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Grüße von der Feuerrose

| Martin Baxmeyer

Horst Stowasser, Anti-Aging für die Anarchie? Das libertäre Barcelona und seine anarchistischen Gewerkschaften 70 Jahre nach der Spanischen Revolution. Eine Reportage, Verlag Edition AV, Lich 2007, ISBN 978-3-936049-72-5, 187 S., 16 Euro

Horst Stowasser meldet sich zurück. Jawohl, der Horst Stowasser, der „Horst vom Projekt A“, der Autor von Leben ohne Chef und Staat, jenes libertären Bestsellers, den so manche Genossin und so mancher Genosse bis heute liebevoll zerlesen im Herzen – oder im Regal – aufbewahrt, möglicherweise die agilste Feder der anarchistischen Buchkultur der achtziger Jahre. Horst Stowasser eben.

Er hat sich aufgemacht, der Horst, mit Freundin und zwei Kindern, um pünktlich zum 70. Jahrestag der Spanischen Revolution in Barcelona nachzuschauen, wie es bestellt sei um die Sache des Anarchosyndikalismus in der vorgeblichen „Hauptstadt der Anarchie“.

Das, was er dort erlebt, gesehen und gehört hat, präsentiert er in Form einer schwungvollen Reportage. Kaum hat man das Buch aufgeschlagen, findet man sich auch schon auf dessen letzten Seiten wieder, so leicht ist es zu lesen. Besonders, wenn Stowasser seine Sprache von der Leine lässt und einfach nur erzählt, gewinnt sein Text an Klasse: Von dem unsäglichen Hickhack zwischen den anarchosyndikalistischen Gewerkschaften CGT und CNT (auténtica [‚autentisch‘] und desfederada [‚ausgeschlossen‘]), von seiner Freude über politische Erfolge, seinem Schrecken über Borniertheit und Realitätsverlust, vom Wiedersehen mit alten, längst verloren geglaubten Freunden aus Zeiten gemeinsamer politischer Abenteuer, oder von jenen linken Tabernas, Buchläden und Fahrradkurierdiensten, die in Barcelona noch immer nach libertären Prinzipien arbeiten und mitunter erstaunlich erfolgreich sind.

Dann ist sein Stil sympathisch, witzig, prägnant, packend und von jener wohltuend selbstironischen Distanz, die Stowasser, für den die Fahrt nach Barcelona so etwas wie eine Reise in die eigene Vergangenheit war, für die Dauer der Lektüre zu einem angenehmen Reisegefährten macht. Leider hält sein Buch diese Klasse nicht überall.

Das liegt nicht etwa daran, dass Stowasser in jene Falle getappt wäre, in die so viele andere linke Barcelona-Reisende treten.

Deutsche Anarcho-Touristen können schlimmer sein als Neckermann. Voll des rebellischen Mythos von der großen Stadt am Meer, der „Feuerrose“ Barcelona – ein Mythos, der übrigens von den Strategen des katalanischen Stadtmarketings längst in klingende Münze verwandelt wird -, besuchen sie eine Phantomstadt. Unsichtbare Milizen spuken die Ramblas hinunter, jedes verwaschene Graffitti an einer Hauswand im Barrio Chino verheißt die Revolution, und niemandem fällt mehr auf, dass Barcelona mittlerweile ein Alptraum von Stadt geworden ist; eine grausige Studie der sozialen Verwüstungen, die der Neoliberalismus anrichtet. Lieber steht man sich vor der Casa de la Muntanya die Beine in den Bauch und macht, wofür man eigentlich nicht gekommen war: Urlaub von der Wirklichkeit.

Nichts liegt Stowasser ferner, als solcherart mit den Geistern der Vergangenheit zu heulen und zu stöhnen. Ihm geht es um eine kritische Bestandsaufnahme, um die Möglichkeit, die anarchosyndikalistische Idee vom Staub zu befreien, um ein „Anti-Aging“. In seiner Reportage wird, bei aller Sympathie und wohltuender Parteilichkeit, nichts geschönt und klein geredet. Besonders, was die spanische CNT und deren Weigerung betrifft, sich den Gegebenheiten einer sich verändernden Welt zu stellen, ist sein Urteil bitter. Man kommt, und das ist eine unbedingte Stärke, beim Lesen dem Leben der politischen Szene Barcelonas äußerst nahe.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass Stowassers gelungene Reise-Reportage gerade einmal ein Viertel (!) seines Buches ausmacht – trotz des verheißungsvollen Titels. Es beginnt mit einer Einführung in Idee und Geschichte des Anarchosyndikalismus und einem notgedrungen knappen Abriss der Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939). Man liest Altbekanntes – nicht nur dem Inhalt nach. Beide Kapitel entstammen, zaghaft aktualisiert, Stowassers Klassiker Freiheit pur (Frankfurt/M. 1995), und der Autor – ehrlich, wie er ist – gibt das auch gerne zu (S. 186).

Nun ist zwar nichts dagegen einzuwenden, Texte aus älteren Werken zu verwenden, wenn man der Ansicht ist, sie heute nicht besser schreiben zu können. Für Stowassers Darstellung des Anarchosyndikalismus als des bis dahin ernsthaftesten Versuchs, das utopische Denken des Anarchismus in die politische Praxis zu überführen, mag es auch hingehen. Wenn er aber vom Spanischen Bürgerkrieg handelt, bleibt er weit hinter der aktuellen spanischen Forschung zurück, und alte Mythen kehren wieder: Nein, nicht die „ganze Gesellschaft“ war während der revolutionären Umwälzungen bis 1937 „anarchistisch organisiert“ (S. 29).

