ökonomie

Wo hängt der Hammer?

Der Streik der Lokführer und was wir daraus lernen könnten

| Heiner Stuhlfauth

Auch wenn der Arbeitskampf zwischen Deutscher Bahn AG (DB) und der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) zum Redaktionsschluss dieser Graswurzelrevolution noch in der Warteschleife hängt (Mediation durch Geißler und Biedenkopf), lassen sich unbesehen des konkreten Ausgangs Erkenntnisse gewinnen, die möglicherweise auf einen größeren Wandel der Verhältnisse hindeuten.

1. Was ein echter Streik ist

Vergleicht man den sechswöchigen Telekom-Streik im Mai/Juni 2007, der ver.di schätzungsweise 40 Millionen Euro gekostet und für die Beschäftigten mehr oder weniger gar nichts gebracht hat, mit dem – bislang bloß geplanten und gerichtlich abgewürgten – Streik der LokführerInnen und ihrer KollegInnen im August, so lässt sich erkennen, dass der eine vormals staatliche Großkonzern, die Telekom, ihren Streik mit arroganter Gelassenheit ausgesessen hat, während der andere, die DB, schon im Vorfeld zeterte als würden die Roten Brigaden in Deutschland Betriebszellen einrichten. Bahn-Chef Mehdorn nannte die streikwilligen Lokführer in BILD tatsächlich Terroristen. Und die Angst des Konzerns ging auf weite Teile der Medien und anderer Unternehmen über.

Das liegt – mag man als ökonomisch beschlagene Leserin sagen – an der strategischen Bedeutung der Transportwirtschaft für die globalisierte deutsche Export-Import-Wirtschaft, die auf dem Containerverkehr zu Schiff, Straße und Schiene basiert. (Der genormte Container, die Twenty feet Equivalent Unit, wurde übrigens vom US-Militär im Vietnam-Krieg eingeführt.)

Hinzu käme die Just-in-time-Produktion, eingeführt von Toyota Anfang der 1980er Jahre, welche die Lagerhallen der Unternehmen auf die Verkehrswege gerollt hat.

Andererseits ist die Telekommunikation, deren Netze aus Kabeln, Satelliten und Computern, ein ebenso wichtiger Nervenstrang des modernen Kapitalismus. Als kurzzeitig die Idee auftauchte, ver.di könnte vielleicht den G8-Gipfel in Heiligendamm bestreiken, bekam die Gegenseite das erste und einzige Mal schwitzende Hände.

Doch ver.di-Boss Frank Bsirske konnte die Gemüter schnell beruhigen. Wirklich weh tun wollte ver.di niemandem.

Ver.di hat in Wirklichkeit während der besagten sechs Wochen gar nicht gestreikt, sondern protestiert. Ein Streik muss das Ziel haben, das Unternehmen zum Einlenken zu zwingen. Und das geschieht nur, indem der Schaden für das Unternehmen schrittweise gesteigert wird, bis es für die Gegenpartei entweder zu teuer oder zu riskant wird, weiter auf stur zu stellen. Diese – mindestens 150 Jahre alte und fast vergessene – Erkenntnis scheint sich in der 1867 gegründeten GDL (damals noch Verein Deutscher Lokomotivführer) irgendwie gehalten zu haben.

Wenn ein Unternehmen wie die Telekom Tausende entlassen will, hat es wenig Sinn, wenn nur die Betroffenen streiken.

Da diese Leute ohnehin verzichtbar zu sein scheinen, stellen sie ihre Überflüssigkeit so nur unter Beweis, motivieren sie das Unternehmen durch den Streik sogar dazu, den Wegfall des Stammpersonals mit Hilfe von StreikbrecherInnen und Rationalisierungen schneller und reibungsloser zu gestalten. Mir ist kein Fall bekannt, an dem der Telekom-Streik 2007 im Alltag irgendwie aufgefallen wäre. So steigert die Streikführung nur die Resignation unter den Beschäftigten.

