Anscheinend ist Walter Moers schuld. Seine Comics "Adolf, die Nazisau" und "Adolf - Äch bin wieder da" wurden im Publikumserfolg noch übertroffen von "Der Bonker". Zur bebilderten Geschichte erschien eine DVD mit dem animierten Video "Ich hock in meinem Bonker".
Dieses Video trat einen Siegeszug an, von dem sein Hauptdarsteller nur träumen konnte und dies dank des neuen Massenmediums Internet.
Auf Video-Share-Seiten wie YouTube stellten Tausende von KonsumentInnen das Stück ein, es gibt bereits englische Übersetzungen. Und sie fanden Nachahmer: Während Harald Schmidt in seiner Late-Night-Show vermeintlich ein nationalsozialistisches Video entdeckt hatte und „YMCA“ von den Village People mit historischen Filmaufnahmen unterlegt oder aber in einer Persiflage auf Guido Knopps „ZDF-history“ herausfinden lässt, dass der Ostfeldzug die Suche nach Hitlers verlorenem Hoden war, und diese Aufnahmen auch prompt zahlreich über das Internet verbreitet werden, beginnen die Internet-Video-Freaks damit, Moers‘ „Bonker“ zu Hause nachzuspielen und mit dem Handy zu filmen, um es ebenfalls einer Weltöffentlichkeit zu präsentieren.
Abgesehen von der Massenverbreitung durch das World Wide Web ist das nur in Deutschland neu, das (westliche) Ausland machte sich schon immer gerne über den Führer lustig, z.B. auf der britischen Homepage www.catsthatlooklikehitler.com, die „kitlers“ präsentiert.
Jugendlichen ist es Hobby, das Internet nach neusten Hitler-Videos zu durchsuchen und diese per Handy oder Mail auszutauschen: Hitler ist lustig. Hitler ist Pop.
In diese Situation hinein platzt Dani Levy mit seinem neuen Film „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“.
Das hat der Film nicht verdient, denn er ist nicht das, für das er in der Öffentlichkeit augenscheinlich gehalten wird. „Mein Führer“ ist keine Comedy, sondern ein durchaus (tot)ernster Film mit satirischen Elementen.
In diesem Sinne war es wahrscheinlich kein Geniestreich, Helge Schneider für die Rolle Adolf Hitlers zu buchen. Auch wenn Helge Schneider den Stempel „Comedian“ ebenso wenig verdient hat wie der Film die entsprechende Kategorie. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Münsters, aber auch viele andere, betonen, sie hätten nichts gegen den Film, Helge Schneider sei aber nicht ihr Geschmack. Schneider würde zu sehr sich selber spielen.
Alles andere als das: Sieht man davon ab, dass Helge Schneider als Hitler in dem Film unvermeidbarer Weise Eva Braun zu Silvester 1944/45 ein Liebeslied auf der Orgel spielen muss, hat der komische Musiker sich zurückgenommen zugunsten der Rolle, die er zu spielen hatte.
Nun ist es gerade Helge Schneider, der scharfe Kritik an dem fertigen Produkt geliefert hat: Aufgrund der Schnitte sei Hitler als Schwächling dargestellt, das sei ihm „zu profan“, so Schneider. Seine Kritik ist nachvollziehbar: Hitler wird als Opfer der Goebbels, Himmlers und Görings dargestellt, ähnlich wie in Moers‘ „Adolf – die Nazisau“ als Weichei, vom Vater verprügelt, schlaflos, weinerlich und sexuell schwach.
Bevor man Schneiders Kritik nachvollzieht, sollte man allerdings ein genaueres Auge auf den Film werfen: „Mein Führer“ ist weit davon entfernt, Adolf Hitler oder den Nationalsozialismus zu verharmlosen. Denn, im Gegensatz zu vermeintlich seriöseren Produkten, wird deutlich: Der Führer weiß um die Judenvernichtung, er weiß selbst um Auschwitz, dessen Lagerplan er in einer Szene vor sich liegen hat. Levy versteht sich auf das Understatement, die Kritik steht zwischen den Szenen.
