Wolfgang Schäuble, so sagte jüngst Bruno Jonas - oder war es ein anderer Kabarettist? - in einer Plauderrunde bei Sandra Maischberger, Wolfgang Schäuble verkörpere geradezu den Leitspruch: "Räder müssen rollen für den Sieg."
Das ist natürlich nicht nett und über die körperlichen Gebrechen anderer Leute macht man auch keine Witze. Aber spätestens seit Funny van Dannen weiß man: Auch lesbische schwarze Behinderte können ätzend sein. Und es trifft nun mal einfach zu: Wolfgang Schäuble gehört zu jenen Menschen, vor denen uns unsere Eltern zu Recht immer gewarnt haben.
Denn anders als der stahlbehelmte Manfred Kanther oder der nach mannigfaltiger politischer Metamorphose ausgehärtete Otto Schily gibt sich Wolfgang Schäuble gern als Law-and-Order-Mann mit menschlichem Antlitz:
Da tritt er bei einer gemeinsamen Tagung der Kinderkommission des Deutschen Bundestags und UNICEF zur Situation von Roma-Kindern in Deutschland und Europa auf und lobt das deutsche Ausländerrecht als besonders humanitär:
„Sie können mir glauben, dass das deutsche Ausländerrecht großzügiger ist als in den meisten anderen Staaten.“
Da legt sich Wolfgang gar mit seinen Parteifreunden aus Bayern und Niedersachsen an und verhandelt konsequent eine Bleiberechtsregelung für geduldete Flüchtlinge durch: „Jeder sieht doch, dass man Kinder, die hier geboren wurden, zur Schule gingen und oft sogar einen guten Abschluss gemacht haben, nicht irgendwohin abschieben kann.“
Und darin besteht genau ein Teil des Problems: In der Öffentlichkeit wird fast ausschließlich die „Bleiberechtsregelung“ wahrgenommen, wenn es um das Änderungsgesetz zum Zuwanderungsgesetz geht.
Dabei besteht diese nur aus zwei Paragrafen – nicht mal eine halbe Seite im Vergleich zu mehreren hundert Seiten Änderungsvorschlägen zu den sonstigen Vorschriften.
Und die bestehen ganz überwiegend aus teils drastischen Verschärfungen. Wolfgang Schäuble ist also das Kunststück gelungen, Hardliner-Positionen durchzudrücken und gleichzeitig als Menschenfreund wahrgenommen zu werden.
So geschickt hat sich noch nicht einmal Otto Schily in Szene setzen können – er hat es allerdings auch gar nicht erst versucht.
Was bedeutet nun die Bleiberechtsregelung, nachdem doch die Innenminister bereits im November vergangenen Jahres einen Beschluss dazu gefasst hatten?
Es gibt drei wesentliche Änderungen, die weitergehend sind als die Vorschriften der Innenminister: Die Frist zur Arbeitssuche für geduldete Flüchtlinge wird verlängert bis Ende 2009 statt bis September 2007 und die betroffenen Menschen erhalten bereits vor einer eigenständigen Lebensunterhaltssicherung eine (befristete) Aufenthaltserlaubnis.
Die Innenminister hatten hier lediglich weiterhin die Duldung vorgesehen.
Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit für minderjährige Kinder und Jugendliche ab 14 Jahren ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu bekommen – wenn ihre Eltern „freiwillig“ ausreisen. Abgesehen davon, dass der Euphemismus „Freiwillige Ausreise“ zum Unwort des Jahres 2006 gewählt worden ist (siehe dazu den Artikel auf Seite 9), hat offenbar selbst Dieter Wiefelspütz, Chefverhandler der SPD, Bauchschmerzen bei dieser familienfeindlichen Regelung: Sie erscheine in der Tat „ein bisschen gaga und lebensfremd“, aber zugestimmt hat er dennoch.
Gaga und lebensfremd sind indes noch ganz andere Vorschriften:
Die Tatsache, dass erwerbsunfähige Menschen und Personen über 65 Jahren nur dann dauerhaft hier bleiben dürfen, wenn die Kosten für ihren Lebensunterhalt einschließlich einer ausreichenden Krankenversicherung privat übernommen werden, etwa.
Oder die von Dr. Edmund Stoiber und Niedersachsens Innenminister Schünemann auf den letzten Drücker hineinverhandelte Einschränkung, dass Personen, die noch keinen Job haben, zwar leistungsberechtigt nach dem SGB II – also Hartz 4 – wären, aber dennoch Sachleistungen und Lagerunterbringung möglich bleiben sollen.
Ein schöner Testballon, ob das nicht auf alle Hartz 4- EmpfängerInnen übertragbar sein könnte?
