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Meinung wird terrorrelevant

Bei der Anti-Terror-Datei weiß keine/r genau, wen sie erfassen soll

| Frank Brendle

Der Bundestag hat am 1. Dezember die so genannte Anti-Terror-Datei beschlossen.

Sie führt Informationen über Personen und Sachen (Fahrzeuge, Telefonanschlüsse usw.) zusammen, die bislang in getrennten Polizei- und Geheimdienstdateien vorhanden sind. An die Stelle von Einzelanfragen mit Genehmigungsprozeduren tritt die Datenabfrage in Echtzeit.

Das soll für eine neue Qualität der Terrorbekämpfung sorgen. Vor allem bringt es eine neue Qualität der Überwachung mit sich.

Die Datei hebt die Trennung von Polizei und Geheimdiensten – eine Konsequenz aus der Geheimen Staatspolizei des 3. Reiches – weitgehend auf.

Bisher dürfen die Geheimdienste nur in Ausnahmefällen, etwa bei unmittelbar bevorstehenden Anschlägen, ihre Erkenntnisse an die Polizei geben. Diese Ausnahme wird jetzt zur Regel. 38 „Sicherheitsbehörden“ des Bundes und der Länder beteiligen sich: der Bundesnachrichtendienst, der Militärische Abschirmdienst, die Bundes- und Landesbehörden für Verfassungsschutz – also sämtliche Geheimdienste. Außerdem das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter, die Bundespolizei und das Zollkriminalamt. Weitere Polizeibehörden (Staatsschutzdezernate) kann der Innenminister jederzeit mit hinzuziehen.

Personenanzahl unüberschaubar

Zweck der Datei soll die Bekämpfung des „internationalen Terrorismus mit Bezug zu Deutschland“ sein. Neben Mitgliedern und UnterstützerInnen terroristischer Vereinigungen wird auch deren politisches und persönliches Umfeld erfasst. Dazu gehören jene, die rechtswidrige „Gewaltanwendung unterstützen, vorbereiten, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen.“ Das „Befürworten“ setzt keine aktive Handlung voraus, auch keine Delikte wie Volksverhetzung oder Aufforderung zu Straftaten. Es genügt eine Meinungsäußerung zugunsten einer „illegalen“ bewaffneten Organisation. Damit bringt die Bundesregierung das Grundrecht auf Meinungsfreiheit in einen direkten Kontext mit terroristischer Gewalt. Das Grundrecht wird dadurch faktisch entwertet, und zwar weit über den Kreis der angeblich Gemeinten hinaus (derzeit vor allem „islamische Hassprediger“).

Wer mit Terrorverdächtigen „in Verbindung“ steht („Kontaktpersonen“), auch ohne Kenntnis von deren Umtrieben zu haben, wird ebenfalls gespeichert. Es genügt „eine nähere persönliche oder geschäftliche Beziehung“, alles, was mehr ist als nur ein flüchtiger Alltagskontakt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sagte, auf diese Weise kämen auch studentische Lerngruppen ins Visier der Behörden.

Bei alledem kommt es auf Beweise nicht an, es genügen „tatsächliche Anhaltspunkte“. Diese, so beschreibt es Fredrik Roggan von der Humanistischen Union, sind die „unterste Stufe eines Tatverdachts“. Das heißt: Wenn nur eines von 16 Landeskriminalämtern den Verdacht hegt, jemand stehe mit einer Person in Kontakt, die wiederum unter Verdacht steht, sie befürworte Gewalthandlungen, genügt das zur Einspeisung in die Datei“. Tröstlich: „Kontaktpersonen zu Kontaktpersonen werden hingegen nicht gespeichert“, steht im Gesetz.