Besonders deutlich wird dies in der Darstellung eines „deutschen Volkes“. Der jüdische Schauspielprofessor Adolf Grünbaum wird am Fenster des Führerhauptquartiers von seiner Ehefrau als „Adolf“ angerufen, was den Jubel der Massen zur Folge hat: Nicht nur der Führer ist es, dem ein Spiegel vorzuhalten ist – was hätte das heute noch für einen Nutzen? – sondern die Folger, denen es egal zu sein scheint, wem oder was man folgt.
Levy weiß, worüber er schreibt und dreht, nicht zuletzt aufgrund der Geschichte seiner Familie. Letztendlich ist es nicht ein Führer und eine Geschichte, die Ziele seiner Satire sind, sondern eine Landesbevölkerung, die „Deutschen“, und ihr Umgang mit der Geschichte, oder konkret: der Jubel einer vermeintlich geläuterten Nation über ihre Läuterung, manifestiert in Eichingers „Untergang“ und Guido Knopps „Hitlers …“ (die Punkte können beliebig ausgefüllt werden). Wie das deutsche Volk dem Juden Adolf Grünbaum, der fiktiv aus der Figur Hitlers ja ähnliches herauskitzelt wie die Populärhistoriker der BRD, zujubelt, so jubelt es über ein „Wunder von Bern“.
Levys Film ist nicht geschichtskritisch, sondern zeitgenössisch sozialkritisch
„Mein Führer“ wimmelt von Filmzitaten. In einer der ersten – und erst mal unangenehm aufstoßenden – Szenen des Films wird der jüdische Professor Grünbaum in eine Kammer gestoßen, alleine, über ihm ein Duschkopf. Die Assoziation ist klar und unangenehm. Beim Schauen des Films empört die Szene zunächst: ein unnötiges filmisches Thriller-Element, eine Banalisierung des Holocaust, der unmögliche und unnötige Versuch, die Zuschauenden empfinden zu lassen, was ein Jude in der Gaskammer gefühlt haben müsste.
Erst das Ende des Filmes lässt ein Licht aufgehen: Adolf Hitlers Rede zum Neujahrstag 1945 ist ein geniales umgekehrtes Zitat aus Charlie Chaplins „Der große Diktator“. In diesem Film spricht der jüdische Friseur (Chaplin) die von dem Diktator Hynkel (ebenfalls Chaplin) geplante Rede als einen Aufruf zu Frieden und Menschheitsverständigung. Es war das erste Mal, dass der Stummfilmkünstler im Film eine zusammenhängende Rede sprach. (1)
Auch bei Levy hält ein Jude eine Rede, die der Diktator halten sollte. Er ist aber unsichtbar, und Helge Schneider bewegt seine Lippen und agiert zu einem Ton, der nicht von ihm kommt. In diesem Moment spielt Schneider den Chaplin des Stummfilms.
2007 gesehen ist Levys „Mein Führer“ besser als Chaplins „Der große Diktator“. Denn Dani Levy weiß etwas, was Charlie Chaplin nicht wusste: Man darf zwar über Adolf Hitler lachen, aber nicht über den Holocaust. Chaplin konnte das nicht wissen, denn als er den Film 1938/39 drehte, hatte es noch keinen Holocaust gegeben. Von Chaplin selber stammt das Zitat, er hätte diesen Film später nicht mehr gedreht.
In diesem Zusammenhang ist auch die beschriebene banalisierende Eingangsszene neu zu beurteilen: Der Jude, der in einem Konzentrationslager unter der Dusche steht, ist ein direktes Zitat aus Steven Spielbergs „Schindlers Liste“, wo es eine ganze Gruppe von Jüdinnen und Juden ist, die auf ihre Vergasung warten. Levys ironisches Spiel mit dieser Szene ist eine Kritik an der Trivialisierung der Geschichte.
Über Hitler und den Nationalsozialismus wurde immer gelacht, selbst in den Konzentrationslagern. Als im Konzentrationslager Börgermoor 1934 der „Zirkus Konzentrazani“ (für den „Die Moorsoldaten“ geschrieben wurde) seine Uraufführung hatte und als in Dachau 1943 die „Blutnacht auf dem Schreckenstein“ als trampeliges Bauerntheater ebenfalls von Häftlingen gespielt wurde, lachten selbst die Nazis, wenn sie auch nicht wussten, warum. Und Serdar Somuncu, der „Türke, der uns den Hitler macht“, weiß zu berichten, dass auch stramme Neonazis sich bei der Lesung aus „Mein Kampf“ vor Lachen nicht halten konnten.
