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10 Jahre X-tausendmal quer

Ein Ständchen für den Widerstand

| Bernd Drücke

Am 20. August 2006 forderten neun CDU-regierte Landesregierungen den "Ausstieg aus dem Atomausstieg".

Auf dem Wunschzettel der AtomlobbyistInnen stehen ein Ausbau der Atomanlagen, neue AKWs und längere Laufzeiten, auch für marode Atommeiler.

Unglaublich! Weder Tschernobyl noch der Beinahe-Super-GAU am 26. Juli 2006 im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark-1 (1) bringen die AtomfetischistInnen von ihrem menschheitsgefährdenden Irrweg ab.

Der Atomausstieg, den die rot-grüne Bundesregierung verkündet hatte, war nie Realität, sondern eher der Versuch, große Teile der atomkritischen Bevölkerung ruhig zu halten. Die Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau wurde unter Rot-Grün massiv ausgebaut. Heute sind hierzulande immer noch 17 Atomkraftwerke am Netz.

Nicht Parteien, sondern soziale Bewegungen sind der Sand im Getriebe des Atomstaates

Die Anti-Atom-Bewegung konnte durch überwiegend gewaltfreien Widerstand zum Beispiel die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Gorleben und später in Wackersdorf verhindern. Somit hat der außerparlamentarische, von unten organisierte Widerstand das größte Vorhaben der Atomlobby, den Bau einer deutschen Plutoniumfabrik, gestoppt.

Wenn wir bedenken, dass PolitikerInnen und Atomindustrie in den 1970er Jahren davon träumten, bis zu 200 „Kernkraftwerke“ in der Bundesrepublik zu bauen, dann kann die Anti-Atom-Bewegung als eine der erfolgreichsten sozialen Bewegungen in der Geschichte dieses Landes gesehen werden.

Seit zehn Jahren ist X-tausendmal quer ein Teil dieser erfolgreichen Widerstandsgeschichte. Die Kampagne entstand im Sommer 1996 innerhalb der Anti-Atom-Bewegung, im Umfeld der graswurzelrevolution, die zu dieser Zeit in der wendländischen Kurve Wustrow ein Redaktionsbüro unterhielt.

Das Ziel von X-tausendmal quer war es, große gewaltfreie Sitzblockaden bei Castor-Transporten zu organisieren. Aus der Initiative bildete sich ein bundesweites Netzwerk von Anti-Atom-AktivistInnen.

Von Teilen der autonomen Szene wurde das explizit gewaltfreie X-tausend-Konzept als „spalterisch“ abgekanzelt, während gleichzeitig Verfassungsschutz und Polizei gegen die „angeblich gewaltfreie“ Initiative mobil machten. So wetterte beispielsweise die bei PolizeibeamtInnen weit verbreitete Deutsche Polizei-Zeitung Nr. 5/2001 auf drei Seiten gegen graswurzelrevolution, Kurve Wustrow und X-tausendmal quer. (2) Titel des Deutsche Polizei-Pamphlets: „Unter dem Deckmantel der Gewaltfreiheit“.

Der Hintergrund solcher Hetze ist leicht zu durchschauen: Während des Castor-Transports im März 2001 haben viele X-tausendmal quer-AktivistInnen und andere AtomgegnerInnen mit PolizistInnen diskutiert. Einige BeamtInnen konnten dabei zum Nachdenken gebracht werden, äußerten Kritik am Polizeieinsatz, Selbstzweifel und Sympathie für die gewaltfreien BlockiererInnen.

Die Polizeiführung stand unter Erklärungsdruck: Wie ist ein nicht selten brutales Vorgehen gegen gewaltfreie AktivistInnen bei KritikerInnen auch innerhalb des Polizeiapparates zu rechtfertigen? Wie kann das für die Wasserwerfer- und Knüppeleinsätze notwenige Feindbild „gewalttätiger Demonstrant“ bei den BeamtInnen aufrecht erhalten werden, wenn die vermeintlichen „Gewalttäter“ auch für PolizistInnen leicht als gewaltfrei zu erkennen sind?

Der gewaltfreie Widerstand rüttelt an Feindbildern, den Grundpfeilern des Polizeiapparats.

Gerade die große Offenheit, die X-tausendmal quer ausstrahlt, macht sie so „gefährlich“ und attraktiv. Auch Leute, die aus Grausen vor der (Staats-)Gewalt nicht auf Demonstrationen gehen wollen, trauen sich nun, an gewaltfreien Blockaden teilzunehmen. Sie können im Rahmen gewaltfreier Trainings ihre Angst überwinden und miterleben, dass gemeinsamer Widerstand Spaß machen kann und keineN verletzen muss.

X-tausendmal quer präsentiert sich als zugänglich für alle, die sich gemeinsam und solidarisch mit anderen gegen Atomkraft und für eine gewaltfreie Welt engagieren wollen.

Die Massenblockaden von X-tausendmal quer trugen dazu bei, dass die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel 1997 einen Stopp der Castor-Transporte ins Wendland verfügen musste, der bis zum Jahr 2000 hielt.

Aktiv sind die X-tausend-AktivistInnen aber nicht nur, wenn es darum geht, Atommülltransporte ins Wendland zu stoppen.

„Wir betreiben Aufklärungsarbeit im Streit um die Zukunft der AKWs, organisieren im Bündnis mit anderen Gruppen Demonstrationen und Veranstaltungen und geben gerne unser Know-how in Sachen Atomkraft und auch der Organisation von Großaktionen Zivilen Ungehorsams weiter. Gründlich beschäftigen wir uns auch mit den juristischen Folgen von Aktionen. Unsere Jura-Selbsthilfe unterstützt dabei Betroffene – oft mit Erfolg.

Regelmäßig finden bundesweite Koordinationstreffen statt, an denen Interessierte gerne teilnehmen können. Die konkrete Arbeit geschieht in verschiedenen Arbeitsbereichen, auch diese sind offen für motivierte MitstreiterInnen.“ (www.x-tausendmalquer.de)

Die „Professionalität“, die sich nicht nur im gut gemachten, bunten X-tausendmal quer Rundbrief widerspiegelt, sorgt dafür, dass die Initiative von vielen BewegungsaktivistInnen bisweilen naserümpfend und vielleicht nicht ganz zu unrecht als eine Art „Anti-Atom-Greenpeace“ wahrgenommen wird. Anders als die Umweltschutzorganisation versteht sich X-tausendmal quer aber als basisdemokratisch.

Der zehnte Castor-Transport nach Gorleben wird voraussichtlich vom 10. bis 14. November 2006 rollen.

Grund genug, sich wieder gemeinsam quer zu stellen, X-tausendmal quer.

((1)) vgl. X-tausendmal quer Rundbrief 27, Herbst 2006

((2)) siehe: Bernd Drücke: Feindbild "Anarchist". Wie die Organe der Staatsgewalt aus Gewaltfreien "Gewalttäter" machen, in: GWR 260, Sommer 2001