antimilitarismus

Die NATO in Afghanistan

Vom Nation Building zur globalen Aufstandsbekämpfung

| Jürgen Wagner

Als die NATO im August 2003 das Kommando über die International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan übernahm, warnte die Friedens- und Antikriegsbewegung, dass die Allianz - und damit auch Deutschland - dort in einen umfassenden Guerillakrieg verwickelt werden würde. Und tatsächlich hat sich der Einsatz, der formal als "Stabilitätsexport" zur "Friedenssicherung" begann, inzwischen zu einer "aggressiven Aufstandsbekämpfungsoperation" entwickelt, die immer alptraumhaftere Züge annimmt, wie es der ISAF-Kommandeur David Richards formuliert..

Der Einsatz, der formal als „Stabilitätsexport“ zur „Friedenssicherung“ begann, ist inzwischen zu einer „aggressiven Aufstandsbekämpfungsoperation“ geworden, wie es der ISAF-Kommandeur David Richards formuliert. Damit gibt er gleichzeitig zu, dass es sich bei der NATO-Mission um einen Kampfeinsatz handelt, der sich von dem US-geführten Kriegseinsatz Operation Enduring Freedom (OEF) faktisch nicht mehr unterscheidet und in der Tat zunehmend mit diesem verschmilzt.

Obwohl ISAF und OEF maßgeblich zur Eskalation beitragen, indem sie eine quasi-koloniale Besatzungs- und Ausbeutungsstruktur etabliert haben und diese militärisch absichern, was innerhalb der afghanischen Bevölkerung auf zunehmenden Widerstand stößt, steht ein dringend erforderlicher radikaler Kurswechsel in Form eines Abzugs der westlichen Truppen nicht zur Debatte.

Warum, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Rede am 25. Oktober, als sie angab, „dass die Stabilisierung Afghanistans derzeit eine der größten Herausforderungen für die NATO und ihre Mitgliedstaaten ist. Sie ist gleichsam so etwas wie ein Lackmustest für ein erfolgreiches Krisenmanagement und für eine handlungsfähige NATO“. Am Hindukusch, so die Kanzlerin, wird also nicht nur Deutschland aktiv verteidigt, was ihr ohnehin niemand mehr glaubt, nein, dort entscheidet sich nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft der „transatlantischen Wertegemeinschaft“, also der gesamten westlichen Kriegs- und Ausbeutungspolitik.

Aus diesem Grund verlängerte der Bundestag am 28. September konsequenterweise das ISAF-Mandat um ein weiteres Jahr, das es erlaubt, bis zu 3.000 deutsche Soldaten in Afghanistan einzusetzen. Ungeachtet aller Skandale wurde am 10. November auch das deutsche OEF-Mandat ebenfalls um 12 Monate verlängert, in dessen Rahmen u.a. das Kommando Spezialkräfte in Afghanistan eingesetzt werden kann.

OEF und ISAF: Zwei Truppen, derselbe Krieg

Die Expansion der ISAF-Mission, die mit der faktischen Verschmelzung mit dem US-geführten OEF-Kampfeinsatz einherging, erfolgte bisher in vier Phasen. Nachdem der ISAF-Aktionsradius zunächst auf die afghanische Hauptstadt Kabul beschränkt war, ermöglichte die im Oktober 2003 verabschiedete UN-Sicherheitsratsresolution 1510 (Ziffer 1) „die Ausweitung des Mandats der Internationalen Sicherheitsbeistandstruppe, [zur] Aufrechterhaltung der Sicherheit in Gebieten Afghanistans außerhalb Kabuls“. Darauf hin dehnte sich die ISAF in Phase I, die Ende 2004 abgeschlossen war, auf die nördlichen Provinzen und die dort operierenden „Regionalen Wiederaufbauteams“ (PRTs) aus. Im folgenden Jahr wurde in Phase II die Kontrolle über die Provinzen im Westen des Landes übernommen. Auf Grundlage des Beschlusses der NATO-Außenminister vom Dezember 2005, den Einsatz in Afghanistan „auf eine neue Stufe anzuheben“, wurde Phase III im Juli 2006 eingeleitet, bei der das ISAF-Aktionsgebiet auf den schwer umkämpften Süden erweitert wurde.

