concert for anarchy

Try to Remember Peace

Ehren Watada und Neil Young gegen diskursive Hegemonie

| Rüdiger Haude

Ende Juni 2006 erwartet Ehren Watada, Leutnant der US-Armee, seinen Marschbefehl in den Irak-Krieg. Er ist der erste Leutnant, der diesen Befehl verweigern wird.

Watada, der der Armee 2003 im Vorfeld des Irakkriegs beigetreten war, äußert in einem Interview seine Beweggründe für seinen Ungehorsam, der ihm u.a. zwei Jahre Gefängnis einbringen kann. Er sagt, er sei noch immer Patriot und glaube an „Dienst und Pflicht“. Er sei Soldat geworden, weil er den Erklärungen der Regierung vertraut habe, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen und sei in die Anschläge vom 11. September 2001 verstrickt. Aber als Offizier, als Vorgesetzter von Soldaten in einen Krieg zu ziehen, bedeute für ihn, sich möglichst umfassend über diesen speziellen Krieg zu informieren. Dass der Oberbefehlshaber (George W. Bush) diesen Krieg auf Lügen und Betrug fundiert habe, habe das unabdingbare „Band des Vertrauens“ zerstört, das funktionierenden Militärstrukturen zugrunde liege. Wenn man merke, dass man vom Vorgesetzten betrogen werde, bleibe einem keine andere Wahl, als eigene Entscheidungen zu treffen.

Watada ist, wie man sieht, kein Pazifist, viel weniger ein Anarchist. Aber sein Schritt zur Selbstbestimmung ist nicht nur persönlich erfreulich, sondern auch als Intervention im Kriegsdiskurs in den USA. Ob die interviewende Zeitung, left turn, mit ihrer Einschätzung richtig liegt, hieraus könne „die größte GI-Widerstandsbewegung seit dem Vietnamkrieg“ erwachsen, darf man vielleicht noch mit Skepsis betrachten. Aber der Diskurs ist offenbar tatsächlich in Bewegung geraten. Ein wichtiges Symptom dafür ist die neue CD des Altrockers Neil Young, Living With War.

I join the multitudes
I raise my hand in peace
I never bow to the laws of the thought police
I take a holy vow
To never kill again
To never kill again

So singt Young im Titelsong der Scheibe, deren Erwerb hier unbedingt empfohlen sei. Jedes der zehn Lieder ist geprägt von einer unbändigen Wut auf die Lügen und Verbrechen der Bush-Administration, gipfelnd in dem hymnischen Song Let’s Impeach the President (Lasst uns den Präsidenten absetzen). Die in wenigen Wochen produzierte Scheibe, die Anfang Mai auf den Markt kam und vorher bereits kostenlos im Internet zu downloaden war, bietet den von Neil Young bekannten anti-perfektionistischen Scheunen-Rock-Sound aus E-Gitarre, Bass (Rick Rosas) und Drums (Chad Cromwell). Unterstützt wird Young diesmal aber von einem hundertköpfigen Chor, der das Pathos der zornigen Botschaften schön unterstreicht. Auf einigen Stücken ist ferner die Trompete von Tommy Bay zu hören, die mit ihrer symbolischen Zweifachcodierung als Militärinstrument und als Instrument der Schwarzen ein Element von Ambivalenz in die Musik trägt.

So wenig wie Leutnant Watada ist Neil Young ein Anarchist.

Unmittelbar nach dem wunderbar selbst-ermächtigenden Let’s Impeach the President ist er bereits wieder Looking for a Leader, auf der Suche nach einem Führer, der mit Korruption und Verwüstung aufräumt und der ruhig „eine Frau oder ein schwarzer Mann“ sein könne. Darüber hinaus steckt die ganze Platte voller Ansprüche, der herrschenden Clique die diskursive Hegemonie über traditionelle US-amerikanische Werte streitig zu machen: die Religion, die Familie, die Flagge. Für einen Hörer in Deutschland haben die Texte dadurch etwas Exotisches, aber als gegenhegemoniale Strategie in der US-Gesellschaft ist dies vermutlich durchaus erfolgversprechend. Konsequent ist das letzte der zehn Lieder eine mit selten gehörter Inbrunst a capella vorgetragene Version der kitschigen Hymne America the Beautiful (und hier ist schließlich selbst beim Verfasser dieser Zeilen die kulturelle Kluft nicht mehr zu überbrücken).

Der Rekurs auf traditionelle Werte ist bei Young aber nicht rein strategisch; so tickt er wirklich! Er, der Kanadier, träumt bis heute den American Dream, ein in Europa schwer nachvollziehbares Amalgam aus individueller Freiheit und integrativen Instanzen wie eben Familie, Religion und Flagge. Young hatte sogar vor Jahren den Patriot Act befürwortet, mit dem die Bush-Regierung Bürgerrechte einschränkte. Jetzt schreit er gegen das dadurch epidemisch gewordene Abhören von Telefonen an: einer, der merkt, dass er sich hat verarschen lassen.

Dies verbindet den Rock-Star Neil Young und den Leutnant Ehren Watada. Es ist zu wünschen, dass ihr Beispiel Schule macht.

Anmerkungen

Interview mit Watada: www.leftturn.org

Living With War anhören: www.neilyoung.com