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Die atomare Globalisierung

| Matthias Eickhoff

Was haben New Mexico (USA), Yibin (China), Rio de Janeiro (Brasilien), Irkutsk (Russland) und das westfälische Gronau gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts, auf den zweiten jedoch eine intensive atomare Beziehung: Der Urananreicherer Urenco ist in all diesen Orten rund um den Globus tätig, wobei Gronau einer der zentralen Knotenpunkte im strahlenden Spinnennetz ist.

Während in Deutschland alle Welt noch über den angeblich beschlossenen Atomausstieg im eigenen Land diskutiert, hat sich die Atomindustrie längst globalisiert. Selbst unter Rot-Grün wurde sie dabei unbehelligt gelassen und konnte ihre Marktposition ausbauen.

Auf einem Weltmarkt mit rund 430 Atomkraftwerken ziehen einige wenige Akteure die Fäden, mitten dabei deutsche Atomkonzerne und -technik.

Nach Tschernobyl wurde es zu einem Allgemeinplatz, dass die Folgen der Atomenergie global zu spüren sind. Die radioaktive Wolke zog 1986 rund um den Erdball. Doch diese Erkenntnis hat in der realen Arbeit der Anti-Atom-Bewegten nicht immer den erforderlichen Niederschlag gefunden. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit (ganz zu schweigen von einer globalen Vernetzung des Anti-Atom-Widerstands) ist nicht leicht aufzubauen und scheitert oft schon an Sprachschwierigkeiten und Entfernungsproblemen. Ein Blick auf die Aktivitäten der Atomindustrie macht jedoch die Notwendigkeit internationaler Anti-Atom-Kooperationen deutlich.

An vier Beispielen sollen die Globalisierungsbestreben der deutschen und westeuropäischen Atomindustrie skizziert werden: Urenco, E.ON, Siemens und die HTR-Technologie stehen exemplarisch für das Streben der Atomlobby nach weltweiten Aufträgen.

Beispiel 1 – Urenco

Die Urenco ist ein multinationales Unternehmen, das zu je einem Drittel dem britischen und niederländischen Staat sowie zu je einem Sechstel E.ON und RWE gehört. Was in Gronau manchmal wie ein typisch mittelständisches westfälisches Unternehmen wirkt, ist in Wirklichkeit ein aggressiv auftretender staatlich-privater Atomkonzern, der seinen Weltmarktanteil an der Urananreicherung drastisch ausbaut. Allein von 2005 auf 2006 stieg der Anteil nach eigenen Angaben von 19% auf 23%. Mit der Erweiterung der Urananreicherungsanlagen (UAA) in Gronau und Almelo (NL) sowie dem Neubau von UAAs in Pierrelatte/Frankreich und New Mexico könnte Urenco in wenigen Jahren gut 40% des Weltmarktes mit angereichertem Uran beliefern.

Durch die Kooperation mit dem französischen Staatsunternehmen AREVA und den Einstieg in den US-Markt hat die Urenco strategisch wichtige Partner im G-8-Bereich gewonnen.

Russland sorgt zudem für die Entsorgung des eigenen Uranmülls, während mit aufstrebenden Atommächten wie China, Südafrika, Südkorea und Brasilien beste Beziehungen gepflegt werden.

Um es klar zu sagen: Urananreicherung macht nur Sinn, wenn man a) an die Zukunft der Atomkraft glaubt und/oder b) militärische Ambitionen hegt. So wird die Urenco-Zentrifugentechnik für den Bau der pakistanischen Atombombe verantwortlich gemacht, die inzwischen auch in den Iran gelangt ist. Anders ausgedrückt: Wer den Atomausstieg will, muss als erstes die Urananreicherungsanlagen stilllegen.

Doch Rot-Grün hat beim „Ausstiegsgesetz“ die Gronauer UAA nicht mal als Atomanlage definiert und ihr stattdessen einen unbegrenzten Blankoscheck für den Weiterbetrieb und massiven Ausbau ausgestellt. Ein Atomausstieg sieht anders aus.

Beispiel 2 – E.ON

E.ON ist der größte deutsche Atomkonzern, der an zahlreichen AKWs beteiligt ist (s. www.sofa-ms.de). Weniger bekannt ist E.ONs Atomengagement im Ausland. Über die schwedische Sydkraft ist das Unternehmen z. B. an allen schwedischen AKWs beteiligt, also auch am berüchtigten AKW Forsmark, in dem es 2006 einen Beinahe-Super-GAU gab. E.ON Energie ist allein in 18 europäischen Ländern aktiv.

