In ganz NRW gibt es Studiengebühren. In ganz NRW? Ein kleines Dorf im Münsterland wehrt sich nach wie vor heftig. Mit Erfolg - noch. Denn die Studierenden der Universität Münster müssen gerade erfahren, dass es gegen Studiengebühren und Senatoren leider keinen Zaubertrank gibt und dass das Rektorat mit ziemlich undemokratischen Mitteln kämpft.
Am 17.01.07 setzte der Senat der Uni Münster „Studiengebühren“ auf seine Tagesordnung.
Im Vorfeld dieser Sitzung hatten sich offenbar „protesterfahrene“ Altachtundsechzigersenatsmitglieder zusammengesetzt und diskutiert, wie man mögliche Studierendenproteste im Keim erstickt.
Ergebnis: Ausschluss der Öffentlichkeit bei gleichzeitiger Zulassung der Öffentlichkeit zur Wahrung der Scheindemokratie – und Beauftragung einer privaten Sicherheitsfirma, die die Durchgänge zum Senatssaal absperren sollte.
Besonders mit dem ersten Punkt tat man sich etwas schwer, roch das doch sehr nach einem schlechten Versuch der Quadratur des demokratischen Kreises.
Doch man gab sich die größte Mühe, die Absurdität zu ignorieren, und stellte fälschungssichere (!) Eintrittskarten für auserwählte Studierende her, die zur Verteilung an den AStA-Vorsitzenden geschickt wurden.
Dieser rief: „Die spinnen, die Senatoren!“ und weigerte sich, aus rund 40.000 Studierenden 15 ProteststatistInnen auszuwählen.
Der AStA wurde jetzt richtig sauer, und wenn ein AStA sauer ist, dann bedeutet das rauchende Köpfe, hitzige Diskussionen – und am Ende steht: ein Antrag.
Mehrere Hundert Studierende versammelten sich am 17.01.07 vor dem Münsteraner Schloss, wütend über die „Deeskalationsmaßnahmen“ der protesterfahrenen AltachtundsechzigerInnen. Und während der AStA und die Senatsstudis noch ihren Antrag „zur Herstellung der Öffentlichkeit“ formulierten, stellte sich die Öffentlichkeit selbst her, indem sie die Absperrung der Security nieder rannte und den Senatssaal stürmte.
Die Senatsstudis fanden das gar nicht gut, hatten sie doch jetzt keinen Antrag mehr. Deshalb stellten sie spontan einen Ersatzantrag: Antrag auf Feststellung der Beschlussfähigkeit.
Nein, der Senat war nicht beschlussfähig, was bedeutete, dass die Sitzung beendet war.
Dieser Antrag bedeutete aber auch, dass es eine außerordentliche Nachholsitzung geben würde, die schon wenige Tage später stattfinden könnte und in jedem Fall beschlussfähig wäre.
Schon drei Tage später fand sie dann auch statt: an einem Samstagmorgen um 8:00 Uhr in Handorf (wo??) auf einem ehemaligen Militärgelände!
Es grenzte an ein Wunder, dass etwa 500 Studierende mitten in der Nacht, mitten in der Pampa vor einem NATO-Zaun standen und auf eine kleine Baracke blickten, in der die Senatssitzung stattfand. Es gab keine Möglichkeit, in die Baracke zu gelangen. Zuviel NATO-Draht, zu viele PolizistInnen, die rennt man nicht einfach so nieder wie die Security. Also standen sie da, singend, frierend, fünf Stunden lang. Aus Langeweile wohl rüttelten einige am Zaun, was eine Polizistin zum Einsatz von Tränengas motivierte. Eine mehr als überzogene Reaktion. Die Opfer: ein junger Mann und eine Studentin, die ein paar Meter weiter weg stand, lediglich in die Richtung blickte und vor Schreck die Augen weit aufriss. Am nächsten Tag berichtete zum Beispiel der lokale Rundfunksender in Münster, PolizistInnen hätten Tränengas gegen gewaltbereite Studierende einsetzen müssen.
Spätestens da beginnt man, an die Existenz von Paralleluniversen zu glauben. Immer wieder kamen widersprüchliche Nachrichten aus dem Senat, am Ende drei Anträge:
· Antrag des Rektorats: Einführung von Studiengebühren in Höhe von 300 Euro.
· Antrag der Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen: Einrichten einer Kommission zur Untersuchung des Verwendungszwecks für Studiengebühren bis zum 31.03.07
· Antrag der Studierenden: Einrichten einer Kommission zur Untersuchung der Zweckmäßigkeit von Studiengebühren ohne Zeitlimit.
Ein Jubel ging durch die Menge, als man hörte, der erste Antrag sei abgelehnt worden. Doch nachdem sich die Euphorie gelegt hatte, fragten sich viele: Was haben sich die Senatsstudierenden bei der Formulierung ihres Antrags gedacht? Glaubten die, man könne nach jahrelangem Protest, Diskussionen und Aktionen jetzt plötzlich im Rahmen einer Kommission die ProfessorInnen von der Sinnlosigkeit von Studiengebühren überzeugen? Macht man sich so nicht eher zu TeilhaberInnen an der Mission „Einführung von Studiengebühren“? Viele Studierende hatten kein Verständnis für ihre VertreterInnen im Senat.
Das klang zu sehr nach „Wenn du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis“.
Doch die Realität im Senat ließ den studentischen SenatorInnen wohl kaum eine Wahl. Die Verfahrenspraxis dort ist eher eine „Demokratur“ – also eine Mischung aus Demokratie und Diktatur: Als Senatsstudierender muss man sich immer überlegen, ob man einen Antrag stellt, der im Sinne der Studierendenschaft ist, oder einen, der beschlossen wird. Durch die Mehrheit der ProfessorInnen und Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen haben die Studis wenig Gestaltungsspielraum.
Der Antrag der Studierenden wurde trotzdem abgelehnt, und viele fragten sich, ob es nicht besser gewesen wäre, mit wehenden Fahnen unterzugehen, anstatt sich zu Handlangern der „demokratorischen“ Praxis machen zu lassen. Nun sitzen vier Studierende mit vier ProfessorInnen und vier Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in einer Kommission, die untersucht, wie man Studiengebühren verwenden sollte, und sind dadurch Ausdruck ihrer eigenen Kreisquadratur: die Teilhabe an nicht-demokratischen Institutionen mit dem Argument, man müsse die Chance der Demokratie nutzen und zumindest noch das Wenige, das möglich ist, „rausschlagen“. Damit wird die Einführung von Studiengebühren an der Uni Münster für die Studierenden zu einer ganz besonderen Lektion in Sachen moderner Demokratie und Parlamentarismus.
Der Senat und das Rektorat haben sich alle Mühe gegeben, möglichst effektiv mit den StudiengebührengegnerInnen umzugehen. Zuerst setzten sie private Security gegen die eigenen Studis ein, dann die Bullen und zuletzt eine Kommission – die ganzen Waffen der Demokratie.