Am 11. Juni 2006 habe ich im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des Infoladen Bankrott und der anarchosyndikalistischen Freien ArbeiterInnen Union (FAU Münster) einen Vortrag zum Thema „70 Jahre Spanische Revolution“ gehalten.
Vorab habe ich einem Nachbarn davon erzählt und ihn herzlich eingeladen. Seine Antwort: „Die Spanische Revolution, das war doch in den 70ern unter Franco, oder?“
Upps. Mein Nachbar ist Öko, Hauptschullehrer, politisch gebildet und interessiert. Seine Antwort hat mich verblüfft.
Szenenwechsel
Nun lese ich den Klappentext von „DIY. Von Anarchie und Dinosauriern“, ein Buch, das gerade im libertär beeinflussten Unrastverlag erschienen ist. Dort heißt es u.a.:
„Wenn du dich für Anarchie interessierst, dann vergiss den Spanischen Bürgerkrieg und all die alten Männer mit ihren langen Bärten und ermüdenden Theorietraktaten!“
Öhöm. Okay, das Buch ist nicht ganz so schlecht, wie dieser vermeintlich „provokante“ Artikel der US-amerikanischen AutorInnen (Curious George Brigade u.a.) vermuten lässt. Aber der Text sagt einiges aus über Ignoranz, Borniertheit, einen in libertären Kreisen offenbar weit verbreiteten Tunnelblick. Die DIY-AutorInnen sind offenbar kaum in der Lage, über den eigenen Szene-Horizont hinaus zu schauen. Denn sonst hätte ihnen bewusst sein müssen, dass die meisten Menschen über die Spanische Revolution und den Bürgerkrieg soviel wissen wie mein Nachbar, nämlich nichts. Und wo nichts ist, da kann auch nichts vergessen werden.
Ganz im Gegenteil. Angesichts des geringen Bekanntheitsgrades, der üblichen Geschichtsverdrehung und der großen Forschungslücken, die es in diesem Zusammenhang gibt, müsste es eine Aufgabe der libertären Bewegung sein, die Geschichte der Sozialen Revolution 1936 und des Spanischen Bürgerkriegs bekannt zu machen und selbst weiter zu erforschen.
Zweifellos haben auch Walther L. Bernecker und andere WissenschaftlerInnen wichtige Forschungsergebnisse zur Sozialen Revolution in Spanien beigesteuert. (1)
Für viele demokratisch orientierte SpanienforscherInnen war aber der Spanische Bürgerkrieg, der bis zum Sieg der Franco-Faschisten 1939 bis zu 500.000 Menschen das Leben kostete, in erster Linie ein Vorspiel des Zweiten Weltkriegs, in dem der Kampf zwischen Faschismus und bürgerlicher Demokratie vorweg genommen wurde.
Etwas Entscheidendes kehren auch sie gerne unter den Teppich: Die Bewährung in der Praxis und die konstruktiven Errungenschaften einer dem Kapitalismus und dem etatistischen Sozialismus konträren Gesellschaftsform, die unter Bürgerkriegsbedingungen zeigen konnte, dass sie produktiver und menschengerechter als die Herrschaft von Staat, Kapital, Bürokratie und Klerus ist: der libertäre Sozialismus.
