transnationales / antimilitarismus

Nein zu Militär, Guerilla und Milizen

Kriegsdienstverweigerung in Kolumbien

| Andreas Speck

Der Internationale Tag zur Kriegsdienstverweigerung - 15. Mai - steht in diesem Jahr unter dem Schwerpunktthema Kolumbien. Ein Bericht über die Situation in Kolumbien (GWR-Red.)

Kolumbien leidet seit 50 Jahren unter einem der am längsten andauernden internen bewaffneten Konflikte in Lateinamerika, mit zahlreichen AkteurInnen: die Guerillas der ELN (1) und der FARC (2), paramilitärische Gruppen, das offizielle Militär sowie verschiedene Sicherheitskräfte des kolumbianischen Staates.

In den letzten zehn Jahren fielen diesem Krieg mehr als 40.000 Menschen zum Opfer. Mehrere Versuche, in Kolumbien einen Friedensprozess in Gang zu bringen, sind gescheitert. (3)

Ex-Guerillas, die sich am politischen Prozess zu beteiligen versuchten, wurden von Paramilitärs ermordet oder ins Exil getrieben.

Der „Krieg gegen Terror“ und der „Plan Colombia“ (seit 1999), sowie die Wahl Uribes zum Präsidenten haben die Situation weiter verschärft.

Doch Militarisierung in Kolumbien lässt sich nicht so einfach auf die Aktionen des Militärs und der Regierung beschränken.

Die Bogotáer Gruppe Acción Colectiva por la Objeción de Conciencia en Colombia – ACOCC (Kollektive Aktion für Kriegsdienstverweigerung in Kolumbien) schreibt daher:

Die Aktionen des Militärs haben ihre Entsprechungen in denen der Guerillas der ELN und der FARC. Letztendlich zeigt sich, dass es auf dem Schlachtfeld nicht möglich ist, Ideologien zu unterscheiden. Vom Gesichtspunkt der Kriegsmethoden her erfüllen alle bewaffneten Gruppen – legale wie illegale – die gleichen Funktionen von Unterwerfung, Kontrolle, Verletzung der Menschenrechte.(4)

Militarisierung als Folge des Plan Colombia und Plan Patriota

1999 wurde mit dem „Plan Kolumbien“ der militärische Konflikt eskaliert. Unter dem Deckmantel des „Krieg gegen Drogen“ erhielt Kolumbien US-(Militär-)Hilfe, um den Krieg gegen die FARC zu intensivieren. Dem „Plan Kolumbien“ folgte der „Plan Patriota“, die bisher größte militärische Offensive der USA und des kolumbianischen Militärs gegen die FARC.

Einher mit dem „Plan Patriota“ geht Uribes Konzept der „demokratischen Sicherheit“, die in der Praxis eine Militarisierung der gesamten Gesellschaft bedeutet. Konsequenz: die gegenwärtige Regierung, zusammen mit der politischen und ökonomischen Elite und den Massenmedien, hat Kolumbien über die Schwelle eines autoritären und paramilitärischen Staates gebracht. Erreicht wurde dies durch die Unterdrückung der Ausgegrenzten auf dem Land und in der Stadt, sowie der Gemeindeorganisationen und sozialen Bewegungen; auf Kosten der NGOs, die die Menschenrechte verteidigen, der internationalen Kooperationen auf Nichtregierungsebene und zu Lasten der demokratischen politischen und akademischen Sektoren.

All diese Akteure wurden einem repressiven Modell der sozialen Kontrolle unterworfen, das auf dem Militär als stärkster Kraft im Staat beruht.

Die Strategie, die Präsenz des Staates in allen Ecken und Winkeln des Landes zu verstärken, zeigt einmal mehr die Politik der Militarisierung, die die gegenwärtigen politischen Amtsträger verfolgen. Historisch zurückgelassene und verarmte Bevölkerungsgruppen werden durch den Staat nun mit Soldaten, Panzern, Flugzeugen und Waffen bereichert. All dies steht in scharfem Gegensatz zu der Negierung des Bürgerkrieges im Land, die von Alvaro Uribe Vélez selbst direkt geübt wurde.

Das Paradoxe an dieser Militäraktion unter dem fadenscheinigen Deckmantel der „Sicherheit“ als Hauptentwicklungsprinzip des Landes ist, dass die Armee (zum Preis des Ausblutens des Staatshaushalts und all der anderen tödlichen Konsequenzen) angewachsen ist, ohne dass gleichzeitig ein baldiges Ende des Krieges zu ahnen wäre. Im Gegenteil, die Konfrontation hat sich verschärft, obwohl die offiziellen Zahlen sich bemühen, das Gegenteil zu zeigen. Die Missachtung und Verletzung der Menschenrechte und der Internationalen Humanitären Rechte bleiben ein Besorgnis erregendes Thema.

