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Verhandlungen oder Hoffnungslosigkeit?

ETA beendet nach 15 Monaten den Waffenstillstand

| Martin Baxmeyer

Nun bleibt doch wieder alles beim Alten: In Spanien wird man mit den Schultern zucken, sich beim Betreten öffentlicher Gebäude weiter durch Metalldetektoren schieben, Bewaffnete spöttisch grüßen, die mittlerweile schon vor Stadtbibliotheken und Schwimmbädern stehen, und beim Aufschlagen der morgendlichen Zeitung die gewohnten Meldungen lesen - von Bomben, Toten, Feuer und Gewalt. Die baskische Terror-Organisation ETA [Euskadi Ta Askatasuna, 'Baskenland und Freiheit'] hat am Morgen des 4. Juni 2007 ihren vor 15 Monaten begonnenen Waffenstillstand offiziell für beendet erklärt.

Nun bleibt doch wieder alles beim Alten: In Spanien wird man mit den Schultern zucken, sich beim Betreten öffentlicher Gebäude weiter durch Metalldetektoren schieben, Bewaffnete spöttisch grüßen, die mittlerweile schon vor Stadtbibliotheken und Schwimmbädern stehen, und beim Aufschlagen der morgendlichen Zeitung die gewohnten Meldungen lesen – von Bomben, Toten, Feuer und Gewalt. Die baskische Terror-Organisation ETA [Euskadi Ta Askatasuna, ‚Baskenland und Freiheit‘] hat am Morgen des 4. Juni 2007 ihren vor 15 Monaten begonnenen Waffenstillstand offiziell für beendet erklärt.

Das Communiqué wurde in zwei baskischen Zeitschriften veröffentlicht. Die Verhandlungen mit der spanischen Zentralregierung seien gescheitert, hieß es. Der Kampf werde nun „an allen Fronten“ fortgesetzt. Die Hoffnungen auf ein Ende der terroristischen Gewalt in Spanien sind – wieder einmal – zerschlagen.

Zugegeben, seit dem schweren Bombenanschlag vom 20. Dezember 2006 auf ein Parkhaus am Flughafen von Madrid-Barajas, bei dem zwei Ecuadorianer unter den Trümmern begraben wurden, war der Traum vom Frieden mit ETA ohnehin kaum mehr als eine politische Manövriermasse im Machtgerangel zwischen Spaniens regierender Sozialistischer Partei PSOE und dem konservativen Partido Popular (PP) gewesen. Mariano Rajoy, Vorsitzender des PP, dem der Geifer bei seinen immer drastischer werdenden Anwürfen gegen Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero nur so vom Munde troff, darf triumphieren: Es hat tatsächlich den Anschein, als habe ETA die Feuerpause lediglich dazu genutzt, seine arg gebeutelte Kommandostruktur zu regenerieren und Waffen für neue Anschläge zu beschaffen.

Seit über 40 Jahren hält ETA die Flagge eines kruden, krypto-völkischen baskischen Nationalismus hoch. Ihr Ziel ist – wie schon zu Zeiten Francos – die Errichtung eines unabhängigen baskischen Staates, bestehend aus sieben Provinzen des spanischen und französischen Baskenlandes sowie des Nordens der spanischen Region Navarra. Ausgehend von den Schriften des erzreaktionären baskischen Nationalisten Sabino de Arana, der 1895 die Baskische Nationalistische Partei (PNV) gründete, begreift ETA das genannte Territorium als „militärisch besetztes Gebiet“ und sieht den bewaffneten Kampf gegen die – vorzüglich spanischen – „Besatzer“ als legitim. Untermauert wird das Ganze von einer nur schlecht versteckten rassistischen Überhöhung des „wahren Basken“, der natürlich – gleichsam als Erkennungsmerkmal – den Kampf von ETA unterstütze. Der baskische Nationalismus, schrieb der spanische Schriftsteller Miguel de Unamuno, ein gebürtiger und stolzer Baske, sei „eine Doktrin von entsetzlicher Schlichtheit, die selbst den einfachsten Gemütern zur Verfügung steht. Sie basiert auf einer Reihe von Vorurteilen, Legenden, läppischen Behauptungen sowie historischen, soziologischen und ethnologischen Fehlern. Ihre Kraft besteht nicht darin, Argumente zu entwickeln, sondern sie zu wiederholen“. ETAs zeitweilige marxistisch-revolutionäre Orientierung in den siebziger Jahren stand angesichts dieses „theoretischen“ Fundaments vor erheblichen Problemen und war wohl eher der politischen Konjunktur geschuldet: 1976 diskutierte Emilio López Adan, ‚Beltza‘, damals ideologischer Kopf der ETA, die Frage, ob es möglich sei, die im Zuge der sogenannten Dritten Welle der Industrialisierung zu Tausenden ins Baskenland strömenden Arbeiterinnen und Arbeiter aus allen Regionen Spaniens mit dem baskischen Proletariat zu einer kämpferischen Organisation zusammenzuführen. Seine Antwort war, wie zu erwarten, negativ:

