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Ralf Burnickis Lyrikbändchen "Zahnweiß. Kaufhaus-Poetry" verdirbt den Spaß beim Einkaufen

| Joseph Steinbeiß

Ralf Burnicki hat eine Sprache. Soviel steht einmal fest. Man ist nicht gerade umlagert von kreativen, eigensinnigen Geistern, die die Poesie in den Dienst der politischen Kritik stellen und dabei auf radikales Wortgerassel, sozialreale Schminke oder die üblichen Brocken Soziologenchinesisch verzichten mögen.

Ein Flugblatt ist kein Gedicht, eine Parole kein Couplet (1), und allzu oft ruiniert die ewige Angst, nicht- oder gar missverstanden zu werden, hoffnungsvolle Ansätze. An den Gedanken, dass es gerade das Unscharfe sein könnte, das Zweideutige, Beunruhigende und Verwirrende, das dem literarischen Text Kraft und Sinn verleiht, weil es die Lesenden in ihre kreativen Rechte einsetzt, gewöhnen sich die kämpferisch-dichtenden Genossinnen und Genossen hierzulande nur schwer.

Aber Ralf Burnicki hat eine Sprache. Eine Sprache, die lustvoll und großzügig austeilt und von stilistischen Sparsamkeiten nichts wissen will. Sie scheut sich weder, vorsätzlich schön zu werden und der Ruhe der Seele nachzuspüren, noch, das grell plärrende Stakkato der Stadt einzufangen. Auf Unrecht und Unmenschlichkeiten zeigt sie ohnehin.

In dem nun bei Edition AV erschienenen Bändchen „Zahnweiß. Kaufhaus-Poetry“ versucht Burnicki, dem ungebremsten Terror des Konsums mit künstlerischen Mitteln zu Leibe zu rücken. Der berüchtigte Werbeslogan der Mediamarkt-Kette: „Kaufen, marsch marsch!“ ist ihm dabei nicht bloß verräterisch. Er ist Programm.

In insgesamt vier längeren Prosagedichten verwandeln sich unter seiner Feder vor Regalen drängelnde Konsumentinnen und Konsumenten in uniformierte Befehlempfängerinnen- und Empfänger der Werbeindustrie. Der Supermarkt wird zum Aufmarschgebiet, oder besser noch: zum Exerzierplatz der schönen, neuen Welt der schönen guten Waren. Ein schlichter Mate-Tee wird wie von Zauberhand zum „Meta-Tee“: „Ein Teesortiment verkörpert nicht Tee, sondern die Idee des Guten und Schönen, ist Meta-Tee […] („Absahnen“, S. 33).

Preisschilder sind Wegweiser zur Front – man darf sich nicht verlaufen! – und jede menschliche Regung unterwirft sich den Erfordernissen des mörderischen Handel(n)s. Ein kurzes Verharren ist beinahe schon wehrkraftzersetzend: „Hier und dort ein Exemplar unverhoffter Begegnung, und tatsächlich: Verlangsamung, innehalten, stillstehen, bisweilen ein diskreter Tausch von Zärtlichkeiten unter der Hand […]. Ein heikler Fall, kleiner Planungsfehler im durchstartenden Kundenstrom. Doch der Alltag ist schon auf dem Posten, der den Umstehenden sagt: Hier gibt es nichts zu kaufen, bitte weitergehen“ („Kaukraft“, S. 10).

Das nicht-käufliche Leben wird gegen eine Invasion klappernder Etikettiermaschienen verteidigt. Autoren wie Giorgio Agamben oder John Holloway haben das auch schon getan. Nur mit ein bisschen anderen Worten…

In Burnickis Texten jagt ein Substantiv das nächste: „Minipreis […] Glückswerbung […] Haushalts- bis Parfümabteil [….] Desinfektionsspray, Dschungel […] Toilettenduft […] Lottostand“ („Zahnweiß“, S. 19). Man kommt kaum zu Atem.

Das „Trommelfeuer“ aus Slogans, Waren, Preisen und Versprechungen geht beim Lesen der Texte noch einmal nieder und liefert den ästhetischen Bauplan für Burnickis „Kaufhaus-Poetry“.

Manchmal geht das allerdings auf Kosten der Substanz. Dann reihen sich zu viele Metaphern aneinander, hetzen zu viele schwergewichtige Vokabeln durch die Zeilen, und man vermisst jene ungerührte Klarheit, mit der Burnicki etwa den Erfolg des dauerhaften Glücksversprechens durch Konsum lakonisch zusammenfasst: „Schmerzlosigkeiten sprechen sich schnell herum“ („Zahnweiß“, S. 19).

Dass ihm die kritische Treffsicherheit nicht abgeht, sondern höchstens im Feuer seiner opulenten Sprachgewalt hier und da abhanden kommt, beweist ein knapper Text unter einem der den Band durchziehenden Kaufhaus-Abbildungen, der Erich Fried mancherlei zu danken hat: „Der Realmarkt warb/an seinen Einkaufswagen für eine/Ausbildung bei der Bundeswehr./Beim Einkaufen schoben KundInnen/ein Foto mit einem bewaffneten/deutschen Soldaten in Tarnuniform/vor sich her./Das Geschäft lief gut“ (S. 24).

Burnickis künstlerische Risikobereitschaft ist herzerfrischend, und seine Liebe zur Sprache ansteckend. Die Wucht seiner Texte ist an ihren besten Stellen nahezu atemberaubend, ihr kritischer Hintergrund dagegen kühl und reflektiert. Er poltert nicht, er doziert nicht, er schreibt – ohne Netz und doppelten Boden. Und selbst, wenn er in der einen Zeile hin fällt, steht er in der nächsten wieder auf. Es macht Freude, von jemandem zu lesen, der nun seit Jahren schon derart hartnäckig auf seine künstlerische Eigenständigkeit pocht und weder literarischen noch politischen Moden hinterherläuft.

Es nutzt nichts, über das Fehlen einer politisch engagierten Literatur in Deutschland zu jammern. Es muss jemanden geben, der sie schreibt. Ralf Burnicki schreibt sie, ein ums andere Mal.

Was fehlt, sind Menschen, die sie lesen.

(1) Anm. der GWR-Redaktion: Das Couplet (frz. "couplet": Zeilenpaar) bezeichnet in der Dichtung ein Paar gereimter Vers-Zeilen. In der Musik ist es ein mehrstrophiges witzig-zweideutiges, politisches oder satirisches Lied mit markantem Refrain.

Ralf Burnicki: Zahnweiß, Verlag Edition AV, Lich 2007, 44 Seiten, 9,80 Euro, ISBN 978-3-936049-78-7, www.edition-av.de