Die – zugegebenermaßen dauerbetroffene – Claudia Roth sieht hierin zurecht einen „Wettlauf der Schäbigeit“.
Wie viele Menschen könnten vom Bleiberecht profitieren?
Die zeitlichen Voraussetzungen – sechs bzw. achtjähriger Aufenthalt – erfüllen mehr als die Hälfte der bundesweit etwa 190.000 Geduldeten. Bei einem Großteil werden allerdings Ausschlusskriterien greifen: Wenn man in der Vergangenheit nicht ausreichend an seiner eigenen Abschiebung mitgewirkt hat, oder wenn man zu geringen Geldstrafen verurteilt worden ist.
Hans-Peter Uhl, beinharter CSU-Innenpolitiker, erwartet denn auch, dass nur 30.000 bis 40.000 Menschen tatsächlich ein Bleiberecht erhalten werden und sieht für die übrigen erwartungsvoll „ein großes Abschiebungspotenzial“.
Die Aufgabe für UnterstützerInnen und Flüchtlingsselbstorganisationen, Abschiebungen unmöglich zu machen, bleibt also bestehen.
Das rudimentäre Bleiberecht ist teuer erkauft: Auf mehreren hundert Seiten des Zweiten Änderungsgesetzes zum Zuwanderungsgesetz finden sich hauptsächlich Verschärfungen und Einschränkungen.
Der Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, das ein Leben unterhalb des Existenzminimums rechtlich erst möglich macht, wird von drei auf vier Jahre heraufgesetzt.
Das Nachzugsalter für Ehegatten wird von 16 auf 18 Jahre heraufgesetzt und nachziehende Ehegatten müssen Deutschkenntnisse nachweisen, bevor sie nach Deutschland kommen dürfen.
Bußgelder für „integrationsunwillige Ausländer“ werden eingeführt, eine erleichterte Einbürgerung für junge Menschen wird eingeschränkt, die Inhaftierung bei Einreise aus einem anderen EU-Staat, der möglicherweise für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig sein könnte, wird zur Regel erklärt, die Möglichkeit der Altersfeststellung durch Röntgen der Handwurzel wird ausdrücklich festgeschrieben.
Besonders pikant: Offizielle Begründung für die Änderung des Zuwanderungsgesetzes ist die Umsetzung von EU-Richtlinien in deutsches Recht, die häufig einen weiter gehenden Flüchtlingsschutz vorschreiben, als er in Deutschland gewährt wird.
Diese Richtlinien werden im Gesetzentwurf jedoch nur unzureichend umgesetzt.
Beispiel 1:
Die EU fordert für „besonders schutzbedürftige Personen“, vor allem Minderjährige, den Zugang zu den „erforderlichen“ medizinischen Leistungen. Dies berücksichtigt auch das Änderungsgesetz nicht: Minderjährige im Asylverfahren oder mit Duldung erhalten medizinische Hilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz weiterhin nur, wenn die Erkrankung schmerzhaft oder akut ist – die erforderliche Behandlung einer chronischen Erkrankung ist auch in Zukunft nicht vorgesehen.
Beispiel 2:
Die sogenannte „Qualifikationsrichtlinie“ der EU sieht ein Abschiebungsverbot für Menschen vor, die in ihrem Herkunftsstaat verfolgt werden, weil sie ihre religiöse Überzeugung öffentlich ausüben. Geltende Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Deutschland ist bisher: Hier muss kein Schutz gewährt werden, da man seine religiösen Praktiken ja auch daheim im Keller hinter verschlossener Tür ausüben könne. Dies widerspricht dem EU-Recht, ist aber auch im Änderungsgesetz nicht ausdrücklich klargestellt.
Wolfgang Schäuble sagt, man könne ihm glauben, das deutsche Ausländerrecht sei „großzügiger als in vielen anderen Ländern“. Das Gegenteil ist richtig:
Deutschland hinkt der EU in vielen Bereichen hinterher. Allein die Umsetzung der oben genannten „Qualifikationsrichtlinie“ in nationales Recht wird im Juli, wenn das Änderungsgesetz vermutlich verabschiedet werden wird, ein dreiviertel Jahr später erfolgt sein, als die EU dies vorschreibt.
Dies ist symptomatisch: Statt die EU-Richtlinien als Mindestnormen zu begreifen, die durch nationales Recht erweitert werden können, setzt Deutschland sogar diese Mindestnormen nur widerwillig um. Stattdessen ist das deutsche Ausländerrecht geprägt von den Gedanken der Ausgrenzung, Abschottung und Einschränkung. Da ändert auch ein so genanntes Bleiberecht nichts daran.
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