LeserInnen der Graswurzelrevolution wissen es natürlich schon lange (*): In Neustadt an der Weinstraße hat der Verein "Neuland" die Herausforderung angepackt, eine libertäre Antwort auf die Frage eines solidarischen Lebens und einer würdigen Altersperspektive im real existierenden Turbokapitalismus unserer Zeit zu finden - und in einem Pilotprojekt konkret zu verwirklichen. Mittlerweile gibt es in Neustadt bereits eine zweite Gruppe, und die erste hat soeben ihren Finanzierungsplan vorgelegt.
Die demografische Entwicklung und die Anpassung des gesamten Lebens an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes lassen riesige soziale Probleme entstehen, die unser aller Zukunft bestimmen werden. Zunehmende Vereinsamung und unwürdiges Leben im Alter bilden hierbei einen Aspekt jener komplexen sozialen Misere, die nach einer libertären Alternative geradezu verlangt.
Wo aber ein großer Bedarf ist, ist auch das große Business nicht weit. Und so „regelt“ sich in unserer am Kapital ausgerichteten Gesellschaft auch dieses „Problem“ folgerichtig: über den Markt. Generationsübergreifende Projekte erleben daher seit Neuestem einen regelrechten Boom – und das dürfte angesichts der prognostizierten Entwicklungen unserer Sozialstrukturen erst der Anfang sein… Investmentgesellschaften springen auf diesen Zug ebenso auf wie clevere Baulöwen oder die großen Sozialkonzerne. Und manchmal sucht unter diesem Label auch nur eine Gruppe gut betuchter Doppelverdiener nach einigen preiswerten Leihomas für die Kinder oder dem rüstigen Opa für die Gartenarbeit. Womit nicht gesagt sein soll, dass alle kommerziell aufgezogenen Generationenprojekte für den einzelnen Betroffenen schlecht sein müssen.
Nur: Sie sind eben in erster Linie kommerziell. Und damit kommen sie nur für Menschen in Frage, die entsprechend gut betucht sind – ganz abgesehen von der Frage, ob man sich wirkliche Gemeinschaftlichkeit, Respekt, Solidarität und gegenseitige Hilfe irgendwo als Dienstleistung „einkaufen“ kann.
Eine libertäre Vision von generationsübergreifendem Wohnen muss anders gestrickt sein als die Konfektionsware der Marktstrategen.
Neuland: be(i)treten erlaubt!
Im Umfeld von Neuland reifte Schritt für Schritt eine Vision heran, die mehr sein sollte, als nur eine Notlösung innerhalb der neoliberalen Alltäglichkeit – nicht ohne Grund verpasste ihr ein pfiffiger Neustadter Genosse den Insider-Spitznamen „Projekt A / Plan B“… Die Eckdaten lassen sich rasch aufzählen: Zusammenleben aller Generationen in Solidarität und Gegenseitiger Hilfe; soviel Kollektivität wie möglich und soviel Individualität wie gewünscht; Immobilienbesitz in Gemeineigentum und Bezahlbarkeit auch für sozial schwache Menschen.
Vor allem aber ging es von Anfang an nicht nur ums Wohnen: soziale Initiativen, kulturelle Veranstaltungen, nachbarschaftliche Offenheit und auch politisches Engagement – all das ist Teil des Konzepts und soll dazu beitragen, dass das Projekt aktiver Teil seiner sozialen Umgebung bleibt.
Zur sozialen Virulenz des Projektes dürfte auch das libertäre Dokumentationszentrum „Das AnArchiv“ beitragen, das im Jahre 2005 nach fast 35 Jahren Existenz seine umfangreiche Bibliothek schließen musste (**) und im Projekt seinen endgültigen Standort finden soll.
Vor zweieinhalb Jahren wurde diese Idee geboren, wenig später der Verein gegründet, das Konzept entwickelt und nach einer geeigneten Immobilie gesucht.
Konzept Mietshäusersyndikat
Vor allem aber fand Neuland in dieser Zeit im Freiburger Mietshäusersyndikat einen Partner für seine Idee, der nicht nur politisch auf der gleichen Welle schwingt, sondern mit seiner Idee der „Direktkredite“ auch ein solides Finanzierungskonzept fix und fertig in der Tasche hatte.
Die Idee der Direktkredite, die in der GWR 319 vom Mai 2007 ausführlich vorgestellt wurde, ist bestechend einfach und ähnelt im Prinzip jenen „Mikrokrediten“, für die der Bangladeshi Muhammad Junus den letztjährigen Friedensnobelpreis erhalten hat: je mehr solidarische Kleinkredite, desto mehr Stabilität und desto weniger Abhängigkeit von Banken. Von der Finanzwelt anfangs belächelt und als utopisch abgetan, haben sich solche Strukturen hervorragend bewährt.
Das Freiburger Direktkredit-System bewies sich in 20 Jahren bei unzähligen Projekten als derart solide, dass inzwischen nicht mehr nur die GLS-Bank, sondern auch „ganz normale“ Banken oder Sparkassen als Finanzierungspartner auftreten – denn tatsächlich ist noch kein einziges Syndikats-Projekt jemals an finanziellen Problemen gescheitert.