Da dies, wie zu erwarten war, unmittelbar zu schweren Auseinandersetzungen führte, wurde die ISAF-Truppenzahl mit der Südausweitung von rund 9.000 auf 18.500 Soldaten erhöht.

Seither ist die Truppe praktisch permanent in schwerste Kämpfe verwickelt, so etwa während der Operation „Medusa“ Anfang September, bei der nach NATO-Angaben mehr als 500 Afghanen und über zwanzig ISAF-Soldaten ums Leben kamen. Am 28. September beschloss der NATO-Rat schließlich die Phase IV, also die Ausweitung auf die Ostprovinzen und damit auf das gesamte Land. Hierdurch kam es auch zu einer Integration von mehr als 10.000 OEF-SoldatInnen in die ISAF, womit deren Gesamtzahl auf 30.000 stieg. Gleichzeitig behalten sich die USA vor, mit den verbliebenen ca. 8.000 Mann unter OEF-Kommando auch weiterhin auf eigene Rechnung in Afghanistan Krieg führen zu können.

Spätestens seit die NATO auch im Süden und Osten operiert, sind OEF und ISAF endgültig nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Obwohl offiziell auf die strikte Trennung beider Einsätze beharrt wird, bestätigte der kürzlich verabschiedete Zivile Repräsentant der NATO in Afghanistan, Hikmet Çetin, schon im Juli 2006, mit den Phasen III und IV der NATO-Expansion käme es zwangsläufig zu einer „schrittweisen Verschmelzung einiger Funktionen“ (Senlis Council: Afghanistan Five Years Later: The Return of the Taliban, Spring/Summer 2006, S. 38). Tatsächlich arbeiten ISAF und OEF eng zusammen: auf Kommandoebene, über den mit „Doppelhut“ fungierenden US-Militär Benjamin C. Freakley, der sowohl stellvertretender ISAF-Kommandeur als auch für OEF-Kampfoperationen zuständig ist; operativ liefert z.B. die OEF Luftunterstützung für ISAF-Operationen.

Summa summarum: „Die jüngsten Aktivitäten der NATO-ISAF im südlichen Afghanistan deuten darauf hin, dass de facto eine Fusion der NATO-geführten ISAF-Truppen mit Operation Enduring Freedom stattgefunden hat.“ (ebd.)

Diese ganze Veränderung des Einsatzprofils ist die militärische Reaktion auf die Tatsache, dass das Land offensichtlich der westlichen Kontrolle zu entgleiten droht.

Vom „Stabilitätsexport“ zur Aufstandsbekämpfung

Von allen Seiten wird die derzeitige Situation in Afghanistan nicht nur als kritisch, sondern als katastrophal eingeschätzt. Selbst US-Außenministerin Condoleezza Rice warnte unlängst vor einem Scheitern in Afghanistan und gab an, die Lage sei wegen der zunehmenden Gewalt „sehr schwierig“ (Spiegel.de, 13.09.06). Deutlicher wurde Ex-NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark: „Wir sind nicht dabei zu gewinnen.“ (Newsweek, 02.10.06)

Das Auswärtige Amt (Pressemitteilung vom 14.09.06) malt ebenfalls ein düsteres Bild: „Die Sicherheitslage insbesondere im Süden und Südosten Afghanistans hat sich seit Ende 2005 verschärft und muss als kritisch betrachtet werden.“ Tatsächlich scheint die Situation in Afghanistan derzeit völlig zu eskalieren, wie der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, offen einräumt: „Wir haben uns getäuscht in der Resonanz unserer Bemühungen. [Offenbar] ist die Annahme, die Masse der Bevölkerung stünde hinter Präsident Hamid Karsai und den Isaf-Truppen, nicht ganz zutreffend. Es sind nicht nur wenige entschlossene Terroristen, die uns bedrohen. Viele Afghanen stehen als Unterstützer zur Verfügung.“ (Tagesspiegel, 31.05.06)

Allein von Januar bis Ende Oktober sind 170 OEF- und ISAF-Soldaten und etwa 3.000 AfghanInnen, darunter auch zahlreiche ZivilistInnen, bei Auseinandersetzungen ums Leben gekommen, ein deutlicher Anstieg zum Vorjahr. Insgesamt ist die Zahl der Anschläge und bewaffneten Auseinandersetzungen von monatlich 5 im Jahr 2002 über 25 (Mitte 2005) auf mehr als 100 im Juli 2006 dramatisch angestiegen. Dabei zeigt sich, dass die NATO mit immer größeren Gruppen zusammenstößt, deren Bewaffnung und Organisationsgrad sich ständig verbessert.

