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„Das interessante an der Pariser Commune ist der Entwurf einer Demokratie von Menschen für Menschen

Ein Interview mit dem Comic-Autor Jacques Tardi

| Interview: Emmanuelle Piriot und Kamil Majchrzak vom JournalistInnen-Kollektiv "Krise und Kritik"

Jacques Tardi, geboren 1946, gehört zu den meist geschätzten Comic-Autoren Frankreichs. Bekannt wurde er als Zeichner zahlreicher Krimi-Geschichten wie "Adeles ungewöhnliche Abenteuer" und Geschichten aus dem Ersten Weltkrieg. Im vergangenen Jahr erhielt er im Rahmen des 12. Internationalen Comic-Salons Erlangen, dem wichtigsten Comic-Preis in Deutschland, einen Sonderpreis für sein herausragendes Lebenswerk. In den letzten Jahren wandte er sich intensiv der Pariser Commune zu. Zum 136. Jahrestag der Entstehung der Commune wurde in Paris eine Ausstellung zu seinem vierbändigen Werk "Die Macht des Volkes" nach einem Roman von Jean Vautrin eröffnet.

Graswurzelrevolution: Sie haben mehrere Jahre einer Serie über die Pariser Commune „Die Macht des Volkes“ gewidmet. Woher kommt das Interesse an diesem Thema?

Jacques Tardi: Diese vier Jahre meiner Arbeit reihen sich ein in eine rückblickende Auseinandersetzung mit der Geschichte.

Mein Interesse galt zunächst dem Zweiten Weltkrieg, da mein Vater damals in Kriegsgefangenschaft geraten ist. Dann ging ich weiter zurück und setzte mich mit dem Ersten Weltkrieg auseinander, an dem auch mein Großvater teilnahm. Letzteres habe ich bereits zeichnerisch umgesetzt. Wie Sie wissen hatten 1914 französische Soldaten den Auftrag Elsass und Lothringen von den Deutschen zu befreien. Wenn man die Gründe dafür untersucht und weiter zurück blickt, stößt man unweigerlich auf die Niederlage von 1870 und das Ende des Imperiums Napoleons III. Das wichtigste Ereignis direkt danach ist, meiner Meinung nach, die Pariser Commune. In einer Stadt die während des Preußisch-Französischen Krieges nicht besetzt war, kam es zu einer Erhebung.

Es ist schon bemerkenswert, dass die Pariser Wehrmauern von Louis Adolphe Thiers, dem Chef der Exekutivgewalt in Auftrag gegeben wurden. Später hat eben dieser die Pariser Commune mit Versailler Truppen und der Unterstützung des preußischen Kanzlers Otto von Bismarck niedergeschlagen. Mich interessierte also, was während dieser zweieinhalb Monate der Commune in der Stadt passiert ist.

Die Commune ist ein Begriff aus dem Mittelalter, der besagt, dass eine Stadt unabhängig von der Zentralmacht geworden ist. Diese Stadt war also völlig befreit und keiner Außenmacht mehr untergeordnet. Napoleon der III ging ins Exil. Thiers fand es aber inakzeptabel, dass die Hauptstadt sich emanzipiert. Um Abhilfe zu schaffen stellte er gegen sie Truppen auf.

Aber während dieser kurzen zwei Monate wurden in der Stadt außergewöhnliche Beschlüsse gefasst. Diese hätten nie unter den bisherigen Regierungen angenommen werden können. So wurde z.B. die Todesstrafe abgeschafft, wobei sie nach der Niederschlagung der Commune sofort wieder eingeführt wurde. Es folgten fortschrittliche Maßnahmen im Bereich der Bildung, die Begrenzung der Kinderarbeit und zahlreiche weitere soziale Maßnahmen. Diese Zeit zeichnet sich daneben auch durch einen starken Antiklerikalismus aus, da die Menschen lange unter der Herrschaft der Kirche gelitten hatten. Die KommunardInnen sind aber schließlich zu weit gegangen. Als Thiers in Versailles seine Gefangenen erschoss, hat das die Menschen in Paris wütend gemacht. Als Vergeltung fingen auch sie an ihre Geiseln, unter ihnen den Pariser Bischof Darbois hinzurichten. Darbois versuchte zuvor Verhandlungen zwischen der Commune und Versailles herzustellen. Darauf ist Thiers jedoch nicht eingegangen. Dieser wollte vielmehr, dass die KommunardInnen Darbois erledigen. In diese Falle sind sie dann auch getappt. Anschließend rechtfertigte man damit die zahlreichen Repressionen gegen die KommunardInnen. Die große Hoffnung kam so an ihr Ende, sie blieb stehen an einem Moment, als die KommunardInnen eine glorreiche Haltung einnahmen.