Lieber 1000 Freunde im Rücken als eine Bank im Nacken
Auf diese Weise finanzieren „Solidarprojekte“ die Differenz zwischen Eigenkapital und Finanzbedarf durch hunderte von kleinen Direktkrediten, die von Menschen gewährt werden, die diese Idee unterstützenswert finden: Eine Form von echtem „ethischem Investment“ also, denn das Darlehen dient einem guten Zweck und bringt mit 3% zugleich mehr Zinsen als ein Sparbuch. (Wer das Projekt besonders fördern möchte, darf natürlich auch teilweise oder ganz auf Zinsen verzichten.)
Ab 500 Euro aufwärts gewähren Einzelpersonen der entsprechenden GmbH ein direktes und zweckgebundenes Darlehen; Laufzeit, Kündigungsfrist, Verzinsung und Absicherung werden in einem Kreditvertrag geregelt.
Die Rückzahlung erfolgt aus den Mieteinnahmen, in kurzfristigen Fällen – etwa wenn der Darlehensgeber in eine Notsituation gerät – durch Umschuldung. Ist das Objekt abbezahlt, fließen die Mieten in eine Solidarkasse zur Förderung neuer Projekte.
Der aktuelle Stand
Als schließlich mit dem „Eilhardshof“ ein für das Vorhaben geradezu ideales Objekt gefunden wurde (siehe GWR 319), war das Interesse enorm und der Andrang entsprechend groß. Inzwischen hat sich ein zweites Neuland-Projekt konstituiert – nicht nur wegen Platzmangels, sondern auch aufgrund unterschiedlicher Wünsche und Bedürfnisse – und wir alle hoffen, dass es noch viel mehr werden.
Die zwischenzeitlich gegründete Eilhardshof GmbH ist sich mit dem Besitzerehepaar, das der Projektidee sehr positiv gegenüber steht, im Prinzip handelseinig. Kopfzerbrechen bereitete hingegen die genaue Kalkulation der Um- und Ausbaukosten sowie eine realistische Einschätzung der möglichen Eigenleistungen. Glücklicherweise hat das Projekt nicht nur einen engagierten und im Denkmalschutz äußerst versierten libertären Architekten aus der Region zu begeistern vermocht, sondern auch Kaufleute, Projektmanager und einen leibhaftigen Steuerberater, so dass nunmehr belastbare Zahlen in einem stimmigen Konzept auf dem Tisch liegen – seit vergangener Woche auch bei den Banken. Die erste hat bereits positives Interesse signalisiert.
Die konkreten Zahlen
Der Kaufpreis von 480.000 Euro für die fünf Häuser samt Park ist der geringste Brocken; die Gesamtkosten werden sich am Ende auf annähernd 2,5 Millionen belaufen. 440.000 Euro Zuschüsse sind aus einem Landesprogramm für barrierefreies Bauen zugesagt, durch Eigenleistungen und solidarische Bauhilfe von außen können 230.000 Euro eingespart werden. Aufgrund dieser Zahlen braucht das Projekt als Minimum 400.000, als Optimum 600.000 Euro Direktkredite – davon sind etwa 240.000 bereits zusammengekommen. Dies ergäbe eine solide Finanzierung mit einem Bankenanteil von 56 bzw. 48 Prozent.
Die konkrete Solidarität
Wir danken allen Graswurzelrevolution-LeserInnen, die uns bereits mit Direktkrediten unterstützt haben und rufen alle anderen zur Mithilfe bei der Verwirklichung des Projekts auf. Denn jeder Mensch, der sich in dieser Idee wiederfinden kann, kann auch etwas für ihre Verwirklichung tun. Als konkretes Haus in Neustadt, aber auch als Modell, Pionierprojekt und Ermutigung für Menschen an jedem anderen Ort. Dabei geht es nicht nur um Geld. Denn sobald die Finanzierung steht, braucht es auch fleißige Hände, um aus dem Eilhardshof das zu machen, was er werden soll. HandwerkerInnen sind daher so gefragt wie BeraterInnen, HelferInnen und KreditgeberInnen. Wer also Lust, Zeit und entsprechende Kenntnisse hat, ist ebenso herzlich eingeladen, uns mit Hand und Verstand zu helfen wie all‘ jene, die es richtig finden, in diesem Projekt einen Geldbetrag anzulegen.
Übrigens: Wer das Geld gibt, bestimmt natürlich auch Höhe, Laufzeit, Tilgung und Verzinsung des Direktkredites (innerhalb gewisser Grenzen) selbst – und selbstverständlich werden angebotene Direktkredite erst dann abgerufen, wenn die Gesamtfinanzierung steht und von der Bank abgesegnet ist.
Als realistische Optimisten hoffen wir, nächstes Jahr um diese Zeit unsere ersten Gäste im Eilhardshof begrüßen zu dürfen und mit all jenen, die uns mit Rat und Tat, Ideen und Zuspruch, Geld und Arbeit geholfen haben, auf das gute Gelingen dieses Experiments anzustoßen. Mit einem großen Schoppen Pfälzer Wein – oder auch mit Kräutertee.
Ganz nach Geschmack…
(*) Vgl. Bernd Drücke: "Projekt A / Plan B", Interview mit Horst Stowasser, in: GWR 304, Dez. 2005 und "Projekt Eilhardshof", Artikel von Horst Stowasser in: GWR 319, Mai 2007
(**) Vgl. "Projekt A / Plan B" (s. o.)
Kontakt
Ausführliche Infos verschickt gerne:
Eilhardshof GmbH - Öffentlichkeitsgruppe
Wolfsburgstraße 25 - 29
67434 Neustadt a. d. Weinstr.
eilhardshof@web.de
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