Datenaustausch

Die Datei unterscheidet drei Dateiklassen: Zum einen „Grunddaten“, das sind die klassischen Meldedaten sowie Sprachkenntnisse, Dialekte, körperliche Merkmale. Gibt eine Behörde den Suchbegriff ein, erhält sie sofort die Treffer angezeigt. Die „erweiterten Grunddaten“ umfassen Telekommunikationsanschlüsse, IP-Adressen, Bankverbindungen, Fahrzeuge, Waffenkenntnisse, „besuchte Orte oder Gebiete“, Religions- und „Volkszugehörigkeit“. Um diese Daten einzusehen, muss die abfragende Behörde eine Genehmigung einholen – außer in „Eilfällen“. Diese wiederum sind völlig unpräzise definiert und drohen deswegen zum Normalfall zu werden. Als Grund gilt etwa eine „gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit“. Fredrik Roggan reizte das zum Spott: Da genüge schon das „Starten schwerer Lastzüge in der Nacht in Wohngegenden“, führte er in der Anhörung vor dem Bundestagsinnenausschuss aus. Das Prinzip standardisierter Datensätze wird mit einem Freitextfeld durchbrochen, in das die Behörden nach Gutdünken weitere Kommentare, Erkenntnisse und Bewertungen eintragen können.

Der einzige Aspekt, der eine gewisse Begrenzung der Datensätze garantiert, ist das Geheimhaltungsbedürfnis der Dienste. Um InformantInnen und ausländische Geheimdienste zu schützen, sieht das Gesetz zwei Ausnahmen vor: Die „beschränkte“ bzw. „verdeckte“ Speicherung, die Treffer nur teilweise oder gar nicht anzeigen.

Alte Daten, neue Qualität

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird von der Antiterrordatei genauso verletzt wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Hinsichtlich der „Befürworter“, „Hervorrufer“ und „Kontaktpersonen“ sind die Regelungen derart schwammig, dass niemand weiß, wann er mit einem Eintrag in die Datei rechnen muss.

„Die Daten selbst verändern sich ja nicht, indem wir das zusammenführen, was ohnehin vorhanden ist“, erklärte in naiver Unschuld der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke. Tatsächlich werden die vorhandenen Daten aus ihrem bisherigen Rechts- und Sinnzusammenhang herausgerissen, denn erhoben wurden sie ja keineswegs immer in Terrorermittlungen. Das verstößt gegen den datenschutzrechtlichen Grundsatz der Zweckbindung. Die Geheimdienste dürfen Telefongespräche abhören, die Polizei nicht – aber was nützt diese Trennung, wenn Erkenntnisse aus diesen Gesprächen in der gemeinsamen Datei landen?

Die Behörden gelangen zu Informationen, die sie gar nicht hätten gewinnen dürfen, und daraus resultieren Maßnahmen, die sonst unterblieben wären.

Wenn die Polizei erfährt, dass der Geheimdienst jemanden observiert, wird sie selbst die Betroffenen genauer unter die Lupe nehmen; umgekehrt gilt das Gleiche.

Das Gesetz schreibt nicht vor, dass die eingespeisten Daten rechtmäßig erhoben sein müssen. Das ist vor allem deswegen interessant, weil Verfassungsschutz und Innenminister Wolfgang Schäuble vehement dafür eintreten, auch zurechtgefolterte Aussagen zu verwenden, die ausländische Geheimdienste kolportieren.

Fortsetzung des Krieges

Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann eine schlichte Meinungsäußerung zu internationalen Konflikten die Einspeicherung in die Antiterrordatei nach sich ziehen. Das betrifft die SympathisantInnen von Al-Kaida, irakischen Aufständischen und mexikanischen Zapatistas gleichermaßen, sofern es einen „Bezug“ zu Deutschland gibt. Die Gesetzesbegründung nennt das Kriterium, dass eine terroristische Organisation „einer ideologischen Strömung angehört, die sich auch gegen Deutschland oder deutsche Ziele und Interessen richtet“. Deutsche Ziele und Interessen hat der Kriegsminister im Weißbuch für die Bundeswehr vorgegeben: Den Zugang zu Rohstoffen und die Freiheit des Handels gegebenenfalls freischießen. Wer sich hiergegen wehrt, ist Terrorist und kommt auf die Liste, genau so wie die „Befürworter“ oder „Kontaktpersonen“. Die Antiterrordatei erweist sich damit als innenpolitische Entsprechung des weltweiten Kriegs gegen den Terror und beweist, dass „Terrorismus“ ein politischer Kampfbegriff ist.

Was kommt als nächstes?

Max Stadler, FDP-Innenpolitiker: „Da ist ja nur vom internationalen Terrorismus die Rede mit der Folge, dass man sich schon ausmalen kann, dass nach einem Jahr gesagt wird: Hat sich gut bewährt, aber es sind noch Lücken, die jetzt ergänzt werden müssen.“