In einem Gerichtsverfahren gegen 11 AktivistInnen der Anarchists Against the Wall (AATW) wurden nun, nachdem das Verfahren seit knapp drei Jahren geführt wurde, die Urteile gefällt. Diese Gerichtsurteile, in Form von Schuldsprüchen, kommen keineswegs überraschend, vielmehr stehen sie exemplarisch für die Repression, mit der FriedensaktivistInnen in Israel/Palästina konfrontiert sind.
Die Anklage bezog sich auf eine Blockadeaktion der AATW vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv, die am 3. Februar 2004 durchgeführt wurde.
Stunden zuvor waren die AktivistInnen daran gehindert worden, nach Tulkarem, einer palästinensischen Stadt im Norden der Westbank, dessen BewohnerInnen die AATW zu einer Demonstration eingeladen hatten, zu fahren. Ermöglicht wurde dies durch ein offenbar gut funktionierendes Überwachungsnetzwerk: Ein Polizist in Zivil verfolgte die Libertären bereits von dem Ort in Tel Aviv aus, an dem sich die Aktiven getroffen hatten, mit einem Motorrad. Dieser wurde etwas später durch einen Polizei-Helikopter, der die Observation der Gruppe übernahm, ersetzt. Die AktivistInnen wählten, in zwei Gruppen geteilt, jeweils verschiedene Anfahrtsrouten, wurden jedoch trotzdem an zwei unterschiedlichen Checkpoints, an der Grenze zum Westjordanland, an der Weiterfahrt gehindert. Als Reaktion auf diese ausufernde Überwachung und Repression der Exekutive, beschlossen die AktivistInnen, nachdem sie zwangsläufig zurück nach Tel Aviv gefahren sind, die Kaplan Street vor dem Verteidigungsministerium, als deutliches Zeichen des Protestes und der Empörung, zu blockieren.
Eine brutale Räumung der Blockade, Verhaftungen und das Gerichtsverfahren, das nun zu Ende gegangen ist, waren die Folgen.
Schuldsprüche gegen alle AktivistInnen
Die insgesamt 11 AnarchistInnen, die auf der Anklagebank saßen, wurden alle mit Schuldsprüchen belegt. Sieben AATW-Mitglieder wurden zu 80 Stunden Sozialdienst verurteilt, bei drei weiteren Angeklagten ist das Verfahren, aufgrund weiterer Ermittlungen, noch nicht abgeschlossen. Für den israelischen Anarchisten und Friedensaktivisten Jonathan Pollak lautete das Urteil 3 Monate Haft auf Bewährung.
Sollte er innerhalb von 2 Jahren noch einmal gegen das Gesetz verstoßen, muss er die Haftstrafe antreten. Jonathan Pollak sagte in seiner Erklärung vor Gericht, dass er sich weigere, mit der Bewährungshilfe zusammen zu arbeiten, und ergänzte, dass er bereit sei, sofort ins Gefängnis zu gehen.
„Obwohl dies meine erste Verurteilung ist, wird es mit Sicherheit nicht meine letzte gewesen sein. Ich bin immer noch der Überzeugung, dass das, was ich getan habe, richtig und moralisch korrekt gewesen ist und dass es jedermanns Verpflichtung ist, Widerstand gegen Unterdrückung zu leisten, auch wenn dies persönliche Konsequenzen nach sich zieht. (…) Es überrascht mich keineswegs, dass wir heute hier für schuldig befunden wurden, aber ungeachtet dessen, kann ich diese Strafe nicht als legitim anerkennen. Das ist der Grund, weshalb ich mich weigere, mit der Bewährungshilfe zusammen zu arbeiten und weshalb ich auch keinen Sozialdienst leisten werde.“
Der Staatsanwalt, der auch eine Geldstrafe für Pollak gefordert hatte, meinte nach dem Gerichtsverfahren, dass es ihn traurig stimme, wenn ein reifer und eloquenter Mensch zu dem Schluss komme, dass der einzige Weg, seiner Meinung Ausdruck zu verleihen, der sei, gegen das Gesetz zu verstoßen.
Der Richter verzichtete jedoch darauf, Pollak neben der Bewährungsstrafe auch noch mit einer Geldstrafe zu belegen, mit der Begründung, dass er sich dessen bewusst sei, dass der Aktivist sich ohnehin weigern werde, diese Geldbuße zu bezahlen.
Pollak richtet sich zum Schluss seiner Rede auch noch an den Richter persönlich:
„Wenn Euer Ehren denkt, dass jemand für eine solche Tat ins Gefängnis gesperrt werden soll, dann bitte ich Sie, sich die Freiheit zu nehmen und mich hier und jetzt persönlich ins Gefängnis zu bringen.“ (1)
Vom Brechen der Gesetze
„Auf unsere Behauptung, dass es Zeiten gebe, in denen es notwendig sei, das Gesetz zu brechen, erwiderte das Gericht, dass man in Zeiten wie diesen aber auch die darauf folgende Strafe akzeptieren müsse. Diese Antwort beinhaltet jedoch offensichtlich eine moralische Fehleinschätzung. Die richtige Antwort müsste lauten, dass diejenigen, die das Gesetz brechen, damit rechnen müssen, bestraft zu werden.
Damit rechnen sehr wohl, aber unter keinen Umständen sie als legitim akzeptieren,“ (2) sagte Jonathan Pollak vor Gericht und bewegte sich somit argumentativ auf den Spuren von Persönlichkeiten wie zum Beispiel Henry David Thoreau, der 1849 in seinem Essay Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat, das er aus Protest gegen die amerikanische Eroberungs- und Sklavenpolitik verfasste, schrieb, dass der Gesetzesbruch aus Gewissensgründen, der zivile Ungehorsam, notwendig und rechtens sei.
„Muss der Bürger auch nur einen Augenblick, auch nur ein wenig, sein Gewissen dem Gesetzgeber überlassen? Wozu hat denn dann jeder Mensch ein Gewissen? (…) Man sollte nicht den Respekt vor dem Gesetz pflegen, sondern vor der Gerechtigkeit.“ (3)
Später liest man einen Satz, der bereits auf Generationen von AktivistInnen stärkend und mutmachend wirkte – und er tut dies bestimmt auch bei den israelischen FriedensaktivistInnen und KriegsdienstverweigerInnen:
„Unter einer Regierung, die irgend jemanden unrechtmäßig einsperrt, ist das Gefängnis der angemessene Platz für einen rechtschaffenen Menschen.“ (4)
(1) www.awalls.org/jonathan_pollak_s_sentencing_statement
(2) ebd.
(3) Henry David Thoreau, Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat/Civil Disobedience. Zürich 2004, S. 13
(4) ebd., S. 38