Rolf Hochhuth, Autor des dokumentarischen „Der Stellvertreter“, konnte „Mein Führer“ nicht akzeptieren. Für ihn war das eine Banalisierung. Hätte er über seinen dramaturgischen Kollegen George Tabori und dessen großartiges „Mein Kampf“ ähnlich geurteilt?
„Der Stellvertreter“ oder auch Peter Weiß‘ „Die Ermittlung“ sind als dokumentarische Stücke weit gekommen mit einer Aufarbeitung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen. Sie stellen einen Schrecken dar, der dramaturgisch nicht mehr zu übertreiben ist. Das Dokumentarische schließt jedoch die Kenntnis der Dokumente als „wahrhaftige“ Dokumente ein. Diesen dokumentarischen Anspruch versuchte Eichinger mit dem „Untergang“, und Guido Knopp versucht ihn jeden Sonntagabend in seiner Geschichts-Show, und diese sind es, die banalisieren.
George Tabori und Charlie Chaplin genauso wie Walter Moers, Serdar Somuncu und Dani Levy stellen sich genau dieser Banalisierung entgegen.
Sie machen „das Furchtbarste lächerlich“, eben weil es lächerlich war. Während Hochhuth und Weiß den Schrecken dokumentieren, sind auch sie auf andere Weise dokumentarisch: Sie dokumentieren die „Banalität des Bösen“ (Hannah Arendt).
Das Dokumentarische erzählt Geschichte, das Absurde und Lächerliche schafft die Verbindung zur Gegenwart. Dass das Böse so banal ist, weist auf seine weitere Wirksamkeit hin. Hochhuth und Weiß präsentieren uns eine Geschichtsstunde, Tabori und Levy machen (didaktisch gelungenen) Sozialkundeunterricht.
Dieser Vergleich (welcher Künstler möchte schon als Sozialkunde-Lehrer gelten?) hinkt und trifft es dennoch. Denn es gibt einen wunden Punkt in der Darstellung Levys: Auch die (reale) Banalität wird erst dann bewusst, wenn man bereits um die Banalität des Bösen weiß, ebenso wie das Dokumentarische erst dann seine Wirkung entfaltet, wenn man um die Dokumente weiß. Der Austausch von Hitler-Pop via moderner Massenmedien lässt dieses Wissen vermissen. „Mein Führer“ kann seine Kritik erst dann entfalten, wenn bereits Wissen vorhanden ist. (2)
Dani Levy hat insofern das selbe didaktische Problem wie viele Geschichts- oder SozialkundelehrerInnen.
Dennoch: Wer über Nazis lacht, wird kein Nazi. Das trifft zumindest dann zu, wenn man weiß, dass hier nicht Realität banalisiert, sondern die reale Banalität dargestellt wird.
(1) Charlie Chaplin hat sich lange Zeit gegen den Tonfilm gewehrt. "City Lights" beginnt erstmals mit der Rede eines Politikers, die absichtlich unverständlich bleibt. "Der große Diktator" ist zwar schon ein Tonfilm, der von Chaplin gespielte jüdische Friseur spricht aber bis zum Ende des Films kaum. Hynkels Reden sind keineswegs nur Persiflage auf die deutsche Sprache, sondern eine Kritik an der Überschätzung des Akustischen gegenüber dem Sichtbaren.
(2) Z.B. empfängt Joseph Goebbels den Juden Adolf Grünbaum damit, dass er sich wundere, dass dieser im KL Sachsenhausen gewesen wäre und nicht in Theresienstadt, "unserem schönsten Lager". Komisch wird diese Szene erst, wenn man weiß, dass gerade im September 1944 der Film "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" abgedreht wurde, ein Propagandafilm, der das vermeintlich angenehme Leben der Jüdinnen und Juden in dem Ghetto einer Weltöffentlichkeit vorstellen sollte. "Mein Führer" erzählt in vielerlei Hinsicht die Entstehungsgeschichte dieses Films. Der jüdische Regisseur Kurt Gerron, der gezwungen wurde, diesen Film zu drehen, wird im Film als Freund Grünbaums von Ilja Richter dargestellt (als "Kurt Gerheim").