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Adlertag

| Rüdiger Haude

Über den Ausbruch von deutschem "Patriotismus" bei der Fußball-WM ist im Allgemeinen wahrlich genug Papier bedruckt worden.

Darum nur ein Satz zu diesem Phänomen: Ja, die Orgien in schwarz-rot-gold bedeuten die endgültige Enttabuisierung des Nationalstolzes in einem Land, dessen politische Vergangenheit und Gegenwart immer noch genug Anlass böten, Scham statt Stolz zu zeigen, und: ja, dieses Nationalgefühl hat sich dabei selbst gewandelt, ist weniger glatzig und sogar irgendwie multikultiger geworden, so dass man einfach nicht mehr jeden der fröhlichen Fahnenträger verachten kann, und schließlich: ja, vor allem waren die Leute wild darauf, eine Party zu feiern, und nahmen sich mit den Nationalfarben das zum Anlass passende Symbol des Dazugehörens.

Gegen die allgemeine publizistische Entwarnung, die dieser trikoloren Eruption folgte, möchte ich hier aber mit einer Probebohrung in die „Mikrophysik“ der Symbolizität des schwarzrotgoldenen Rummels Stellung nehmen. Dabei geht es um die Bedeutung des Adlers.

Ein wachsender Anteil der von den Fans benutzten deutschen Fahnen (der Kölner Stadtanzeiger schätzte am 18.6.: jede Fünfte) zeigte in der Mitte das deutsche „Bundeswappen“ bzw. den „Bundesschild“, einen heraldischen Adler.

In dieser Form handelt es sich nicht um die Bundesflagge, deren Benutzung Hinz und Kunz freisteht, sondern um die „Bundesdienstflagge“, die ausschließlich von Bundesbehörden verwendet werden darf. Jede Benutzung dieses Fahnentyps ist ein Verstoß gegen § 124 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und hätte also mit Geldbußen zwischen fünf und tausend Euro geahndet werden müssen.

Nun könnte man denken: Fein, die Leute sind massenhaft ungehorsam und scheren sich einen Teufel um Ordnungswidrigkeiten! Fein, die Besatzung der fünf Mannschaftswagen, die daneben steht, als ein Autokorso (immerhin!) an einer roten Ampel hält und wenigstens zwanzig der illegalen Fahnen geschwenkt werden, tut nichts dagegen; also weicht die Autorität des Staates immer mehr auf! Darin steckt sogar ein Körnchen Wahrheit, aber nicht mehr.

Denn im Unterschied zu den BeamtInnen wissen die Fahnen-Fans größtenteils natürlich gar nicht, dass sie etwas Verbotenes tun (was nach einem bekannten Rechtsgrundsatz nicht vor Strafe schützt).

Sie handeln hier zwar objektiv, keineswegs aber subjektiv subversiv. Dass sie das Fahnenmotiv mit Wappen der einfachen Nationalflagge vorziehen, hat offensichtlich einen anderen Grund: Das symbolische Ensemble aus Nationalfarben, Wappenschild und heraldischem Adler ist ein verdichteter Ausdruck dessen, wozu man sich bekennen will. Es hat eine archaischere Note als die bloße Trikolore, weil es auch atavistischere Gefühle sind, denen man sich hingibt. Es hat vielleicht auch einen stärkeren Anklang an mittelalterliche Turniere, mit denen der moderne Fußball-Event analogisierbar ist. Aber es ist auch ein verdichtetes Bekenntnis zum deutschen Staat. Dies aus mehreren Gründen.

Bekenntnis zum Staat ist die unbeadlerte Trikolore auch; sie ist zwar „National“-Fahne, zeigt aber die „Bundes“- also die Staats-Farben. Die Applikation des „Bundesschildes“ (oder des „Bundeswappens“) mit dem Adler verdoppelt erstens die nationale Staatssymbolik. Zweitens ist diese „Bundesdienstflagge“ staats-betonender, weil sie eben offiziell den Bundesbehörden vorbehalten ist und bis vor einiger Zeit auch fast ausschließlich vor deren Gebäuden gehisst wurde. Drittens aber, und das ist entscheidend, ist diese Flagge staatsbejahend, weil das konkrete Wappen der Bundesrepublik – der Adler – ein die Staatlichkeit besonders betonendes Motiv darstellt.

Der Adler ist der „König der Lüfte“: der gewaltigste Raubvogel. Seit den frühen Imperien-Gründungen in Mesopotamien wurde er deshalb (neben dem Löwen) besonders gerne als Wappentier von Imperien gewählt. Der römische Reichsadler wurde im Mittelalter in das Symbol des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ übersetzt und ist seitdem aus der deutschen Staatsheraldik nicht mehr herauszubekommen. Auch die jungen USA gaben sich in weiser Voraussicht ihrer imperialen Zukunft seinerzeit ein Adler-Wappen.

Wenn der Adler nun also „König der Lüfte“ ist, sind die anderen Bewohner dieser Region seine Untertanen. Häufig dienen sie ihm als Nahrung. Der Adler ist also (wie auch der Löwe) ein besonders gelungenes Symbol für Staatlichkeit, und so ist er seit dem Mittelalter auch immer wieder geschmäht worden (eine Tradition, die man nicht einschlafen lassen sollte).

Die vielen Menschen, die sich durchaus zu diesem Adler bekennen wollen, ordnen sich also – wissentlich oder nicht – dem lange, lange tradierten Dispositiv freiwilliger Knechtschaft der Deutschen ein. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass dieses Bekenntnis zum Staat in einer Zeit kulminiert, wo dieser Staat sich so ostentativ von seiner Rolle als wohltätiger Staat verabschiedet und so sehr als das kenntlich wird, was seinem Wesen entspricht: metaphorisch gesprochen, als Raubtier. Kompensatorische Identitätswünsche, Masochismus und ein unschuldiger Opportunismus vereinigen sich unter dieser Symbolik – alles in Allem keine sehr beruhigende Perspektive, Party hin, „Unverkrampftheit“ her.