Der Mann ist das starke, die Frau das schwache Geschlecht – so heißt es seit uralten Zeiten. Gern haben die „Herren der Schöpfung“ die Geschichtsschreibung nach ihren Bedürfnissen genutzt; die Leistungen der Frau auf kulturellem, politischem und wirtschaftlichem Gebiet wurden ignoriert. Frauen, die Ungewöhnliches leisteten, bekamen die Macht der Männer und ihre Konkurrenzangst zu spüren. Die Welt sähe heute anders aus, hätte es nicht immer wieder Frauen gegeben, die sich mutig gegen Unterdrückung und Engstirnigkeit wehrten. Ihnen ist die Reihe „Widerständige Frauen“ des Verlags „Edition AV“ gewidmet.
„Widerständige Frauen“ – das klingt nach „Role Model“, nach Angeboten der Identifikation.
Doch nicht die große Geste, das nach Sensation Heischende soll uns interessieren, – historische Portraits bedeuten: Würdigung der Person nach ihren Möglichkeiten und Grenzen und daher genaue Darstellung des historischen und gesellschaftlichen Umfelds der Portraitierten. Rebellieren bedeutet eben auch allzu oft Scheitern.
Sulamith Sparres Darstellung beispielhafter weiblicher Lebensläufe ist der Wahrhaftigkeit verpflichtet, es geht ihr nicht um das Angebot einer neuen weiblichen Ikone oder um leicht konsumierbare feministische Erfolgspropaganda. Darum wird sie in der Reihe „Widerständige Frauen“ auch solche Frauen vorstellen, die Niederlagen erlitten, deren Ideen und Pläne sich zu ihren Lebzeiten nicht oder erst spät durchsetzten konnten: die Reihe „Widerständige Frauen“ – was auch das Nachwort Sparres eingehend erläutert – ist kein Tummelplatz für leicht konsumierbare Erfolgs-Darstellungen einer Girlie-Generation. Sondern es geht im Gegenteil um das Aufzeigen der Mühsal, der Beharrlichkeit, die allein Voraussetzung für Erfolg sein können, aber ebenso oft zu seelischem Zerbrechen, zu Isolation und Vereinsamung führten.
Die Schriftstellerin und Journalistin Sulamith Sparre, deren „Motor“ die Neugierde auf beispielhafte Lebensläufe ist, befasst sich in ihrer ersten Monographie unter dem programmatischen Titel „Eine Frau jenseits des Schweigens“ mit der Komponistin Fanny Mendelssohn-Hensel, die lange Jahre voller Selbstzweifel und Entmutigung durchlief und sich gegen einen ignoranten Vater und Bruder durchsetzen musste, die es nicht gern sahen, wenn ein „Frauenzimmer“ ihre Kompositionen publizierte und damit dem öffentlichen Urteil aussetzte. Ehrgeiz bei einer Frau? Unmöglich! Hinzu kam noch das zeitgenössische öffentliche „Urteil“ über schöpferische Frauen allgemein, komponierende im Besonderen: man(n) ging von einem „naturgegebenen“ schöpferischen Defizit der Frau aus; und noch heute ist der Konzertbetrieb mehrheitlich von Männern als Dirigenten, Komponisten, Orchestermitgliedern und Solisten besetzt. Auch wenn innovative und mutige Komponistinnen verstärkt in die Männerdomäne „Musik“ einzudringen versuchen – die alten Ressentiments sind immer noch wirksam und kosten eine begabte Frau zusätzliche Kraft, wenn sie sich durchsetzen will.
Im Kapitel mit dem Titel „… und nicht einmal ein Mann“ erläutert Sulamith Sparre ausführlich die gesellschaftliche Situation und die Einstellung der Zeit zu komponierenden Frauen – und es wird deutlich, gegen welch ein Matterhorn an Ignoranz Fanny Mendelssohn, verheiratete Hensel, zu kämpfen hatte.
Bereits der Name der Musikerin ist gleichsam Programm: Enkelin eines berühmten jüdischen Gelehrten und Schwester eines gleichfalls berühmten Komponistin, dessen Werke heute noch gespielt werden – doch wer ist sie selbst?
Sie als Identität droht in ihrem Namen gleichsam unterzugehen. Dies will Sulamith Sparre verhindern. Es geht ihr darum, der „gleichbegabten“ Schwester (bereits die Zeitgenossen wussten dies) eines bekannten Komponisten zu jenem Bekanntheitsgrad zu erhelfen, den sie aufgrund ihrer Fähigkeiten verdient: mehr als 400 Kompositionen Fanny Mendelssohn-Hensels sind bekannt, die meisten erfuhren erst in jüngster Zeit eine öffentliche Aufführung und Würdigung.