„Die Einheit der Arbeiterschaft muß entstehen ausgehend von der Existenz zweier verschiedener Arbeiterschaften unterschiedlicher Nationalität“.

Heute ist ETA, außer jenem traditionellen sabinischen Nationalismus, der im Communiqué vom 4. Juni nochmals bekräftigt wird, eigentlich kein erkennbares politisches Profil mehr geblieben.

Seit Francos Tod hat jede spanische Regierung, konservativ oder sozialdemokratisch, versucht, Verhandlungen mit ETA zu führen. Die Gründe, warum diese Versuche scheiterten, könnten unterschiedlicher allerdings kaum sein: 1981 war Leopoldo Calvo-Sotelo, vormals Minister der konservativen Regierung Suárez, maßgeblich an der Selbstauflösung von ETA político-militar [Politisch-militärischer Flügel der ETA] beteiligt. Der andere Flügel der gespaltenen Organisation, ETA militar [Militärischer Flügel der ETA], mordete allerdings munter weiter. Als Felipe González‘ Verhandlungen mit ETA gescheitert waren, ließen die Sozialisten, kaum, daß sie 1982 die absolute Mehrheit errungen hatten, eine staatlich organisierte, kommandierte und gedeckte Todesschwadron von der Leine: Die GAL [Grupos Antiterroristas de Liberación, ‚Antiterroristische Befreiungsgruppen‘], die von 1983 bis 1986 im französischen Baskenland gegen tatsächliche oder vermeintliche Aktivistinnen und Aktivisten der ETA vorgingen, schossen voll besetzte Kneipen zusammen, mordeten, entführten, folterten, bombten und brachten es – nicht zuletzt dank des wohlwollenden Desinteresses der französischen Polizei – in den drei Jahren ihres Bestehens auf 60 Todesopfer, darunter mehrere Kinder. Als in Spanien dieser Akt des offenen Staatsterrorismus ruchbar wurde und Verdächtigungen gegen Ministerpräsident Felipe González aufkamen, ließ sich dieser öffentlichen zu einer verräterischen Klage über die „Unabhängigkeit der Gerichte“ hinreißen. Sozialistische Politiker, die mit der GAL nichts zu tun hatten haben wollen, berichteten der Presse, wie sehr es sie angewidert habe, nach jedem neuen Mord von Einwohnern ihres Wahlkreises beglückwünscht zu werden(!). Für ETA und seinen politischen Arm, die Partei Herri Batasuna, waren die Verbrechen der GAL eine willkommene Bestätigung ihrer Behauptung, man lebe eben nicht in einer parlamentarischen Demokratie, sondern in einer „faschistischen Militärdiktatur“, in der sich seit Francos Zeiten nichts geändert habe. Es folgte eine neue Welle der Gewalt (Bis heute hat ETA 800 Menschenleben auf dem Gewissen). Und schließlich wurde auch unter Ministerpräsident José María Aznar (PP) „mit Terroristen verhandelt“, auch wenn er und Mariano Rajoy dies bei jeder Gelegenheit abstreiten: 1999 beendete ETA den Waffenstillstand von Lizarra, der erklärt worden war, um über das Schicksal der ETA-Gefangenen und eine Ausweitung des baskischen Autonomie-Statuts diskutieren zu können. Aznar war zu Zugeständnissen bereit gewesen, intensivierte jedoch gleichzeitig die polizeiliche Verfolgung, um ETA mit den Mittel der Staatsgewalt zu zerschlagen. Als ETA den Waffenstillstand beendete, verlor Herri Batasuna an der Wahlurne 80.000 Stimmen. Aznars Polizeiaktionen konnten ETA, wenig überraschend, nicht zerschlagen.

