Tariq Ali hat ein wütendes Buch geschrieben. Brennende Dollarscheine, Piratenschiffe vor einer nächtlichen Skyline und die Gesichter von Hugo Chávez, Evo Morales und Fidel Castro zieren das Cover. Auch Ali selbst bezeichne sich als Pirat, sagt der Klappentext, und von solchen handelt auch das Buch, das, und da könne man laut Ali sicher sein, „definitiv eine Streitschrift“ sei.
Das stimmt. Der Alt-68er weist seine Schilderungen aus Venezuela, Bolivien und Kuba als Ergebnis vieler Lateinamerika-Reisen aus. Geschichte und Gegenwart der drei genannten Länder stehen im Mittelpunkt der Betrachtungen. Sie gelten Ali, wie der Titel schon sagt, als „Achse der Hoffnung“.
Die Hoffnung besteht in einer politischen Perspektive, die sich dem neoliberalen „Washington Consensus“ widersetzt. Auf einer Konferenz hatte man sich 1990 in der US-Hauptstadt unter diesem Begriff – bei Ali vielsagend als „WC“ abgekürzt – auf die Richtlinien für die Politiken der Deregulierung und Privatisierung in Lateinamerika geeinigt. Alis Stärke liegt hier in der Polemik gegen all die Ex-Linken, die sich ohne Not diesem Konsens verschrieben haben. Zu solchen Speichelleckern des neoliberalen Projektes gehört auch eine Reihe von JournalistInnen, die aus freien Stücken nichts als Hofberichterstattung betreibt. Alis Analyse der parteiischen Presse zu Venezuela ist bestechend, seine Anklage gegen große Blätter wie die französische Le Monde oder die spanische El País stichfest.
Die Verstrickungen der USA in den Putschversuch gegen Hugo Chávez 2002 fanden ganz offensichtlich ihre Schönschreiber in aller Welt.
Und zweifellos, die Außenpolitik der USA, immer wieder im Visier von Alis Polemiken, ist im Hinblick auf Lateinamerika kaum anders als verbrecherisch zu bezeichnen: Mehrere Beteiligungen am Sturz demokratisch gewählter, linker Präsidenten sind nur der Gipfel einer Doktrin, die den Subkontinent zum Hinterhof erklärt hatte.
Diese Politik hat allein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zehntausende Linke das Leben gekostet. Rechnet man zu den ermordeten Oppositionellen noch die Opfer der strukturellen Auswirkungen von neoliberalen Freihandelsverträgen hinzu, so wird der von lateinamerikanischen Linken gepflegte und von Ali geteilte Abscheu gegen die USA verständlich. Alis Antiamerikanismus allerdings treibt bedenkliche Blüten, mit denen sich auch die hiesigen Solidaritätsbewegungen nicht schmücken sollten: Gleich zu Beginn seiner Pamphletsammlung heißt es, „der Zusammenbruch aller nicht-kapitalistischen Alternativen, die mit dem Ende des kalten und heißen Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und der kommunistischen Welt (1917-1991) verbunden waren, übten einen tiefen Einfluss auf viele Menschen aus.“ Eine neue Periodisierung des 20. Jahrhunderts also. Komisch nur, dass darin der Nationalsozialismus ebenso wenig vorkommt wie die Befreiung von diesem durch die USA. Und den Zweiten Weltkrieg zum Bestandteil eines antikommunistischen Feldzuges umzuschreiben, steht wohl rechter Geschichtsklitterung in nichts nach.
Auch scheint es Ali nicht bedenklich, dass sich in den „Vorstadtgassen und Bretterbuden“ der arabischen Welt „ein radikaler Wind“ entfaltet, solange er sich nur gegen die USA richtet. Was hier fehlt, ist nicht etwa demokratisches Bewusstsein oder gar eine Distanz zu religiösem Wahn, sondern bloß ein richtiger linker Caudillo: „Führerfiguren wie Chávez oder Morales müssen sich in diesem Teil der Welt erst noch zeigen.“
Die Weigerung, aus der Geschichte der Linken (und eben dem Vertrauen auf solche Lichtgestalten) zu lernen, zeigt sich auch in Alis falscher Einschätzung des zapatistischen Aufstands in Mexiko: Die Parole, die Welt zu verändern, ohne die Macht zu übernehmen, interpretiert er eben nicht als Abkehr von Autoritarismus und Staatsgläubigkeit. Stattdessen behauptet er, es handele sich „in Wirklichkeit“ um einen „Aufruf, sich jeder politischen Tätigkeit zu enthalten.“ Angesichts der enormen basisdemokratischen Organisierung in Chiapas und der von dort angestoßenen globalisierungskritischen Bewegung, ist eine solche Einschätzung natürlich unhaltbarer Quatsch – es sei denn, man versteht unter Politik nichts anderes als das, was Staatsleute tun. Genau darauf aber, und das ist von einem links gebliebenen 68er ja nicht unbedingt zu erwarten, läuft Alis Politikverständnis hinaus.
Ein kleines Porträt des Befreiers Simón Bolívar (1783-1830) ist in die Polemiken eingestreut, daneben geht es um die Projekte der drei Covergesichter aus der Perspektive des reisenden Berufsrevolutionärs Tariq Ali.
Das Ganze wirkt etwas unzusammenhängend und zerfasert; ein Eindruck, der sich durch den Anhang noch verstärkt, der fast die Hälfte des Buches einnimmt und aus Interviews, Analysen der Berichterstattung einzelner Zeitungen oder der Rede von Chávez vor den Vereinten Nationen besteht.
Ein schönes Buch ist das also nicht. Die gelungenen Polemiken gegen die Neoliberalen aller Arten werden durch die antiamerikanische Verblendung und den Staatsfetischismus leider arg geschmälert. Eine Streitschrift, ja.
Aber Piraten haben ja noch nie ausschließlich als Robin Hoods der Meere gewirkt, sondern immer auch mit brutaler Willkür gewütet.
Tariq Ali: Piraten der Karibik. Die Achse der Hoffnung, Kreuzlingen/München 2007, Diederichs Verlag, 304 S., 22,- Euro, ISBN 978-3-7205-3001-9