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„Sie brechen mir das Herz“

Das Ungdomshuset in Kopenhagen ist geräumt und abgerissen

| Lotta

Stell dir vor, du liegst im Bett, pennst oder du hängst gerade in deinem Autonomen Jugendzentrum mit deinen Freunden rum. Auf einmal Krach. Sirenen, Helikopter, ein Container wird von einem Kran an dein Fenster getragen, er geht auf, und mehrere bis an die Zähne bewaffnete Spezialeinsatzkommandobullen wedeln mit ihren Maschinengewehren. Sie treten Türen ein, stehen auf einmal vor deinem Bett und schreien irgendwas Unfreundliches. Stell dir vor, du schlägst die Augen auf, und das erste, was du siehst, ist die Mündung einer Pistole und dahinter ein vermummter Sonderspezialirgendwaspolizist. Da fängt man dann doch schon mal an, sich ein bisschen zu wundern, oder?

So oder so ähnlich muss es sich für die Jugendlichen, die im Haus der Jugend in Kopenhagen gelebt haben, angefühlt haben, als mitten in der Nacht zum 1. März ihr Ungdomshuset geräumt wurde.

Hintergründe

Das Ungdomshuset (Haus der Jugend) ist als Folket Hus (Volkshaus) Ende des 19. Jahrhunderts errichtet worden und diente als Zentrum der Kopenhagener ArbeiterInnenbeweg-ung. Angeblich soll hier 1910 der Sozialistische Frauenkongress der Zweiten Internationale mit Rosa Luxemburg und Clara Zet-kin den 8. März als den Internationalen Frauentag festgelegt haben. Seit 1981 ist das Haus besetzt und wurde bislang als Autonomes Jugendzentrum von der Stadt geduldet. 2001 kaufte die dänische Sekte „Faderhuset“ das Gebäude. Von ihrem Vorhaben, das Ungdomshuset abzureißen, nahmen sie auch nach einem Angebot, das Haus für umgerechnet 2 Millionen Euro wieder zu kaufen, nicht Abstand.

Am 01.03.2007 um sieben Uhr morgens kam dann das Räumkommando mit speziell ausgebildeten dänischen Anti-Terror-Einheiten.

Die Räumung

Berichten zufolge, wie man so schön sagt, soll es mehrere Stunden gedauert haben, bis die Polizei die Lage im Ungdomshuset unter Kontrolle hatte.

Immer wieder wird betont, wie brutal die Polizei vorgegangen sei, aber auch, wie schnell sich der Widerstand organisiert hat.

Schon wenige Minuten nach Bekannt werden der Räumungsaktion versammelten sich UnterstützerInnen in der gesamten Innenstadt, um Barrikaden zu errichten. Diese Barrikaden wurden von gepanzerten Polizeiwagen durchfahren, und zunächst schien es, als hätten sie mit dieser Taktik Erfolg. Doch durch dezentrale Aktionen gelang es den AktivistInnen, Hindernisse in der ganzen Stadt aufzustellen und damit den Verkehr lahm zu legen. Immer wieder zerstörten die Räumfahrzeuge der Polizei die Straßensperren.

Bei einer solchen Aktion wurde ein Demonstrant schwer verletzt. Seine Beine seien von dem Wagen offenbar überrollt worden, heißt es. Der Verletzte wurde festgenommen und abtransportiert. Was danach mit ihm geschah, ist unklar.

Reclaim the Streets

Schon bald wurde das Räumen der Barrikaden zu einer Sisyphosarbeit. Jedes Mal, wenn eine Barrikade geräumt war, wurde eine neue errichtet, Mülltonnen und Autos angezündet. Die Polizei antwortete mit Tränengas. Sie erteilte Platzverweise, löste Demonstrationen auf, ohne den Demonstrierenden die Chance zu geben, tatsächlich zu gehen. PolizistInnen und DemonstrantInnen bewarfen sich gegenseitig mit Steinen, Mollis versus Tränengas. Die Räumung des Ung-domshuset endete in einer Straßenschlacht, in Kopenhagen herrschte Ausnahmezustand. Bilanz bis jetzt: mehr als 600 Eingeknastete und 20 Verletzte.

Doch nicht jede Aktion war gewalttätig. Selbst die Tagesschau berichtete über gewaltfreie Demos und die Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie zum Beispiel die Besetzung der Parteizentrale der Kopenhagener SozialdemokratInnen. Am 2. März versammelten sich AktivistInnen dort, um der regierenden Partei den Protest ins eigene Heim zu kehren, wo er hingehört.

Die Sozialdemokratie trage die Verantwortung für die Räumung des Jugendzentrums, so AktivistInnen. Und ganz sozialdemokratisch, wie SozialdemokratInnen halt sind, hießen sie die BesetzerInnen „willkommen“, diskutierten, hatten Verständnis, ließen die Polizei nicht aufmarschieren, aber man könne doch nichts machen… Und wenn die Herren und Damen Autonomen kein anderes Gebäude akzeptierten, als jenes, dass sie seit 26 Jahren bewohnten, dann seien sie eben auch selber schuld.

Weitere Aktionen in Form einer Fahrraddemo, die wiederum ein Verkehrschaos verursachte, und mehrere friedliche Demos, an denen bis zu 2.000 Menschen teilnahmen, konnten den Abriss des Jugendzentrums aber nicht mehr verhindern.

Am 5. März wurde das Ungdomshuset von vermummten ArbeiterInnen abgerissen.

Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen gaben sie sich und die Namen der Firmen, für die sie arbeiteten, nicht preis.

Viele Jugendliche waren beim Abriss anwesend. Sie weinten, schauten weg, konnten es nicht mit ansehen. „Sie brechen mir das Herz“, sagte eine junge Frau.

Weitere Infos

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