Es gab ebenso gut kommunistische, revolutionär-sozialistische und vor allem bürgerlich-parlamentarische Strukturen, die ungebrochen fortbestanden. Nein, Spanien ist nicht „in gewisser Weise […] bis heute ein „anarchistisches Reservat“ (ebenda) geblieben. Als der heutige Regierungspräsident José Luis Rodríguez Zapatero im Jahr 2000 sein Amt als Chef der Sozialistischen Partei Spaniens (PSOE) antrat und sein Programm vorstellte, kannte er nicht einmal mehr den Unterschied zwischen „libertario“ [‚libertär‘] und ?liberal“ [‚liberal‘]. Er ist nur ein besonders exponiertes Beispiel für diesen spanischen Gedächtnisschwund.

Am 18. Juli 1936 putschten keineswegs „faschistisch orientierte Generäle“ (S. 30) – es gab in der Junta de Defensa Nacional nicht einen einzigen organisierten Faschisten, dafür aber (mit dem liberalen General Cabanellas) einen exponierten Freimaurer – – und ob tatsächlich die „Mehrheit der CNT“ hinter „dem anarchistischen Ziel“ (S. 33) stand, wird in Spanien zur Zeit mit Schärfe diskutiert.

Um nicht missverstanden zu werden: Es geht hier nicht um beckmessersche Erbsenzählerei, ein lästiges Aufrechnen von Kleinigkeiten, sondern um die Tatsache, dass, wer heute eine Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs erzählen will, nicht mehr mit Texten von vor über 10 Jahren herumhantieren kann, selbst wenn er versucht, sie auf den neusten Stand zu bringen. Stowasser hätte das bedenken sollen.

An anderer Stelle spielt ihm die eigene Gründlichkeit einen Streich.

Ursprünglich war Stowasser nach Barcelona gekommen, um Interviews zu führen mit einer Reihe anarchosyndikalistischer Aktivisten für eine Artikelserie in Deutschland. Diese Interviews gibt er wieder, vollständig und im Wortlaut, obwohl er sie (zum Teil) bereits zur Basis seiner Reportage gemacht hat.

Das unkommentierte Nebeneinander von Positionen libertärer Genossen (es sind ausschließlich Männer), die in freier Wildbahn kein Wort mehr miteinander wechseln, und Stowassers beharrlich-kritisches Nachfragen haben ohne Zweifel ihren dokumentarischen Reiz. Die Wiederholungen aber ermüden, und manches hätte wirklich nicht gedruckt werden müssen. Zum Beispiel das Interview mit dem anarchistischen Zeitzeugen Abel Paz (den Bakunin erhalten möge) (S. 85-93). Der hat – wer wollte es ihm verdenken – sichtlich keine Lust mehr, sich im Klein-Klein des politischen Tagesgeschäfts aufzureiben. Er brummelt griesgrämig Allerweltsweisheiten ins Mikrophon und geht auf keine Frage Stowassers wirklich ein. Abel Paz hat Faszinierendes über Spanien und die libertäre Bewegung zu erzählen. Horst Stowasser hat er es nicht erzählt.

Mit seinem abschließenden „Konstruktiv-polemischen Essay mit Blick nach vorne“ vereitelt Stowasser dann vermutlich selber alle Chancen, Leserinnen und Leser zu finden jenseits des libertären Spektrums – Chancen, die seine Reportage, für sich genommen, spielend hätte nutzen können. Zum dritten Mal (!) weidet er die Ergebnisse seiner Interviews aus, diesmal in Form eines umfangreichen politischen Diskussionspapiers. Barcelona ist weit weg. Es geht um anarchosyndikalistische Organisationsstrukturen, ob die Freie ArbeiterInnen Union (FAU) in der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) bleiben solle oder nicht, um das merkwürdige Schicksal des homo anarchicus, dessen politischen Altersstarrsinn usw. usf. Nichts von alledem ist interessant für Menschen jenseits der linken Szene. Und Weniges hatte Stowasser nicht schon vorher, rascher, knapper und reizvoller, in seiner Reportage angesprochen. Ausgerechnet er, der sich Verdienste erworben hat wie kaum ein anderer, wenn es darum ging, den Anarchismus einem uninformierten, aber interessierten Publikum verständlich zu machen, hebt zwar tapfer den Kopf über den Tellerrand. Aus der libertären Kleinküche aber kommt er nicht hinaus.

Anti-Aging für die Anarchie?“ ist ein insgesamt interessantes, faktenreiches, üppig bebildertes und erfrischend kritisches Buch, das man trotz seiner Schwächen reinen Gewissens zur Lektüre empfehlen kann. Ein umfangreicher Adressteil macht es auch als politisches Reisehandbuch nützlich, Wort- und Sachregister sowie ein gründliches Abkürzungsverzeichnis garantieren leichte Benutzbarkeit. Es hätte aber gut noch besser werden können.

Man wird abwarten müssen, was die Zukunft bringt für einen Autor, über dessen Rückkehr in die Arena der Schreibenden man sich nur freuen kann.

Wir verdanken ihm, endlich einmal wieder, etwas Aktuelles über Spanien, das nicht den zugigen Fluren und Korridoren der etablierten Fachhistorie entstammt.