Das aktuelle Scheitern der Verhandlungen – die trotz eines grassierenden, mitunter schon sarkastischen Pessimismus in Spanien doch immer wieder Hoffnungen wecken – hat wohl andere Gründe. Denn bei allem säbelrasselnden Wortgetöse, bei allen immergleichen, gewaltverherrlichenden Phrasen und aller haarsträubenden Anmaßung enthält das ETA-Communiqué vom 4. Juni 2007 doch zumindest einen Punkt, den man nicht so leichtfertig übergehen sollte, wie es die Mehrzahl der europäischen Pressekommentatoren tut: Den Vorwurf nämlich, die baskischen Regionalwahlen vom 27. Mai 2007 seien „undemokratisch verlaufen“. Tatsächlich gehörte zu den Verhandlungsangeboten, die Ministerpräsident Zapatero im Jahr 2005 – unter den misstrauischen Blicken der spanischen Presse – öffentlich machte, ein „runder Tisch“, an dem alle baskischen Parteien über die Zukunft des Baskenlandes beraten sollten. Herri Batasuna aber ist in Spanien keine legale Partei mehr. Partido Popular sah die Illegalisierung des politischen Arms der ETA als Nagel zum Sarg der Terror-Organisation: Batasuna sei nichts weiter als eine Geldwasch- und Rekrutierungsorganisation für ETA, hieß es. So wahr diese Behauptung sein mag: Es hat sich längst gezeigt, daß die Illegalisierung Batasunas die soziale Basis für ETA durch eine verschärfte, häufig vollkommen unsinnige und willkürliche Polizeirepression nur verbreitert hat. Der Regierung Zapatero ging gleichzeitig der entscheidende politische Ansprechpartner für Verhandlungen verloren. Denn auch wenn die Hoffnung gering gewesen wäre: Herri Batasuna hätte möglicherweise – um einen in Spanien beliebten, aber hinkenden Vergleich zu bemühen – ähnlich wie Sinn Fein in Nordirland politische Fortschritte ohne Waffengewalt erreichen und auf diese Weise auf ETA Einfluss nehmen können. Nun aber kann ETA öffentlich verkünden, die „faschistische Regierung“ habe – wieder einmal – sämtliche Wege des zivilen Widerstands verbaut, und ihr übliches blutiges Garn abspulen. Wer mit einem Federstrich sämtliche Parteien aus dem Wahlregister streichen möchte, die dem irrwitzigen Phantom eines baskischen Nationalstaates nachlaufen, schafft ihre Anhängerinnen und Anhänger damit nicht aus der Welt und wird wohl auch nie erfahren, wieviele es wirklich sind. Der Aufruf Batasunas, bei den Wahlen für die legale ANV zu stimmen, wurde in der spanischen Presse dargestellt wie eine Aufforderung zum Raubmord. Der prähistorische Nationalismus von ETA zehrt im Baskenland von der allgemein schlechten Lage, nebst einem diffusen Rabauken-Radikalismus, der es schick findet, wenn es knallt und brennt. Aber dadurch, daß der spanische Staat eine mehr oder weniger freie Diskussion der abstrusen Forderungen von ETA oder Herri Batasuna innerhalb der baskischen Gesellschaft behindert und selbst solchen Gruppen Steine in den Weg legt, die zwar links und kritisch sind, mit ETA aber nicht das geringste zu tun haben, macht er sich selber sehr direkt zu einem „Rekrutierungsbüro“ für Terroristen. Perspektivisch wird kaum eine andere Möglichkeit bleiben, als Herri Batasuna – oder eine andere Partei ähnlicher Farbgebung – wieder zu legalisieren, wenn die spanische Regierung ernsthaft zu einem Frieden mit ETA kommen will. Das mag keine gute Lösung sein – aber alle anderen sind schlechter. Denn je weniger sich der spanische Staat im Baskenland an seine eigenen Spielregeln hält, desto mehr sorgt er dafür, daß der blutige Irrsinn des ETA-Terrors im neuen Jahrtausend weitergeht. Daß ETA im Baskenland eine dauerhafte Atmosphäre der Angst erzeugt und namhafte Kritikerinnen und Kritiker mit dem Tode bedroht, ändert an diesem Befund wenig. Es ist in über 40 Jahren nicht gelungen, ETA polizeilich zu zerschlagen. Ein plötzliches Erwachen ihrer Aktivistinnen und Aktivisten aus ihrem blutigen Irrsinn ist nicht zu erwarten. Die Repression des spanischen Staates hat nur zu verstärktem Zulauf in den Reihen von ETA geführt. Es bleiben nur Verhandlungen. Oder Hoffnungslosigkeit.