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Die Renaissance der Clan-Mütter

Im Kampf der kanadischen Irokesen um Land und Freiheit gewinnen die Traditionalisten an Gewicht

| Thomas Wagner

Ginge es nach dem Indian Act, der gesetzlichen Grundlage für die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen staatlicherseits als Indianer anerkannter Gruppen, dürften die Clan-Mütter der Irokesen (Haudenosaunee) vom Six-Nations-Reservat in Ontario eigentlich keine politische Rolle spielen. De facto haben sie jedoch die größte Autorität unter den AnhängerInnen der traditionalistischen Langhaus-Religion, des Konföderationsrats der Häuptlinge und der militanten "Kriegergesellschaft" (Warrior Society). Die Clan-Mütter gelten als Hüterinnen des Landes und setzen nach altem Brauch die Häuptlinge ein und ab. So musste es auch nicht überraschen, als im Februar dieses Jahres Hunderte von IndianerInnen einem Aufruf der Clan-Mütter und Konföderationshäuptlinge folgten, um bei der Stadt Caledonia ein Neubaugebiet zu besetzen, das sie als ihr Nationalterritorium betrachten.

Die Wurzeln des Konflikts reichen tief in die amerikanische Kolonialgeschichte zurück. Die Konföderation der Irokesen vereinte im 18. Jahrhunderts die sechs Nationen der Mohawk, Oneida, Onondaga, Cayuga, Seneca und Tuscarora. Gemeinsam waren sie im „French and Indian War“ (1754-1763) Englands Alliierte. Im Unabhängigkeitskrieg der USA rissen auch die Bande der Irokesen. Manche kämpften gegeneinander auf Seiten Englands oder der rebellierenden Kolonien. Manche blieben neutral. Nach Kriegsende garantierte England seinen nach Kanada geflüchteten Verbündeten im Jahr 1784 als Entschädigung für Landverluste ein ca. 380.000 Hektar großes Territorium an beiden Ufern des Grand River.

Durch fortgesetzten Landraub kanadischer Siedler hat sich das Gebiet der Grand River-Irokesen heute auf etwa nur noch 5 % ihres ehemaligen Territoriums reduziert. 1841 wurde eine Straße mitten durch ihr Land gebaut: heute der Highway Six. Umstritten ist, ob das Land damals rechtmäßig verkauft, so die Version Ontarios, oder nur verpachtet wurde.

Die Clan-Mütter fordern es im Auftrag der Konföderation der Irokesen von Kanada zurück und erklären darüber hinaus, als souveräne Nation behandelt werden zu wollen: „Respekt für den internationalen Status der Six Nations war erlangt, noch bevor Kanada seine eigene Anerkennung als Staat erreichte und die Fähigkeit errang, selbst Verträge zu zeichnen.“

Am 20. April scheiterte ein Räumungsversuch der Provinzpolizei (OPP) am indianischen Widerstand. Es folgten Solidaritätsaktionen mit den Six Nations in ganz Kanada. Straßensperren wurden errichtet, Brücken und Eisenbahnlinien vorübergehend blockiert. Aber auch die IndianergegnerInnen sammelten sich. Immer wieder kam es zu rassistischen Ausschreitungen gegen das Besetzercamp.

Unterdessen verhandeln Staatsvertreter und Irokesen über eine friedliche Konfliktlösung.

Die Provinz ernannte Ontarios früheren Premier David Peterson zu ihrem Verhandlungsführer.

Noch 1990 hatte die Bundesregierung die Armee eingesetzt, um eine ganz ähnliche Landbesetzung durch eine handvoll bewaffneter Mohawk bei Oka zu beenden.

Anfang Mai riefen die Clan-Mütter die Vereinten Nationen durch ihre Gesandte Doreen Silversmith um Hilfe an. Sie erbaten internationale BeobachterInnen.

Bislang verbannen die Clan-Mutter alle Schusswaffen von den Barrikaden. Ob der Konflikt diesmal friedlich beigelegt wird, ist dennoch ungewiss. Für den Fall polizeilicher oder militärischer Übergriffe, so die BesetzerInnen, müsse sich Kanada auf umfangreiche Blockadeaktionen und massiven Widerstand im ganzen Land gefasst machen. Am 8. Juni haben sich 100 Indianerführer allein aus Ontario auf einer Pressekonferenz im Besetzercamp mit den Irokesen solidarisch erklärt. Die Regierung müsse mit weiteren Besetzungsaktionen rechnen, falls die vielen indianischen Landforderungen nicht erfüllt würden.

