antimilitarismus

Die mit den Totenschädeln tanzen

Gelebte Tradition von Gebirgsjägern aus Mittenwald

| Ak angreifbare Traditionspflege (Landesverband Hamburg)

Die täglich von Millionen Menschen in der Bundesrepublik konsumierte Bild-Zeitung überraschte am 25. Oktober 2006 ihre LeserInnen auf der Titelseite mit "Schock-Fotos". Und das einen Tag vor der Parlamentsdebatte zur "Zukunft der Bundeswehr". In den darauf folgenden Tagen fielen dazu PolitikerInnen und JournalistInnen Begriffe wie "pervers", "obszön", "widerwärtig" und ähnliches mehr ein.

Damit meinten sie jedoch nicht die entblößte, als „Tagespussy“ funktionalisierte „Natalie“, die an diesem Tag als Aufreißer für die Werbeanzeigen aus dem Prostitutionsmilieu diente. Gemeint war damit u.a. ein ordnungsgemäß aufgestellter Bundeswehrsoldat, präziser: ein Gebirgsjäger, der mit einem Totenkopf posierte. Dieses Bild ist mit einer Digitalkamera aufgenommen worden und vermutlich 2003/2004 in Afghanistan entstanden.

Dieses und andere Knochen- und Totenkopf-Bilder zirkulieren seit Jahren in mehreren tausend Stück in der Subkultur des Militarismus in diesem Land. Warum es aber ein weiteres Bundeswehrtotenschädelfoto in derselben Ausgabe lediglich auf die zweite Seite gebracht hat, muss verwundern. Immerhin ist darauf neben einem Totenkopf der Penis eines Bundeswehrsoldaten zu sehen: Dieses Foto bringt den Zusammenhang zwischen gewalttätigem Ficken und Morden im Soldatenleben auf den Punkt. Wenn man den Text und die Bilder der Bild-Berichterstattung zum Thema „Totenschädel-Skandal“ analysiert, kann man die Bigotterie dieser Skandalisierung unschwer erkennen. Hätte es doch mit Blick auf die in den Jahren 1995-1999 gezeigte Fotoausstellung „Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht“ heißen müssen: „Schon wieder Schock-Fotos von deutschen Soldaten“.

Diffuse Vorder- und Hintergründe eines Skandals …

Niemand in der politischen Öffentlichkeit konnte sich in den folgenden Tagen dieser Totenschädel-Kampagne entziehen. Gibt es doch für eine mediale Darstellung kaum ein besseres Symbolzeichen als einen Totenkopf.

Die tagelange Kampagne war dabei seitens ihrer Initiatoren in eine staatstragende Rhetorik eingebunden: „Sind sich Vorgesetzte immer ihrer Verantwortung bewusst?“ (1)

Hochrangige VertreterInnen aller Parteien, inklusive die Kanzlerin und ihr Verteidigungsminister, beeilten sich unisono, ihre Abscheu zu bekunden. Der amtierende Bundesverteidigungsminister verstieg sich in einer Parlamentsdebatte zu der allseits beklatschten Aussage: „Wer sich so verhält, hat in der Bundeswehr keinen Platz.“

Was mag ausgerechnet die Bild-Zeitung, die es Zeit ihres Bestehens niemals an Unterstützung der Institution Bundeswehr hat fehlen lassen, dazu bewogen haben, diese peinlich-pornographischen Dokumente als Skandal zu vermarkten?

Nicht ganz auszuschließen, dass die enge Verbindung des Springer-Konzerns zu Teilen der Bundeswehrgeneralität im Vorfeld anstehender Etatkürzungen für den Bundeswehrausbildungsbereich für eine prominente Platzierung der Totenschädel gesorgt hat. (2)

Ein Kommentator einer linken Gazette vermutete als Hintergrund mögliche politische Rochaden der NATO im Hinblick auf die Zukunft des Afghanistan-Einsatzes. (3)

Vielleicht wird einmal jemand aus der Chefredaktion der Bild-Zeitung aus dem Nähkästchen plaudern. Erst dann wird man über die Hintergründe des Totenschädel-Skandals nicht mehr auf Spekulationen angewiesen sein.

… seine organisatorischen Folgen und politische Reichweite

Zunächst löste der Totenschädel-Skandal die größte Untersuchung in der Geschichte der Bundeswehr aus. 5.500 Bundeswehrsoldaten hatten gegenüber ihren Dienstvorgesetzten Stellung zu nehmen. Zu Beginn der Pressekampagne wurde mit starken Begriffen wie „Militärstaatsanwalt“, „Verhöre“, „Geständnisse“, „Reue“ und „Feuern“ gearbeitet. Nach drei Monaten kam das Ergebnis: Nicht ein einziger Bundeswehrsoldat wurde „gefeuert“, lediglich fünf davon sollen in den nächsten 24 Monaten nicht befördert werden. (4)

Allemal kann der Totenschädel-Skandal im Ergebnis als eine Art Reinigungskrise des Bundeswehr-Militärapparates interpretiert werden. Diese Lesart drängt sich bei der Interpretation des Cartoons von Klaus Stuttman auf:

Bundeswehrsoldaten sollen in Zukunft fachkundig und neutral Totenschädel herstellen, anstatt damit zu spielen.

So können Zweifel an der These gehegt werden, dass der Totenschädelskandal letztlich Widerwille und Ablehnung weiterer Militäreinsätze von Bundeswehrsoldaten befördert hat.

In der Öffentlichkeit vielleicht, bei den wesentlichen Entscheidungsträgern nicht.

