Jeden Freitag beglückt sie uns mit der Sparte „Außerparlamentarisches“, und zusätzlich berichtet sie unter der Rubrik „Betrieb und Gewerkschaft“ sogar über die anarchosyndikalistische FAU. Im Feuilleton sind anarchistische Verlage wohlgelitten.
Manchmal wird ein Buch sogar zweimal hintereinander besprochen („Parecon“). Die Beilage „neuland“ versorgte die vorwiegend ostdeutschen LeserInnen mit dringend benötigten Impulsen zur „Lebensbewältigung“ und Infos zum 13. Weltveganertag. Selbstverständlich prangte auf der Titelseite ein Nachdruck von Emma Goldman aus der Graswurzelrevolution. Dankeschön!
Der nächste Schritt auf dem Weg zum „Neuen Libertären Deutschland“ ließ nicht lange auf sich warten. Am denkwürdigen 11.11.2006 erschien zum ersten Mal mit viel TEMPO-Esprit die neue illustrierte Monatsbeilage „Sacco & Vanzetti“, benannt nach den beiden weltweit bekanntesten ermordeten Libertären. Wortreich wird im Vorwort den Anarchisten der rote Teppich ausgerollt, dem „Charme der Frechheit und Polemik“ gehuldigt. „Libertäres Denken“ und die „Schaffung kultureller, populärer, sinnlicher Freiräume“ soll ab jetzt gefördert werden. „Wäre schade drum, die Sinne zu kasteien.“ Oh lala, was ist denn hier passiert?
Zunächst einmal etwas ganz Banales. Die biederen ParteisoldatInnen der PDS sind alt und müde geworden. Es fehlt an Nachwuchs, denn weniger als 7 Prozent der Mitglieder sind unter 40 Jahre alt (1). Bei der WASG, die frischen Wind in den Parteiladen bringen sollte, sieht es ähnlich aus. Die Einsicht, dass die Partei neue Bündnispartner benötigt, lässt sich nicht mehr länger verdrängen. Aber innerparteilich ist nicht APO angesagt, sondern OPA. Frisches Blut muss her! Wo sind denn die Jusos, die sich für einen feuchten Händedruck vom Vorsitzenden in der Parteimaschinerie verheizen lassen – oder schon mal an ihrer Karriere basteln??
„Locken muss man sie, locken“, denkt sich das alte maoistische KB-Trüffelschwein (2) Jürgen Reents, Chefredakteur des ND. Er hatte schon in den 70er Jahren reichlich Erfahrungen damit gesammelt, wie man mit ein paar geklauten kreativen Ideen bei undogmatischen Linken und Anarchos Eindruck schindet und Interesse weckt, um diese anschließend langsam an den hierarchisch strukturierten Apparat heranzuführen.
Eine Woche nach dem jugendbewegten Bekenntnis zur neuen Lust am Libertärem legte der linke Flügel mit einem Aufruf auf dem WASG-Bundesparteitag in Eringerfeld nach und forderte modisch inspiriert nicht mehr eine radikale – nein, nein – sondern eine „attraktive Linke“! Was tut man nicht alles, um das Aussterben der Partei zu verhindern …
Zum Kokettieren mit dem Anarchismus gehört bei schlecht Informierten das Kokettieren mit Explosivem. „Wir haben die Bombe gelegt. Naja“, heißt es in der Überschrift unter dem Titel „Sacco & Vancetti“. Gemeint ist damit allerdings ein Artikel über ein „konterrevolutionäres“ Flugzeugattentat des CIA auf ein kubanisches Flugzeug im Jahre 1976. Eingeflochten hierin wird die altbekannte realsozialistische Doktrin, dass die libertären Bäume angesichts gefährlicher äußerer Feinde nicht in den Himmel wachsen können. In vorauseilendem Gehorsam arrangiert sich der junge Sozialist schon jetzt mit der tristen kubanischen Realität, denn „… es gibt kein Land mit hundertprozentiger Freiheit“. Hätte er „Staat“ gesagt und sich das „hundertprozentig“ ausnahmsweise geschenkt, wäre das Etikett „libertär“ einigermaßen glaubhaft, doch so können ihm Gregor & Oskar bedenkenlos den Vorsitz des in Gründung befindlichen Linkspartei-Jugendverbandes überlassen. Er würde diese Regierungssozialisten sicherlich nicht enttäuschen.
Die jungen BlattmacherInnen schaffen es gerade noch, eine kritische Distanz zur parteiförmigen SPD-Konkurrenz zu halten. Bei der eigenen PDS setzt ihr Verstand gleich wieder aus: „Und die Linke? (…) Sie fing den sozialen Protest in den neuen Ländern in Form der PDS bei Wahlen auf. Auch okay.“ – Das ist es selbstverständlich nicht! Solange Menschen sich darauf beschränken, immer nur StellvertreterInnen für ihr eigenes Handeln zu wählen, wird sich gar nichts ändern und auch nichts bewegen.
Diese Erfahrung sollte von „Libertären“ allerdings schon verarbeitet worden sein. Ansonsten bleiben eingestreute Zitate von Erich Mühsam oder Oskar Maria Graf eben nur aufgeschnappte Sprüche und in diesem Kontext nur exotische Federn, um sich innerhalb einer bestimmten Szene interessant zu machen.
Doch diesen „Kultcharakter“ sehnt die Redaktion in einem Anflug von Selbstüberschätzung herbei, wenn sie in der Erstausgabe schreibt: „Kultisches Verhalten kann durch Lesen hervorgerufen werden und zur Selbstbefreiung führen.“ – Vielleicht aber auch nur zu gesteigerter Einbildung. Die von den jungen Wilden kultivierte modische Maskerade belässt es dabei, dass Accessoires für Communismus & Anarchie bei C & A besorgt werden. Also jenem Ort, wo gewöhnlich die passenden Cordhütchen für den Betonkopf zu haben sind. Weiß doch jeder echte anarchistische Stilberater, dass Libertäres von der Stange einfach uncool ist. In Zukunft können wir beobachten, in welche Richtung der Modetrend die BlattmacherInnen entwickeln wird. In der neuesten dritten Ausgabe weckt der Artikel „Graswurzeljournalismus für eine freie Gesellschaft“ noch einmal vage Hoffnungen. Jedoch ziert kein Aboschnipsel für die Graswurzelrevolution das Heft, sondern für das Neue Deutschland. Ich bin ein bisschen enttäuscht. Kommt also in Zukunft einmal im Monat das biedere ND im bunten Mummenschanz zu mir nach Hause, begrüße ich diese Erscheinung interessiert mit einem freundlichen „Helau“!