Angesichts dieser Eskalation hat die ISAF nun ihre Einsatzregeln (rules of engagement), die die Kriterien für die Anwendung bewaffneter Gewalt vorgeben, geändert. Zwar sind diese offiziell nicht bekannt, allerdings scheint es so zu sein – zumindest, wenn man den Klagen der Kriegführenden folgt -, dass offensiven Aktionen lange enge Grenzen gesetzt waren. Obwohl die Kampfpraxis ohnehin schon länger anders aussieht, scheint dem nun wohl auch offiziell Rechnung getragen worden zu sein, wie eine NATO-Pressekonferenz am 20. Februar belegt: „Das Mandat der ISAF ist es, ein sicheres Umfeld zu garantieren. […] Das ist der Grund, weshalb unsere Kommandeure diese neuen robusten Einsatzregeln erhalten, um damit präemptive Operationen gegen mögliche Gefahren für unsere Truppen oder die afghanische Bevölkerung durchzuführen. Um es zusammenzufassen: Robustere Einsatzregeln.“

Solch ein Einsatzprofil hat jedoch mit einer „Wiederaufbaumission“ nichts mehr zu tun.

Da selbst im vergleichsweise ruhigen Norden, wo sich die Bundeswehr-Einheiten aufhalten, die Lage immer gefährlicher wird, zog auch das Verteidigungsministerium die Notbremse: Zur „Erhöhung des Schutzes, der Durchhaltefähigkeit sowie der Effektivität“ des deutschen ISAF-Kontingentes, erließ der „Führungsstab Streitkräfte“ am 15. September eine Weisung, die u.a. die Bereitstellung einer „gepanzerten Reserve“ (Schützenpanzer MARDER 1A5) zum besseren Schutz der SoldatInnen vor Anschlägen anordnet. Insbesondere werden dort neue Einsatzregeln zur „Erhöhung der Handlungsfreiheit der Führer vor Ort“ ausgegeben, um aktiv gegen „gewaltbereite Kräfte“ vorgehen zu können. In Ziffer 7 des Erlasses wird unter dem Titel „Rechtliche Rahmenbedingungen“ daran erinnert, dass der Einsatz militärischer Gewalt bereits dann abgedeckt sei, „wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht“ (Geopowers.com, 22.09.06).

Von der angeblichen „Friedens- und Stabilisierungsmission“, dem „Wiederaufbau“ usw. ist nicht mehr viel übrig geblieben. Der UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Tom Koenigs, gibt an, die NATO sei in einen regelrechten „Aufstand“ verwickelt. Diesen niederzuschlagen scheint inzwischen die zentrale Aufgabe der ISAF zu sein, wie der NATO-Oberkommandierende James Jones verdeutlicht: „Die NATO wird auch weiterhin jede nötige Gewalt einsetzen, um die Aufständischen zu schlagen.“ (Faz.net, 04.09.06)

Deutschland: Kampfeinsätze im Süden?

Gerne wird von deutscher Seite die „Vorreiterrolle“ beim zivilen Wiederaufbau und die Führungsfunktion im Norden hervorgehoben. Allerdings sehen dies die Verbündeten völlig anders: „Noch wagt es niemand, das offen auszusprechen. […] Im Süden des Landes ist der Krieg gegen die Taliban voll entbrannt. Da ist es nur eine Frage der Zeit, wann Scheffer und Jones ihre diplomatische Zurückhaltung aufgeben und noch mehr Einsatz fordern – auch und gerade von Deutschland. Denn bei Nato-Partnern wie Großbritannien oder den Niederlanden wächst der Unmut darüber, dass die Deutschen sich weigern, in gefährlichere Gebiete vorzurücken. […] Am Nato-Sitz Brüssel macht bereits das böse Wort von der Schönwetter-Armee die Runde.“ (Handelsblatt, 13.09.06) Der Unmut ist inzwischen so groß, dass zunehmend Klartext geredet wird: „Ich kann es nicht mehr hören, dass die Bundeswehr in Afghanistan ist“, zitiert die Welt (14.09.06) einen britischen Offizier. „Entscheidend ist doch wohl, dass die Deutschen nicht dort sind, wo sie gebraucht werden.“ Am direktesten äußert sich UN-Botschafter Koenigs: „Deutschland muss unter Umständen in Kauf nehmen, auch in den Süden Afghanistans zu gehen.“ (FAZ.net, 04.09.06)