Im E.ON-Vorstand sitzen bekannte Atomfanatiker. Walter Hohlefelder war unter der Regierung Kohl von 1986-94 als Abteilungsleiter für „Reaktorsicherheit und nukleare Entsorgung“ zuständig. Damals verhinderte er maßgeblich, dass aus Tschernobyl in Deutschland ernsthafte Konsequenzen gezogen wurden.

Heute fördert er in seinem Zuständigkeitsbereich neue AKW-Projekte. So will E.ON in Rumänien (Cernavoda) und der Slowakei (Bohunice) neue AKWs bauen. Auch Großbritannien wird als lukrativer Atommarkt ins Visier genommen.

Hohlefelder ist zudem stellvertretender Aufsichtsratschef der Urenco (s.o.) und damit auch im Anreicherungsgeschäft vertreten. Zudem ist Urenco-Chef Engelbrecht ein alter E.ON-Mann und Vorstand Bergmann ist zugleich russischer Honorarkonsul in Düsseldorf. Das erleichtert das Aushandeln von Uranmüll-Deals mit der russischen Regierung natürlich enorm.

So hat sich E.ON in den letzten Jahren zu einem der offensivsten europäischen Atomlobbyisten entwickelt.

Beispiel 3 – Siemens

Siemens war in den 1980er und 90er Jahren als einer der Hauptakteure der Atomlobby bekannt. Demonstrationen vor dem Sitz der Reaktorsparte KWU oder der Siemens-Boykott erzeugten viel Aufmerksamkeit. Siemens war schon immer weltweit tätig.

Die Beteiligung an den politisch sehr umstrittenen AKWs Atucha 1 (Argentinien), Angra 2 (Brasilien) sowie Mochovce (Slowakei) sind dafür Belege. In den letzten Jahren wurde es ruhiger um die Atomaktivitäten des Unternehmens.

Das liegt jedoch nicht daran, dass Siemens nun auf „go green“ umgeschwenkt wäre.

Man hat sich einfach nur anders aufgestellt. Angesichts schwacher Auftragslage in Europa verschmolz Siemens die Reaktorsparte mit der französischen Framatome. Die Gemeinschaftsfirma, an der Siemens 34% hält, wurde 2006 als AREVA-Tochter in AREVA NP umbenannt. Unter diesem Logo geht Siemens weiter weltweit auf Auftragssuche, stellt aber auch in Lingen weiter Brennelemente her.

Neben dem direkten Zugriff auf den französischen Markt werden in Schweden Reaktoren „modernisiert“, wird in China für Neubauprojekte mitgeboten, während man in der Türkei scheiterte.

Ganz nebenbei: In Frankreich war das Atomprogramm schon immer sowohl zivil wie militärisch. Hier öffnete die Kooperation mit AREVA für Siemens neue Türen.

Gegenwärtig versucht AREVA NP den „neuartigen“ Reaktortyp EPR auf dem europäischen Markt durchzusetzen.

In Finnland begann der Neubau, verzögert sich aber wegen schwerer Konstruktionsmängel, in Flamanville in der Normandie soll es noch 2007 losgehen.

Vom früheren Versprechen eines „inhärent sicheren“ AKWs hat man sich aber schon lange verabschiedet.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit vollzogen sich die Vorarbeiten an den Reaktoren der so genannten 4. Generation, für den AREVA den ANTARES-Reaktor entwickelte.

Hier ist Siemens über AREVA auch am „Internationalen Generation IV-Forum“ beteiligt, an dem auch Südafrika, Brasilien, Kanada, Südkorea, die USA, Frankreich, Japan, Großbritannien und die EU mitwirken (s. Beispiel 4).

Letztlich bietet Siemens alten Wein in neuen Schläuchen – und setzt seine globale Atomstrategie ungebrochen fort.

Beispiel 4 – Hochtemperaturreaktoren

In Hamm-Uentrop scheiterte Ende der 1980er Jahre der Versuch, einen Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR) zu betreiben. Der THTR erwies sich als gefährlicher Pannenreaktor, der sang- und klanglos beerdigt wurde, so schien es. Doch die beteiligten Wissenschaftler und Konzerne forschten weiter und begaben sich auf die Suche nach neuen Kunden für ihren „böswillig missverstandenen Wunderreaktor“.