Kriegsdienstverweigerung als Antwort

Kriegsdienstverweigerung (KDV) im weiteren Sinne ist eine Antwort auf die Polarisierung des bewaffneten Konfliktes, in der es nur noch ein „für“ oder „gegen“ den Staat/die Guerilla zu geben scheint. Im weiteren Sinne, denn neben der traditionellen Verweigerung des Militärdienstes nimmt sie auch andere Formen an:

Friedensgemeinden (comunidades de paz)

Die Comunidad de paz San José de Apartadó ist wohl die bekannteste der Friedensgemeinden und war auch die erste, gegründet am 23. März 1997. Insgesamt gibt es mittlerweile mehr als 50 dieser Friedensgemeinden.

Ihre Mitglieder gehen fünf Verpflichtungen ein:

  • sich an Arbeitsanstrengungen der Gemeinschaft zu beteiligen;
  • „Nein“ zu sagen zu Ungerechtigkeit und Straflosigkeit;
  • sich weder direkt noch indirekt am Krieg zu beteiligen;
  • keine Waffen zu tragen;
  • weder zu manipulieren noch Informationen an einen der bewaffneten Akteure zu geben (5).

Somit verweigern sich die Friedensgemeinden praktisch dem Krieg – doch wird dies weder von der Guerilla, noch von der Regierung anerkannt.

Präsident Uribe besteht auf der Präsenz bewaffneter Polizeikräfte auf dem Gebiet der Friedensgemeinden, und zwingt diese somit zu erneuter Umsiedlung, wenn sie diese Präsenz nicht anerkennen. Mitglieder der Friedensgemeinden werden immer wieder von Paramilitärs, Militär oder Guerilla umgebracht – allein San José de Apartadó hat mittlerweile 168 Opfer zu beklagen (6).

Militärdienstverweigerung

Kriegsdienstverweigerung als öffentliche Aktion hat in Kolumbien bereits mehr als 10 Jahre Geschichte.

Im Januar 1994 präsentierte sich Luis Gabriel Caldas León dem Militär und erklärte seine Kriegsdienstverweigerung. Am 10. Juni 1995 wurde er verhaftet, und wegen Desertion verurteilt. Am 28. November 1995 wurde er aus der Haft entlassen. Sein Fall ist derzeit noch beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.

In den letzten Jahren haben sich KriegsdienstverweigererInnen in Kolumbien vermehrt organisiert. Zu Beginn gab es lediglich Gruppen in der Hauptstadt Bogotá und in Medellín, der zweitgrößten Stadt des Landes.

Doch im letzten Jahr schlossen sich Gruppen aus 9 Städten und Regionen zur „Nationalen Versammlung der Kriegsdienstverweigerer und -verweigerInnen“ (ANOOC) zusammen.

Die kolumbianische Verfassung von 1991 verpflichtet alle KolumbianerInnen, das Land und die öffentlichen Institutionen mit Waffen zu verteidigen (7).

Während sich dies zunächst auf alle KolumbianerInnen – Frauen und Männer – bezieht, macht Gesetz Nr. 48/1993, welches die Wehrpflicht regelt, deutlich, dass sich diese nur auf Männer erstreckt. Frauen können sich jedoch freiwillig zum Militär melden, oder können per Regierungsbeschluss dazu verpflichtet werden, „wenn die Lage des Landes dies erfordert(8).

Trotz Wehrpflicht ist die Zahl der Wehrpflichtvermeidungen groß: von 1995-2003 vermieden ca. 25% der Wehrpflichtigen den Kriegsdienst, und im Jahr 2003 stieg diese Zahl gar auf 48,5% an (9).

Die Antwort des Staates ist Zwangsrekrutierung durch Razzien auf öffentlichen Plätzen, in Bussen, und wo immer sich zahlreiche Jugendliche aufhalten.

Wer in einer solchen Situation nicht nachweisen kann, dass er rechtmäßig nicht beim Militär ist, hat schlechte Karten und kann sich schnell in der Kaserne wiederfinden.

Zusätzlich macht die „libreta militar“, die offizielle Bescheinigung der Erfüllung des oder Befreiung vom Militärdienstes es all denjenigen schwer, die den Wehrdienst vermeiden oder offen verweigern: ohne libreta militar kein Studium, keine offizielle Beschäftigung, keinen Führerschein, keinen Reisepass.

Wehrpflichtvermeider sowie Kriegsdienstverweigerer werden damit durch die libreta militar zu einer Lebensweise gezwungen, die der Europäische Gerichtshof im Falle des türkischen Kriegsdienstverweigerers Osman Murat Ülke als „zivilen Tod“ bezeichnet hat.

Unterstützung und Solidarität

Seit dem letzten Jahr bereiten die kolumbianischen Gruppen sowie Gruppen innerhalb der War Resisters‘ International (WRI) eine breitere Unterstützungskampagne für kolumbianische Kriegsdienstverweigerer vor.