Zwar will die Bundesregierung offiziell (noch) nichts von einem umfangreichen Einsatz im Süden wissen, doch der Druck steigt derzeit massiv an. Die Möglichkeit, dass sich deutsche Truppen in großer Zahl – das Kommando Spezialkräfte wird dort bereits eingesetzt – inmitten schwerster Kampfhandlungen wieder finden werden, ist also gegeben. Dies ist umso wahrscheinlicher, da der Bundestagsbeschluss (Drucksache 16/2573) vom 28. September zur Verlängerung des deutschen ISAF-Beitrags keineswegs auf die Nordregion beschränkt ist: „Darüber hinaus sind das deutsche ISAF-Kontingent, deutsche Soldaten in NATO-Stäben wie auch deutsche Anteile an NATO-Verbänden (z.B. NATO-Fernmeldebataillone) in der Lage, bei Bedarf neben dem operativen Schwerpunkt ISAF-Nordregion die ISAF-Operation zeitlich und im Umfang begrenzt in anderen Regionen zu unterstützen, sofern dies zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar ist.“ Zwar ist von einem „begrenzten Umfang“ die Rede, tatsächlich kamen ja bereits Bundeswehr-Fernmeldetechniker im Süden zum Einsatz, die Formulierung ist aber derart schwammig, dass das Mandat durchaus auch umfassende Kampfeinsätze ermöglichen könnte: „Damit hat das ISAF-Kommando weitgehend freie Hand. Das deutsche Mandat schreibt keine erneute Anhörung des Parlaments vor, sollten solche Unterstützungsmaßnahmen nötig werden. ISAF-Kommandeur David Richards hat bereits erklärt, er habe die Freiheit, die […] ISAF-Soldaten dort einzusetzen, wo es militärisch Sinn macht. Dazu hätten sich die Truppensteller bereit erklärt.“ (ntv, 29.09.06)

Die traurige Praxis des „Stabilitätsexports“

Eine Studie mit dem viel sagenden Titel „Afghanistan Inc.“ (Oakland 2006, S. 28) der Afghanin Fariba Nawa beschreibt den neoliberal ausgerichteten „Wiederaufbau“ ihres Landes: „Die Afghanen verlieren das Vertrauen in die Entwicklungsexperten, deren Aufgabe der Wiederaufbau des Landes ist. […] Was die Menschen sehen, sind eine Hand voll ausländischer Firmen, die Prioritäten für den Wiederaufbau setzen, die sie reich machen, sich aber teilweise auf absurde Weise gegenüber dem, was notwendig ist, als kontraproduktiv erweisen.“

Während westliche Konzerne in die eigenen Taschen wirtschaften und die ISAF-Truppen im Land Krieg führen, stirbt die Bevölkerung gleichzeitig an Krankheit und Unterernährung. Über 70 % der AfghanInnen sind chronisch unterernährt, besonders im Süden des Landes. Ein Viertel hat keinen Zugang zu Trinkwasser, nur 10 % verfügen über elektrischen Strom. Während für militärische Ausgaben von 2002 bis 2006 gigantische 82,5 Mrd. Dollar bezahlt wurden, belief sich die Entwicklungshilfe im selben Zeitraum auf 7,3 Mrd., ein Betrag, der bei weitem nicht ausreicht, um die erdrückende Not auch nur ansatzweise zu lindern.