Und siehe da: 15 Jahre nach der Stilllegung des Prototyps feiern die Hochtemperatur-Reaktoren (HTR) als AKWs der „4. Generation“ in Ländern wie Südafrika und China ihre Wiederauferstehung. Mit dabei deutsche Firmen wie Uhde aus Dortmund oder EHR aus Essen (s. www.reaktorpleite.de).

Über EURATOM und das (Kern-)Forschungszentrum Jülich leistet auch die Bundesregierung ihren finanziellen Beitrag.

Selbst die Leitung der diversen Atomprogramme weist deutsche Spuren auf. Der Chef des chinesischen HTR-Programms sammelte seine wissenschaftlichen Grundkenntnisse in Deutschland. Was in Hamm nicht ging, soll nun im fernen China oder Südafrika funktionieren – das ist Globalisierung in Reinform.

Was tun?

Die deutschen Atomkonzerne basteln also weltweit weiter an ihren atomaren Albträumen – von Ausstiegswillen keine Spur. Hiergegen ist Widerstand nötig.

Wenn sich in Heiligendamm AktivistInnen aus der ganzen Welt versammeln, um gegen die Politik der G-8-Staaten zu demonstrieren, sollte auch das Thema Atompolitik nicht unterschlagen werden. Nur durch eine internationale Vernetzung der Initiativen lässt sich wirkungsvoll gegen die globalisierte Atomindustrie vorgehen.

Das ist nicht einfach, aber möglich. Einige aktuelle Beispiele belegen dies: 2006/7 gelang es der Umweltorganisation urgewald zusammen mit .ausgestrahlt, deutsche Banken durch öffentlichen Druck von der Förderung des bulgarischen Atomprojektes Belene abzubringen. Die BI Umweltschutz Hamm konnte in jahrelanger Kleinarbeit die globalen HTR-Pläne aufdecken, ähnliches gelang dem WISE-Uranium-Project in Sachen Uran.

Seit 2006 besteht eine enge Kooperation zwischen münsterländischen, niederländischen und russischen Anti-Atom-Initiativen, um die Uranmülltransporte von Gronau/Almelo nach Russland zu stoppen (vgl. GWR 316). So entstand erstmals ein gemeinsamer Aktionsrahmen über viele Tausend Kilometer zwischen Gronau und Irkutsk, der über die Transportstrecke auch die Niederlande, Dänemark, Schweden, Finnland und Estland berührt.

Angelehnt an die erfolgreiche deutsch-französische Kooperation gegen die CASTOR-Transporte von deutschen AKWs nach La Hague sowie die CASTOR-Transporte von dort nach Gorleben, befindet sich eine grenzüberschreitende Kooperation gegen die Urantransporte aus dem südfranzösischen Pierrelatte nach Gronau im Aufbau, um die Belieferung der UAA Gronau mit Natururan zu unterbinden. Die große Anti-EPR-Demonstration in Cherbourg 2005 erfuhr europaweite Unterstützung.

Doch es muss noch mehr getan werden, um die Atomindustrie zu stoppen. Wie lassen sich Atomprojekte in China, Indien oder Südkorea wirkungsvoll verhindern? Wie kann die EU zu einer Kündigung des EURATOM-Vertrags gebracht werden, der die Förderung der Atomenergie festschreibt? Wie kann die UAA Gronau stillgelegt und die Laufzeitverlängerung der deutschen AKWs verhindert werden? Wie können die monopolistischen Atomkonzerne zerschlagen werden? Diese Fragen sollten auf dem Gegengipfel zum G8-Treffen mitdiskutiert werden.

Ein erster Zielpunkt könnte z. B. ein europäischer Anti-Atom-Kongress sein. Ein zweiter Zielpunkt könnte ein internationaler Urantransporte-Aktionstag von Pierrelatte über Gronau/Almelo nach St. Petersburg und nach Sibirien sein. Erste Überlegungen gibt es dazu bereits.

Denn eins ist klar: Die Atomindustrie wird nicht freiwillig vom Erdboden verschwinden.

Dies kann nur durch massiven Druck von untenerreicht werden. Eingriffsmöglichkeiten gibt es mit etwas Kreativität viele, damit der Atomindustrie ihre radioaktive Suppe ordentlich versalzen wird.