Die im Kern oberflächliche Skandalisierung schloss affirmative Lesarten zukünftiger Bundeswehrmilitäreinsätze immer ein:

So wusste ein Kommentator des „Stern“ die Totenschädelspielereien in der Formulierung, dass hier „die in der normalen Anarchie des Krieges (Soldaten) über die Stränge geschlagen“ hätten, zu verniedlichen, um schließlich zu dem Schluss zu gelangen, dass ein beschädigtes „Image der Bundeswehr“ nun mal „der Preis (sei), den die Deutschen für ihre Wiedereingliederung in die Reihe der souveränen, mitunter auch Krieg führenden Staaten zahlen müssen“. (5)

… und was das alles mit Mittenwald zu tun hat

Dieser politische Skandal provozierte eine Reihe von Nebeneffekten, die auf ihre Weise den jahrelangen Protest gegen die Traditionspflege deutscher Gebirgsjäger in Mittenwald berühren: Er verweist nicht nur auf eine längere Vorgeschichte des Totenschädelskandals im Bundeswehrmilitärapparat selbst.

Darüber hinaus rückten die Bundeswehrgebirgsjägereinheiten und teilweise ihre historischen Massenmordtraditionslinien in das Zentrum der Öffentlichkeit. In einem Bericht des Korrespondenten einer bürgerlichen Regionalzeitung ist dieser Bezug in die Formulierung gekleidet: „Für den Einsatz am Boden in den unwegsamen Bergregionen am Hindukusch sind sie besonders geeignet.

Das sichert den Gebirgsjägern eine Sonderstellung, geht häufig aber auch mit einer Sondermentalität einher: Die Totenkopf-Fotos, aufgenommen während der unsäglichen Patrouille in der Umgebung von Kabul, liefern den unrühmlichen Beweis dafür.“ (6)

Direkter formuliert das der Friedensaktivist Jakob Knab: „Seit ihrer Gründung im Ersten Weltkrieg bewegen sich die bayrischen Gebirgsjäger in einem völkisch-reaktionären, genuin militärischen Milieu nach rechten Mustern. Diese Blickverengung führt zu Verdrängung, Schuldabwehr und Wahrnehmungsblockaden. Beim alljährlichen Pfingsttreffen in Mittenwald werden unbeirrt kriegerische Tüchtigkeit, Treue und Kameradschaft beschworen.“ (7)

Schön, nun auch in der führenden nationalen BürgerInnenzeitung den Halbsatz zu lesen:

„Touristen zieht es meist nicht in Scharen in Orte, die mit Schlagzeilen wie ‚Mittenwalder Totenschänder‘ auffallen…“ (8)

Der als Bürgermeister der Gemeinde Mittenwald amtierende Hermann Salminger wusste sich in den Massenmedien zu profilieren, wahlweise mit sadistischen Bemerkungen: „Die g’hören eing’sperrt, dass ihnen die Rippen krachen!“ und – so man ihm dreiste Lügen nicht unterstellen mag – mit ahnungslosem Gebrabbel: „Wir sind nicht die Gemeinde der Totenschänder. Das waren Idioten, die nichts mit unserem Ort gemein haben.“ (9)

Ein kurzer Blick in die staatsanwaltschaftlichen Vernehmungsakten zu dem Gebirgsjäger-Massaker in Kommeno, das von den Soldaten des Gebirgsjäger-Regiments aus Mittenwald, unter der Leitung Josef Salmingers, Ritterkreuzträger, NS-Kriegsverbrecher und Vater des heutigen Mittenwalder Bürgermeister, verübt wurde, widerlegt derartige Fiktionen: 1943 ermordeten diese Gebirgsjäger im nordgriechischen Kommeno nicht nur 317 Zivilisten, sondern schändeten nach dem Massaker auch Frauenleichen. (10)

Trotzdem bleibt es ein Verdienst des Bürgermeisters, in der Öffentlichkeit auf ein Anwachsen der alljährlichen Pfingstdemonstrationen gegen die seit 1945 ungebrochene Gebirgsjäger-Traditionspflege hingewiesen zu haben: Er „befürchtet jetzt fürs kommende Jahr verstärkte Proteste: Der Vorfall in Afghanistan sei ‚Wasser auf die Mühlen‘ der Kritiker“. (11)

Das sind ganz ausgezeichnete Bedingungen, um folgende Forderungen am Pfingstwochenende in Mittenwald kund zu tun:

  • Endlich weg mit den Gedenkfeierlichkeiten deutscher Gebirgsjägereinheiten in Mittenwald!
  • Schluss mit der Produktion von Totenschädeln im Kosovo, Afghanistan und anderswo!
  • Bundeswehr? – Wegtreten!

(1) Bild.t-online vom 25.10.2006

(2) Vgl. Die Welt vom 4.11.2006

(3) Vgl. junge Welt vom 27.10.2006

(4) Vgl. Der Spiegel vom 18.12.2006

(5) Stern vom 25.10.2006

(6) Bonner General-Anzeiger vom 27.10.2006

(7) SZ vom 27.10.2006

(8) FAZ vom 28.10.2006

(9) Hamburger Abendblatt vom 27.10.2006

(10) Vgl. Pressemitteilung des AK angreifbare Traditionspflege vom 27.10.2006

(11) Spiegel-online vom 26.10.2006

Anmerkungen

Eine Pressedokumentation im pdf-Format zum so genannten Totenschädel-Skandal sowie weitere Informationen zur Mittenwald-Mobilisierung finden sich unter:

http://mittenwald.blogsport.de/

Zum Thema siehe auch: Heuchelei und Bundeswehr, Kommentar von Bernd Drücke, in: GWR 312, November 2006, S. 2, www.linksnet.de/artikel.php?id=2673