Umso schlimmer, dass selbst diese niedrige Zahl sogar noch deutlich zu hoch angesetzt ist, denn „ein großer Teil der Entwicklungshilfe wird tatsächlich für Sicherheitsbelange wie den Aufbau der afghanischen Armee- und Polizeitruppen ausgegeben, anstatt für dringende Ernährungs- und Gesundheitsprogramme zugunsten der lokalen Bevölkerung“ (Senlis a.a.O., S. 203). Insgesamt beläuft sich die derart zweckentfremdete Entwicklungshilfe auf mindestens 2,2 Mrd. Dollar, während die internationale Gemeinschaft lediglich 433 Mio. Dollar für Gesundheits- und Ernährungsprogramme ausgibt – allein die militärischen Kosten für die einjährige Verlängerung des deutschen ISAF-Einsatzes belaufen sich auf 460 Mio. Euro.

Zwar sind ohnehin erhebliche Zweifel angebracht, ob militärischer „Stabilitätsexport“ überhaupt praktikabel geschweige denn wünschenswert ist, völlig aussichtslos sind derlei Versuche aber, wenn dabei die Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerung derart drastisch ignoriert werden, wie dies in Afghanistan der Fall ist.

Das völlige Versagen – wohl zurecht innerhalb der afghanischen Bevölkerung als Unwillen interpretiert -, die katastrophale humanitäre Situation zu verbessern, sondern stattdessen den Interessen westlicher Konzerne und dem militärischen „Kampf gegen den Terror“ Prioritäten einzuräumen, hat zur Folge, dass die westlichen Truppen inzwischen völlig diskreditiert sind. Für eine wachsende Zahl der AfghanInnen sind die ISAF-SoldatInnen nichts anderes als koloniale BesatzerInnen, weshalb die Bereitschaft wächst, diese militärisch zu bekämpfen. Inzwischen befürworten über 50 % der afghanischen Bevölkerung politisch motivierte Selbstmordattentate gegen die Besatzer. (Senlis a.a.O., S. iv)

So ist nicht nur die Besatzung des Iraks Wasser auf die Mühlen des Terrorismus, wie von den US-Geheimdiensten inzwischen offiziell eingestanden wird, sondern auch der westliche „Stabilitätsexport“ in Afghanistan.

Die NATO als globale Besatzungstruppe

Da ein grundsätzlicher Kurswechsel der westlichen Kriegspolitik nicht zur Debatte steht, wird der Rückgriff auf das Militär zur Aufstandsbekämpfung immer wichtiger. Vor diesem Hintergrund ist die Ankündigung von NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer in einer Rede am 7. Oktober nur folgerichtig, „dass Einsätze wie der in Afghanistan künftig nicht die Ausnahme sein könnten, sondern vielleicht die Regel“.

Afghanistan wird so zum Gradmesser, ob die NATO auch im 21. Jahrhundert in der Lage sein wird, als militärischer Arm der westlichen Interessenspolitik zu agieren: „Krisengebiet – im doppelten Wortsinne – ist Afghanistan. Am Hindukusch wird sich nicht nur das Schicksal des Landes entscheiden, sondern auch die Frage, ob die NATO ihren Wandel zur weltweit einsetzbaren Stabilisierungskraft und damit zum Dreh- und Angelpunkt in der globalen Sicherheitslandschaft meistern wird.“ (Südwestpresse, 29.09.06)

Da man hierfür buchstäblich gerüstet sein will, werden derzeit umfassende Umstrukturierungen der Allianz gefordert. Beispielsweise macht sich James Dobbins, der von Bush kurzzeitig mit dem „Wiederaufbau“ Afghanistans betraut wurde, im Hausblatt der Allianz, dem NATO-Review (Sommer 2005), für den Aufbau NATO-eigener „Stabilisierungs- und Wiederaufbautruppen“ stark. Der vielsagende Titel: „Die Rolle der NATO beim Aufbau von Staatswesen“. In dieselbe Kerbe schlägt Christoph Bertram, der ebenfalls im NATO-Review (Frühjahr 2006) die Allianz dazu auffordert, „dass sie Stabilisierungsaufgaben zu ihrem Hauptauftrag erklärt“.

Letztlich zielen diese Vorschläge darauf ab, eine in sich koheränte Besatzungspolitik zu konzipieren und alle zur Verfügung stehenden Instrumente auf die Durchsetzung der Interessen der NATO-Staaten zu fokussieren. Es sieht so aus, als steuere man innerhalb der NATO darauf zu, nicht eines, sondern viele Afghanistans zu schaffen.