Achim von Borries: Rebell wider den Krieg. Bertrand Russell 1914 - 1918, Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim 2006, 95 S., 8,80 Euro, ISBN 978-3-939045-01-4
Antimilitarismus, Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung sind so alt wie der Krieg selbst. Jeder Krieg brachte Menschen hervor, die diesem Wahnsinn die Stirn boten, ob mit Worten oder Taten. Einer von ihnen war der englische Philosoph Bertrand Russell (1872 – 1970), der, fernab der Politik, vor allem mit seinem dreibändigen Werk zur mathematischen Grundlagenforschung, der Principia Mathematica, Berühmtheit erlangte. Im Bereich seines friedenspolitischen Engagements sind sein Einsatz gegen atomare Vernichtungswaffen, z.B. das Einstein-Russell-Manifest, aber auch das von ihm und Jean-Paul Sartre maßgeblich initiierten Vietnam-Tribunal nach wie vor von großer Bedeutung.
Bereits viel früher jedoch wurde der radikale Kriegsgegner in Russell aktiv, nämlich zwischen den Jahren 1914 und 1918, während der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts – dem Ersten Weltkrieg. Russels Lebensweg, damals 42 Jahre alt und seit 1910 Dozent für Philosophie am Trinity College der Universtät Cambrige, schlug ab August 1914, als Großbritannien Deutschland den Krieg erklärte, völlig andere Wege ein. „Die Ereignisse Anfang August 1914 […] bedeuteten für Russell einen ungeheuren Schock. Bis zuletzt hatte er gehofft, Großbritannien werde neutral bleiben […]. Nicht nur, daß diese Hoffnung sich nicht erfüllte: Russell wurde nun auf den Straßen Londons Zeuge einer nationalistischen Massenhysterie […]. Regierungspropaganda und Presse schürten mit einer Lügenkampagne systematisch den Haß gegen den ‚Feind‘, die Deutschen.“ (von Borries 2006: 18) Er war entsetzt über den patriotischen Taumel der um sich griff und über die Begeisterung, von der die Soldaten, die in den Krieg zogen, offensichtlich erfüllt waren. Russell sah dies als eine Rückkehr zur Barbarei und was ihn dabei besonders erschrak, war, dass viele seiner Kollegen aus den intellektuellen Kreisen dem Kriegsgeschrei zustimmten. Nur wenige Intellektuelle stemmten sich mit ähnlicher Vehemenz gegen den Krieg wie Russell, darunter Romain Rolland, Stefan Zweig, Hermann Hesse, Albert Einstein, Georg Friedrich Nicolai und George Bernard Shaw.
Nicht nur die Gründe, weshalb die Großmächte Krieg führten versuchte Russell in zahlreichen Aufsätzen zu klären, auch die Fragen, wie es möglich war, dass die Menschen in blindem Gehorsam in den Krieg zogen, beschäftige ihn stets: „Weshalb gehorchen gewöhnliche Bürger dem wahnsinnigen Befehl, gehorchen sogar mit Begeisterung, mit dem höchsten Grad von Hingabe und Heldentum?“ (zit. nach: von Borries 2006: 27) Mit der Einführung der Wehrpflicht in Großbritannien gründete sich 1914 auch die No-Conscription Fellowship (NCF), eine Gruppe, die britische Kriegsdienstverweigerer unterstützte und mit ihrer Zeitung The Tribunal, die eine Auflage von bis zu 100.000 Stück erreichte, zu einer gewichtigen Stimme gegen den Krieg wurde. Bald engagierte sich auch Bertrand Russell leidenschaftlich bei der NCF, schrieb unermüdlich für The Tribunal und wurde 1917 zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Das friedenspolitische Engagement hatte oft gravierende Folgen für Russell. 1916 wurde er, nachdem er die Verantwortung für den Inhalt eines strittigen Flugblattes der NCF übernahm, von einem Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt, was zur Folge hatte, dass er vom Council des Trinity College aus seiner akademischen Position entlassen wurde. Er wurde von der Regierung überwacht und mit Rede- und Reiseverboten belegt.
Russell dazu: „Die physische Freiheit kann einem Mann genommen werden, die geistige Freiheit aber ist das Geburtsrecht, dessen ihn zu berauben alle Armeen und Regierungen der Welt ohne seine Mitwirkung machtlos sind.“ (zit. nach: von Borries 2006: 47) Eine von ihm am 3. Januar 1918 geäußerte Kritik an der amerikanischen Armee in dem Leitartikel in The Tribunal führte dazu, dass er zu einer 6-monatigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, die er im Londoner Gefängnis Brixton absaß.
Doch Russell begnügte sich nicht mit einer bloßen moralischen Verurteilung des Krieges, sondern stellte Überlegungen für eine gesellschaftlich-politische Systemveränderung auf neuer theoretischer Grundlage an, die sich primär in seinen drei während des Krieges erschienen Schriften Principles of Social Reconstruction (1916), Political Ideals (1917) und Roads to Freedom – Socialism, Anarchism and Syndicalism (1918) manifestierte, in denen er Alternative zu einer für ihn destruktiven gesellschaftspolitischen Ordnung formulierte. Erschreckend aktuell für das 21. Jahrhundert schreibt er: „Die wirtschaftliche Ungerechtigkeit ist vielleicht das offensichtlichste Übel unseres gegenwärtigen Systems.“ (zit. nach: von Borries 2006: 66) Es sei lebensfeindlich, weil es vom „Gift des Wettkampfes“ und vom Geist hemmungsloser Konkurrenz bestimmt sei und er spinnt den Faden weiter zu Krieg und Militarismus, denn der Kapitalismus liefert „den Kanal […] durch den Aggressivität ihr Ventil findet.“ (zit. nach: von Borries 2006: 67)
Anmerkungen
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