Was ist notwendig, um einen israelischen Checkpoint im Westjordanland, mit seinen mehr oder weniger motivierten SoldatInnen, in einen Ort der Bildung umzuwandeln?
Kürzlich wurde diese Frage beim Tel Rumeida-Checkpoint in Hebron geklärt: Ein paar Stühle, eine Menge friedlich gesinnter Menschen und jemand, der oder die bereit ist, über ein interessantes und anregendes Thema zu referieren.
Die ca. 40 Menschen, die während dieses „Teach-ins“ den Checkpoint kurzerhand in einen Hörsaal bzw. in ein Klassenzimmer umwandelten, setzten sich aus lokalen palästinensischen FriedensaktivistInnen und einer Gruppe von palästinensischen Kindern und Jugendlichen, die bei der jüdischen Aktivistin und Künstlerin Katie Miranda aus San Francisco einmal wöchentlich Kunstunterricht erhalten, zusammen. Das Thema, über das gesprochen wurde, war die Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre in den USA, also Martin Luther King, ziviler Ungehorsam und der gewaltfreie Widerstand von AfroamerikanerInnen in einem von Rassismus und Segregation geprägten Umfeld.
Martin Luther King, Rosa Parks, Gewaltfreiheit
„Ich wollte den anwesenden Leuten und den Kindern und Jugendlichen meiner Kunstklasse verdeutlichen, dass gewaltfreier Widerstand und ziviler Ungehorsam in der Vergangenheit zum Erfolg geführt haben“, sagte Katie Miranda, die gemeinsam mit einer palästinensischen Friedensaktivistin aus Hebron in englischer und arabischer Sprache den interessierten ZuhörerInnen einen kurzen Einblick in die Geschichte der Bürgerrechtsbewegung gab und die wichtige Rolle herausstrich, die gewaltfreie Protestformen hierbei spielten: „Vor den 1960er Jahren waren AfroamerikanerInnen in den USA nicht frei. Sie durften nicht wählen gehen, wurden gezwungen, in den hinteren Reihen von öffentlichen Verkehrsmitteln Platz zu nehmen und es war ihnen nicht gestattet, die gleichen Toiletten oder Restaurants wie ihre weißen MitbürgerInnen zu betreten. (…) Im Jahre 1955 weigerte sich die Afroamerikanerin Rosa Parks, sich in den hinteren Teil eines Busses zu setzen und kurze Zeit später war es Martin Luther King, der den Montgomery Bus Boycott organisierte. Alle schwarzen BewohnerInnen von Montgomery, Alabama weigerten sich, die öffentlichen Busse zu benutzen und fuhren stattdessen in Fahrgemeinschaften, mit Taxis oder mit dem Fahrrad. Das öffentliche Bussystem wurde durch diesen Boykott, der 382 Tage andauerte, stark in Mitleidenschaft gezogen. Im November 1956 wurde schließlich vom Obersten Gerichtshof der USA entschieden, dass diese Segregation verfassungswidrig sei und AfroamerikanerInnen das Recht hätten, dort zu sitzen, wo sie es wollten. Das war der erste große Erfolg von Martin Luther Kings gewaltfreiem Widerstand. (…) King organisierte viele Demonstrationsmärsche überall in den Vereinigten Staaten, um die Rechte der AfroamerikanerInnen einzufordern. Die Konsequenz daraus war, dass er viele Male im Gefängnis saß, trotz der Tatsache, dass er niemals Gewalt angewendet hatte.“
Die SoldatInnen am Checkpoint reagierten überaus nervös. Unmittelbar nachdem sich die TeilnehmerInnen mit ihren Stühlen und Schildern, auf denen Forderungen wie „Freedom, Justice, Equality, PEACE“ zu lesen waren, niedergelassen hatten, platzierten sich einige SoldatInnen auf den Dächern der umliegenden Häuser und zielten mit ihren M-16-Maschinengewehren, ohne ersichtlichen Grund, da keinerlei Bedrohung von den TeilnehmerInnen ausging und die Aktion Tage zuvor ausreichend angekündigt wurde, direkt in die friedliche Menge.
Die TeilnehmerInnen wurden während des „Teach-in“ auch aufgefordert, den Checkpoint umgehend zu verlassen.
Dieser Anordnung wurde jedoch nicht Folge geleistet und es kam glücklicherweise, wie sonst bei derartigen gewaltfreien Aktionen durchaus üblich, zu keiner Eskalation in Form von Verhaftungen und einer gewaltsamen Auflösung durch die Armee.
„Martin Luther King war den SoldatInnen der IDF offensichtlich etwas zu subversiv“, versuchte Katie Miranda – nicht ohne Ironie -, den Einschüchterungsversuch von Seiten der Armee zu erklären.
Kunstunterricht
Die Kunstklasse entschied sich auch, den wöchentlichen Kunstunterricht ebenfalls an den Checkpoint zu verlegen, um diesen nicht nur in einen Ort der Bildung, sondern auch in einen Ort der Kreativität zu verwandeln. Die Kunstklasse lernte, wie man T-Shirts bedruckt. Passend zum Thema wurden Schablonen angefertigt, auf denen ein berühmtes Zitat von Martin Luther King in arabischer, hebräischer und englischer Sprache zu lesen war: „Freedom is never voluntarily given by the oppressor, it must be demanded by the oppressed.“
Die anwesenden SoldatInnen, auch diejenigen, die auf den umliegenden Dächern immer noch ihre Gewehrläufe in Schussposition hielten, wurden mehrmals eingeladen, am Kunstunterricht teilzunehmen und ihre eigenen T-Shirts zu gestalten. Diese Einladung wurde jedoch nicht angenommen; das T-Shirt mit Martin-Luther-King-Zitat, welches für den Kommandanten der IDF in Hebron angefertigt wurde, wartet noch immer auf seine Entgegennahme. Der Kunstunterricht hatte, bis auf diese Ausnahme, üblicherweise jedoch keine politischen Themen zum Inhalt.
„Normalerweise fühle ich mich am glücklichsten, wenn ich ein Bild male oder etwas Kreatives mache, das 100 Prozent meiner Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Ich will den Kindern und Jugendlichen einfach die Möglichkeit bieten, Dinge zu tun, die ihnen Spaß machen, die sie von der Situation hier in Hebron etwas ablenken“, so Katie Miranda.
Weitere Infos
Infos zur Künstlerin: www.theopticnerve.com