Der Telekom-Streik wäre nur zu gewinnen gewesen, wenn ver.di den Arbeitskampf auf andere – tendenziell alle – Beschäftigte der Telekom ausgeweitet hätte. Als Syndikalist sage ich sogar: auf die gesamte Telekommunikations-Branche. Wo waren die modernen Konzepte von „Community organising“, die ver.di angeblich bei ihren amerikanischen Kollegen von SEIU studiert? Wo waren die Proteste und Blockaden vor T-Points in den Stadtteilen und Fußgängerzonen?

Wo waren attac, Studis und bewegte Arbeitslose, die sich stets reflexhaft auf „die Gewerkschaften“ beziehen?

Nada. Niente. Nothing.

Ver.di ging es bloß um sozialpsychologische Regulierung.

Dampf ablassen. Das Gefühl, mal so richtig auf den Tisch gehauen zu haben. Davon wird aber am Ende des Tages keine Familie satt.

2. In Deutschland gibt es kein Streikrecht

Als das Arbeitsgericht Nürnberg diverse GDL-Streik-Ansätze verboten hatte, mit der abenteuerlichen Begründung, diese könnten einen „unverhältnismäßigen Schaden“ anrichten, da schrieen sogar die konkurrierenden DGB-Gewerkschaften laut auf. In der linken Tageszeitung „junge Welt“ war von „Anschlägen auf das Streikrecht“ zu lesen. Das ist zu kurz gedacht. In Deutschland gibt es kein wirkliches Streikrecht. Schon im Grundgesetz, das gern als Schutzschild hoch gehalten wird, steht in Artikel 9: „Maßnahmen […] dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen […] geführt werden.“

Da ein ernst gemeinter Streik – wie oben ausgeführt – naturgemäß nicht die Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingung zum Ziel haben kann, ist hier schon das rechtliche Fundament faul.

Dementsprechend wurde beispielsweise 1971 ein sehr effektiver sechsmonatiger Bummelstreik der Fluglotsen vom Bundesgerichtshof abgewürgt.

Die Richter forderten zunächst einen Schadenersatz von 200 Millionen DM. Die Lotsen brachen den Streik ab und kamen nach einem Vergleich mit der Regierung mit einer Zahlung von 2 Mio. DM davon.

Bei einem Streik von BusfahrerInnen bei HBB in Leverkusen Anfang 2004, die zuvor vom kommunalen Betrieb „Wupsi“ ausgelagert worden waren und nun einen angemessenen Tarifvertrag forderten, verbot das Gericht einen Streik der noch nicht ausgelagerten Wupsi-KollegInnen, die Tür an Tür im benachbarten Betriebshof tätig waren. Solidaritätsstreiks sind in Deutschland genauso verboten wie politische Streiks.

Eine zunehmende Orientierung auf wilde Streiks, Krankfeiern, schlampiges Arbeiten und Sabotage, welche jede Arbeiterbewegung in der Geschichte hervorgebracht hat, wenn ihr eine angemessene legale Kampfform verweigert wurde, wäre die logische Konsequenz.

3. Die Stimmung hat sich gewandelt

Es ist nicht ganz unberechtigt, wenn ver.di, Bsirske und Konsorten die Öffentlichkeit als wichtigen Faktor im Streik ernst nehmen. Dabei sollten sie jedoch nicht BILD, BamS und Glotze mit der Stimmung in der arbeitenden Bevölkerung verwechseln. Selbstverständlich versuchen „die Medien“ immer KonsumentInnen gegen ProduzentInnen auszuspielen.

Einem eklatanten Mangel an Klassenbewusstsein in deutschen Landen war es geschuldet, dass dieses durchsichtige Unterfangen oft genug gelungen ist. Für eine Gewerkschaft kann es dann nur heißen: Helm auf und durch! Die Presse kann sie letztlich nicht beeinflussen. Sie muss sich auf ihre Stärken besinnen.