Es ist klar, dass sich ohne internationale Unterstützung die Situation nicht verbessern wird, und es für Kriegsdienstverweigerer lebensgefährlich werden kann. Wesentliche Elemente dieser Kampagne sind:

eine internationale und mehrsprachige Datenbank mit Information zu allen kolumbianischen KriegsdienstverweigererInnen (um in Notfällen, z.B. Verhaftung oder Zwangsrekrutierung) Hintergrundinformationen schnell zugreifbar zu haben;

eine ID-Karte für kolumbianische KriegsdienstverweigererInnen, herausgegeben von der War Resisters‘ International. Diese ID-Karte weist aus, dass die/der KDVerIn Teil des internationalen Unterstützungsnetzwerkes ist, und dass ein Arrest oder Zwangsrekrutierung zu einer internationalen Reaktion führen werden;

eine Dokumentation zu Kriegsdienstverweigerung in Kolumbien, erhältlich in Englisch, Spanisch, Französisch, Deutsch, und möglicherweise anderen Sprachen;

Vortragsreisen von kolumbianischen VerweigererInnen in verschiedenen europäischen Ländern und den USA, möglichst noch in diesem Jahr, die zum Aufbau eines internationalen Unterstützungs- und Alarmnetzwerkes beitragen;

ein internationales Meeting mit Aktion am Internationalen Tag zur Kriegsdienstverweigerung (15. Mai) 2007 in Kolumbien, um die internationale Unterstützung für die kolumbianischen Behörden und Öffentlichkeit sichtbar zu machen.

Dies wird mit der public launch der ID-Karten für KriegsdienstverweigererInnen in Kolumbien selbst, und Treffen mit RegierungsvertreterInnen sowie Menschenrechtsorganisationen im Land selbst verbunden.

Derzeit laufen die Vorbereitungen für den Internationalen Tag zur Kriegsdienstverweigerung, der in Medellín mit Aktivitäten vom 11-16. Mai begangen werden wird, auf Hochtouren. Wer sich daran beteiligen möchte, oder lokal eine Aktion am 15. Mai organisieren möchte, wende sich bitte an das Büro der War Resisters‘ International (info@wri-irg.org).

(1) Ejército de Liberación Nacional - Nationale Befreiungsarmee. Gegründet 1964, derzeit etwa 3.500 KämpferInnen stark. Im Gegensatz zur FARC hat die ELN eine strikte Politik der Nichtzusammenarbeit mit dem Drogenhandel, und finanziert sich im wesentlichen über Entführungen.

(2) Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens. Die FARC begann den bewaffneten Kampf 1964, und hat derzeit etwa 18.000 KämpferInnen. Der lange bewaffnete Kampf hat zu einer Degeneration geführt, und die FARC agiert in den von ihr kontrollierten Gebieten als Besatzungsmacht. Sie finanziert sich durch Drogenhandel und Entführungen, sowie Steuern in den von ihr kontrollierten Gebieten.

(3) Vgl. Johannes Specht in GWR 269, Mai 2002, www.graswurzel.net/269/kolumbien.shtml

(4) Acción Colectiva por la Objeción de Conciencia en Colombia: Bericht über die Situation der Militarisierung der kolumbianischen Gesellschaft. Bogotá, Kolumbien, April 2006 (deutsche Version in Vorbereitung unter http://wri-irg.org/co/colombia2005-de.htm), spanisch unter http://wri-irg.org/co/colombia2005-es.htm.

(5) Peace News: San José de Apartadó, PN Nr 2449, Dezember 2002-Februar 2003, www.peacenews.info/issues/2449/244923.html

(6) Knut Henkel: "Eine Alternative mitten im Krieg", Neues Deutschland, 13. Februar 2007

(7) pdba.georgetown.edu/Constitutions/Colombia/col91.html

(8) Ley 48/1993, Artikel 10, Gesetzestext (spanisch): www.col.ops-oms.org/juventudes/Situacion/LEGISLACION/ORDEN/LEY4893A.htm

(9) ANOOC: Situación de la militarización y la objeción de conciencia en Colombia, Januar 2007, http://wri-irg.org/co/colombia2007-es.htm

Anmerkungen

Ex-GWR-Redakteur Andreas Speck ist Mitarbeiter im Londoner WRI-Büro.

Spenden

Spenden für die Arbeit zu KDV in Kolumbien sind dringend erforderlich.

Steuerabzugsfähig innerhalb der BRD an:

Förderverein War Resisters' International e.V.
Konto-Nr. 11787613
Kasseler Sparkasse
BLZ 520 503 53

Per Überweisung in Euros direkt an die WRI (nicht steuerabzugsfähig):

War Resisters' International
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