Gesellschaften ihre Heere verkleinern oder es keine allgemeine Wehrpflicht gibt. Dann sind die Männerbünde um die Vereine die „natürliche“ Rekrutierungsgrundlage für nationalistisch legitimierte Gewalthaufen, staatlich oder parastaatlich.
Die Welt aber hat ein Problem: Sie hat keine Freunde. Nur UFO-Sekten glauben etwas anderes. Und sie neigen zum Selbstmord, weil sie glauben, es werde sie dann jemand „dort abholen, wo sie stehen“.
Anmerkungen
P.S.: Das Gold kann man abtrennen, dann diagonaler Schnitt, Ränder umnähen, geht. Aber ...