Wie würde die Welt aussehen, wenn dieser Zustand fortbestanden hätte? Keiner kann das heute sagen. Wir wissen heute nur, dass die Niederschlagung der Commune zwanzig bis dreißig Tausend tote KommunardInnen gefordert hat, weitere Tausende wurden nach Neu Kaledonien deportiert, und erst neun Jahre später amnestiert. Nach der Niederlage wurde Thiers der neue Präsident der Republik. Menschen wie Jules Ferry, ein Verfechter der laizistischen Schule griffen aber viele Errungenschaften der Commune auf und nutzten sie für sich.

Ist die Pariser Commune heute noch aktuell?

Davon bin ich überzeugt. Wenn man die gegenwärtigen sozialen Probleme betrachtet wünscht man sich, dass die Menschen mehr Interesse zeigen und die Sachen in ihre eigenen Hände nehmen. Das interessante an der Pariser Commune ist der Entwurf einer Demokratie von Menschen für Menschen. Das war ein echter ArbeiterInnenaufstand.

Das bedeutet, dass nicht mehr irgendwelche Berufs-Politiker den Lauf der Geschichte bestimmen, sondern die betroffenen Menschen selbst. Die Prioritäten der Pariser Commune gaben Antworten auf das Leid und die sozialen Missstände denen damals die Menschen ausgeliefert waren.

Für Karl Marx war das auch die erste ArbeiterInnenrevolution überhaupt…

Das ist richtig. Die Oktoberrevolution in Russland wurde durch die Commune inspiriert. Dies wird deutlich, wenn Lenin schreibt: „Wir haben es eine Woche, zwei Wochen länger geschafft…“ Wir wissen was nach der Oktoberrevolution geschehen ist. Nichtsdestotrotz war es die Commune die diese Revolution inspiriert hatte.

Die Mehrheit der FranzösInnen weiß gar nichts über die Pariser Commune…

Selbstverständlich, und das ist auch kein Wunder. Man erfährt darüber ja auch nichts von den Lehrern. Auch in den Schulbüchern kommt die Commune nicht vor. Es wird wohl befürchtet, dass die SchülerInnen ihre Schulen in Brand stecken würden. Dies wäre einfach logisch.

Auf welche Materialien haben Sie sich bei Ihren Zeichnungen gestützt?

Ich ließ mich von den verschiedenen überlieferten Dokumenten inspirieren. Damals kam die Fotographie in Mode, es gab aber keine Reportagen. Die meisten Fotos sind gestellt bzw. posierend. Ich habe hauptsächlich auf Grundalge von Zeichnungen gearbeitet und versucht vieles zu rekonstruieren. Aber es ist niemals möglich die Wahrheit wirklich abzubilden.

In der Serie „Die Macht des Volkes“ werden trotzige Pariser Charaktere dargestellt…

Nein, das ist ein Cliché. Ich habe einfach viel über den damaligen Alttag gelesen.

Ein Problem, das beim Zeichnen immer wieder auftaucht, ist, dass überlieferte Dokumente nur sehr wenig über die einfachen, kleinen Leute, z.B. ihre Kleidung zu berichten wissen. Das heißt, dass man gezwungen ist weiter nachzuforschen, und dann bestimmte Kleinigkeiten und Elemente z.B. auf Gemälden entdeckt.

Was die Dialoge angeht habe ich mich an die Buch-Vorlage von Jean Vautrin gehalten. Oft musste ich diese jedoch kürzen, weil ein Comic nicht die gleichen Rahmenbedingungen hat wie ein Roman. Und dann gibt es da noch die Umgangssprache, die höchst interessant und amüsant ist. Ich liebe diese Sprache. Und ich muss sagen ich habe dabei ein bisschen übertrieben. Dies aus einfachen Grund: diese Sprache enthält sehr viele Bilder.

Sind die Antiglobalisierungs-Bewegung oder die Proteste gegen G8 in der Lage, die Perspektive einer neuen Commune zu entfalten?

Hier kommen wir in den Bereich der political-fiction. Darauf kann ich keine Antwort geben. Eins ist jedoch sicher: Die Menschen sind sehr unzufrieden. Unter solchen Bedingungen ist deshalb alles möglich.

Gäbe es die Aussicht auf eine neue Commune, würden sie sich an dieser beteiligen?

Das wird sich noch herausstellen. Wir treffen uns dann auf der Barrikade wieder.

Literatur

Le Cri du peuple, nach dem Roman von Jean Vautrin (Casterman, 2001-04); dt. Die Macht des Volkes

1. Les Canons du 18 mars (2001); dt. "Die Kanonen des 18. März" (Ed. Moderne, 2002)

2. L'Espoir assassiné (2002); dt. "Die zerstörte Hoffnung" (Ed. Moderne, 2003)

3. Les Heures sanglantes (2003); dt. "Zeit des Schreckens" (Ed. Moderne, 2004)

4. Le Testament des ruines (2004); dt. "Das Vermächtnis der Ruinen" (Ed. Moderne, 2005)