Interessant am GDL-Arbeitskampf war bislang: Die überwiegende Mehrheit der befragten PassantInnen in den Bahnhöfen hatten Verständnis. Und es ging nicht bloß um die konkreten Forderungen und um die Erkenntnisse, dass in anderen EU-Ländern LokführerInnen mehr verdienen, dass der DB-Vorstand sich kurz zuvor einen 62-prozentigen Schluck aus der Pulle genehmigt hatte, und dass zufriedenere LokführerInnen Sicherheit für die Reisenden bedeuten. Die Bevölkerung, die da tagtäglich zur Arbeit pendelt, hat nach jahrelangen Reallohnverlusten, sozialen Einschnitten, Rentenkürzungen etc. schlicht die Schnauze voll.

Sie steht hinter der GDL. Die Leute erkennen die Gemeinsamkeit zwischen sich als Arbeitenden und den LokführerInnen. Das ist für Deutschland in dieser Breite ein nicht zu unterschätzender Umschwung.

4. Die Einheitsgewerkschaften sind am Ende

Der Gigant ver.di: Steht er auf tönernen Füßen, ist er ein Kaiser ohne Kleider? Welches Wortbild wollen wir bemühen?

Es wird immer offensichtlicher, dass die Mega-Fusionen im Gewerkschaftsbereich den selben Gesetzen folgen, wie die Fusionen in der Wirtschaft.

Die ötv, die größte Fusionsgewerkschaft bei ver.di, war nach einem desaströsen Streik 1992 schlicht pleite. Gewerkschafts-Austritte sowie Entlassungen und Umstrukturierungen in der Wirtschaft führten in den Folgejahren zu einem Überhang an Gewerkschaftsbürokratie, der sich aus Beiträgen nicht mehr finanzieren ließ. Das sind die Gründe für Fusions-Gebilde wie ver.di.

Die ganze Propaganda von „Gemeinsam sind wir stark!“ ist hohl. Die beschworene Einheit der arbeitenden Bevölkerung stellt sich für kampfwillige Belegschaften, Berufsgruppen und Branchen vielmehr als babylonische Gefangenschaft in einem untüchtigen Konstrukt dar. Zu klären wäre die Frage, zu welchem Grad die Einheitsgewerkschaften kampfunwillig oder kampfunfähig sind.

Und das müssen auch jene Gewerkschaftslinken gefragt werden, die an Lenin, Trotzki etc. geschult sind und die uns seit etwa 1921 vorhalten, die „Einheit der arbeitenden Bevölkerung“ wäre durch die Einheitsgewerkschaften quasi vorweggenommen, alles andere bedeute Sektierertum und Spaltung: Was kommt denn dabei heraus? Wem nutzt es und wem schadet es?

Die GDL, die Pilotenvereinigung Cockpit und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund wachsen derzeit wie Unkraut im verregneten Sommer. Die Nachteile einer berufsständisch zersplitterten und von Standesdünkel durchzogenen Gewerkschaftslandschaft sind in den USA und in England seit über 100 Jahren zu studieren.

Die Nachteile von Zersplitterung durch politisch-ideologisch fundierte Richtungsgewerkschaften lassen sich in Italien, Frankreich und Spanien studieren. Aber wo sind die Vorteile gezähmter und in vorauseilendem Gehorsam parierender Einheitsgewerkschaften, wie sie im deutschsprachigen Raum vorherrschen? Was bringt es noch, ihnen durch unermüdliche Basisarbeit neues Leben einzuhauchen?

Eine quasi vormoderne berufsständische Gewerkschaft wie die GDL zeigt uns momentan, wo der Hammer hängt.

Anmerkungen

Der Autor ist Mitglied der IWW Köln und Redakteur der Website www.wobblies.de

Links / Quellen

Bahnstreik, warum? - Wal Buchenberg, 18.08.07: www.de.indymedia.org/2007/08/189994.shtml

Guerillataktiken im Arbeitskampf - Jenny Genger, financial times Deutschland, 10.08.07: www.ftd.de/unternehmen/handel_dienstleister/237121.html

Linienverkehr in Leverkusen lahmgelegt - Heiner Stuhlfauth, Direkte Aktion, 25.04.04: www.fau.org/fau_medien/da/DA_163/art_040425-092021

Ist weniger mehr? - Hannes Heine, www.telepolis.de, 15.07.05: www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20527/1.html