Mit 1,5 Millionen Mitgliedern war 1936 die anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT [Confederación Nacional del Trabajo, zu deutsch etwa ‚Nationale Föderation der Arbeit(erInnen)‘] die größte politische Kraft in Spanien. Über die während der Revolution in Barcelona vor allem unter Federführung der CNT vollzogenen Kollektivierungen berichtet u.a. der deutsche Anarchist und Spanienkämpfer Augustin Souchy (2). Alle Wirtschaftszweige wurden kollektiviert und die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln von der Gewerkschaft der Nahrungsmittelindustrie übernommen. „Vierzehn Tage lebte man in Barcelona ohne Geld. Die Bevölkerung wurde in öffentlichen Speisehallen von den Gewerkschaften gratis ausgespeist“, so Souchy. Die Wirtschaft wurde nach sozialistischen Gesichtspunkten sozialisiert, Kleingewerbetreibende schlossen sich in einem gewerkschaftlichen Produktionsverband zusammen, der ihre Löhne zahlte, unrentable Unternehmen wurden niedergelegt oder mit anderen zusammengeschlossen. Die allgemeinen Löhne wurden erhöht, die hohen unproduktiven Gehälter der Direktoren abgeschafft. Die Verkehrsbetriebe wurden von den Arbeiterinnen und Arbeitern in Selbstverwaltung betrieben, die Abschaffung der Direktoren und deren Gehälter hatte zur Folge, dass die Löhne der arbeitenden Menschen erhöht, die Fahrpreise und die Arbeitszeit gesenkt werden konnten. Insgesamt funktionierte das Verkehrswesen nach der Kollektivierung, auch aufgrund einer Reduzierung des Verwaltungsaufwandes, besser als vor der Revolution. Auf dem Land, vor allem in Aragón, Katalonien, in der Levante und Kastilien wurde ebenfalls kollektiviert. Die bäuerlichen Gewerkschaftsorganisationen der CNT und UGT hatten sich auf eine genossenschaftliche Bewirtschaftung des Landes und auf die Freiwilligkeit der Beteiligten verständigt.
Der „kurze Sommer der Anarchie“ 1936 war die Realisierung libertärer Utopien, das bis heute größte Projekt sozialer Befreiung.
Die in GWR Nr. 310 und 311 erschienenen Artikel zum Schwerpunktthema „70 Jahre Spanische Revolution“ skizzieren dieses Experiment sozialer Emanzipation und die Schwierigkeiten, an denen es letztlich gescheitert war. Eine in den nächsten Ausgaben der GWR noch in Angriff zu nehmende Aufgabe ist die Analyse der problematischen Entwicklungen von Teilen des spanischen Anarchosyndikalismus: Militarisierung, Bürokratisierung, Hierarchien, Machismo, Beteiligung an der Regierung, weit verbreitete Homophobie, …
Wer heute die Welt verändern will, kann aus der (libertären) Geschichte, aus den großartigen sozialen Leistungen, die die anarchistische Massenbewegung in Spanien vollbracht hat, aber auch aus den damals gemachten Fehlern lernen.
(1) Vgl. Walther L. Bernecker / Sören Brinkmann, Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936-2006, Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim 2006
(2) Vgl.: "Nacht über Spanien - Anarcho-Syndikalisten in Revolution und Bürgerkrieg 1936-39, Ein Tatsachenbericht", Trotzdem, Frankfurt/M. 2006
Veranstaltungen zum Thema "Spanische Revolution"
6.7., 20.30 Uhr, Offene Arbeit, Allerheiligenstr. 9/Hinterhaus, Erfurt: Spanischer Bürgerkrieg und Soziale Revolution für Einsteiger
9.7., 20 Uhr, Don Quijote, Scharnhorststr. 57, Münster: "Die Kultur der sozialen Revolution", Vortrag von GWR-Autor Martin Baxmeyer
11.7., 19.30 Uhr, Begegnungsstätte Kleine Synagoge, An der Stadtmünze 4/5, Erfurt: Walther L. Bernecker, "Kampf der Erinnerungen. Der Spanische Bürgerkrieg 1936-2006" (Verlag Graswurzelrevolution 2006)
14.7., 20 Uhr, FAU-Lokal, Straßburger Str. 38, Berlin-P'Berg: Film: "Unversöhnliche Erinnerungen"
19.7., 20 Uhr, Die Brücke, Willmergasse, Münster: "Feministinnen in der Revolution. Die Gruppe Mujeres Libres", Vortrag von Vera Bianchi
21.7., 20 Uhr, FAU-Lokal, Straßburger Str. 38, Berlin: Lesung: "Füchse der Ramblas"(Edition AV) mit Autor Oliver Steinke
22.7., 18-24 Uhr, Gotthardstr., Grünfläche hinter der Krämerbrücke, Erfurt: Open Air Geschichte wird gemacht: 70 Jahre Spanischer Bürgerkrieg. Mit historischer Musik, Infos, Film "Land and Freedom" (Ken Loach)
26.7., 19 Uhr, Club M, Stadtfeldkamp 43, Kiel: "Feministinnen in der Revolution" (Unrastverlag), mit GWR-Autorin Vera Bianchi