John Beaucage, ein Sprecher für 43 indianische First Nations, erklärte unmissverständlich: „Wir werden uns gegenseitig unterstützen und uns gegenseitig zur Hilfe kommen.“ Häuptling Wilfried King von der Gull Bay First Nation ergänzte: „Ihr Kampf ist unser Kampf, und unser Kampf ist ihr Kampf“.

Die Assembly of Manitoba Chiefs hat am 14. Juni bereits eine Resolution veröffentlicht, in der eine 24-stündige Blockade verschiedener Eisenbahnlinien für Ende Juni angekündigt wird. Damit ist die Forderung verbunden, dass Kanadas Regierung endlich einen vernünftigen Zeitplan für die Begleichung der zahlreichen indianischen Landrückgabeforderungen vorschlagen soll. Sieben indianische Gemeinschaften haben bereits Blockadeaktionen angekündigt. Die Proteste könnten zeigen, wie verwundbar Kanadas Ökonomie im Falle eines Indianeraufstands im nationalen Maßstab wäre.

Einen ersten symbolischen Erfolg haben die irokesischen LandbesetzerInnen schon jetzt errungen.

In einem Brief an Kanadas Minister für Indianerangelegenheiten Jim Prentice vom 16. April verzichtete der regierungsfreundliche „Six Nations of the Grand River Elected Council“ zugunsten des bislang im „Untergrund“ agierenden traditionellen Häuptlingsrates der Clan-Mütter auf seine Verhandlungsführerschaft.

Obwohl die egalitäre Konsensdemokratie des „Haudenosaunee Six Nations Confederacy Council“ seit Benjamin Franklin, Marx/Engels, den US-Suffragetten und bis hinein in die heutige postkoloniale Theorie Iris Marion Youngs als vorbildlich gilt, war die traditionelle Regierung bereits im Jahr 1924 durch Kanadas Bundespolizei (RCMP) gestürzt worden. Kurz nachdem ein Sprecher der Irokesen namens Deskaheh in Genf für die Souveränität der Irokesen geworben hatte.

Bis heute verteilt der „Elected Council“ nach den Bestimmungen des kolonialzeitlichen Indianergesetzes die Geldüberweisungen Kanadas an die Reservationsbevölkerung.

Der 1876 erlassene Indian Act stellt keine Anerkennung eines genuinen Rechts auf indianische Selbstregierung dar, sondern die konstitutive Rechtsgrundlage für die Ausübung einer äußerst beschränkten Selbstverwaltung. „Die gewählten Häuptlinge und Ratsmitglieder können ihres Amtes vom Minister of Indian Affairs […] selbst bei geringer strafrechtlicher Verurteilung enthoben werden, wenn nach Auffassung des Ministers hierdurch die Untauglichkeit des Amtsinhabers erwiesen ist.“ (1)

Die Stämme haben nur ein stark eingeschränktes Recht, Satzungen und Verordnungen zu erlassen. „Gegen das Inkrafttreten der indianischen Satzungen steht dem Minister of Indian Affairs ein Einspruchsrecht zu, welches innerhalb von 40 Tagen nach Zugang der Gesetzesvorlage ohne nähere Begründung ausgeübt werden kann.“ (2)

Finanziell hängen die Stämme am staatlichen Tropf. „Den Stämmen selbst steht weder eine selbständige Erschließung von Einnahmen noch die selbständige Entscheidung über die Verwaltung der Finanzmittel zu.“ (3)

Bei alldem muss es nicht verwundern, dass der legal gewählte Stammesrat von der Mehrheit der Bevölkerung eher geduldet als unterstützt wird. Die moralische Autorität fällt seit Jahrzehnten dem abgesetzten Konföderationsrat zu.

Das geschlechtsegalitäre Zusammenspiel von Clan-Müttern und Konföderationshäuptlingen bildete einst das Gerüst einer egalitären Konsensdemokratie. Heute gelten die Traditionalisten vielen zwar nicht als das legale, wohl aber das legitime Sprachrohr der Irokesen.

(1) Willams-Vedder, Petra: Die Rechtsstellung der eingeborenen Völker in den USA und Kanada nach nationalem Recht und Völkerrecht. Franfurt a.M., Peter Lang Verlag 1995, S. 120

(2) Ebd., S. 121

(3) Ebd., S. 122

Anmerkungen

Dr. Thomas Wagner ist Soziologe und Autor u.a. von: Irokesen und Demokratie. Ein Beitrag zur Soziologie interkultureller Kommunikation, Lit-Verlag, Münster 2004