Nach über drei Jahren Berufsverbotsverfahren unterrichtet der 37-jährige Realschullehrer Michael Csaszkóczy nun an einer öffentlichen Schule. Seit Anfang 2004 wurde dem Heidelberger Bewegungsaktivisten die Einstellung in den Schuldienst des Landes Baden-Württemberg aus politischen Gründen verweigert (die GWR berichtete), vor allem, weil er sich in einer antifaschistischen Gruppe engagierte, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird (GWR-Red.).
Graswurzelrevolution (GWR): Nach drei Jahren ist es endlich vorbei, und du unterrichtest jetzt. Was hast du in den Klassen gesagt ? Was haben sie dich gefragt ? Und wie ist das gelaufen ?
Micha: Ich habe selbst die Vorgänge der letzten vier Jahre nicht von mir aus zum Thema gemacht. Aber natürlich hatten viele SchülerInnen schon davon gehört, dass der aus der Presse berüchtigte Berufsverbotslehrer an ihre Schule kommt. Mit denen habe ich dann sehr offen darüber gesprochen, ihnen aber gleichzeitig gesagt, dass sie sich, wenn sie ausführlicher darüber reden wollen, mit ihrem Gemeinschaftskundelehrer zusammen setzen sollten – letzten Endes bin ich natürlich ‚Partei‘ in dieser Geschichte.
Vor allem aber sind das Auseinandersetzungen, die 11- bis 16jährigen Jugendlichen oft noch sehr fern und fremd sind. Insofern war das Thema im Unterricht dann gar nicht so präsent.
Für SchülerInnen sind an einem Lehrer oder einer Lehrerin erst mal ganz andere Dinge wichtig: ob sie sich ernstgenommen fühlen, ob er ihnen gegenüber authentisch und ehrlich ist und ob er selbst sich für die Inhalte, die er vermittelt, begeistern kann.
Natürlich stand ich zu Beginn ungeheuer unter Druck. Ich bin mit einem Ruf an die Schule gekommen, der mir nur die Möglichkeit ließ, durch die Qualität meines Unterrichts zu überzeugen. Und das, nachdem ich fünf Jahre nichts mehr mit Unterricht zu tun hatte. Ich hatte kein Material, kannte weder Lehrpläne noch Schulbücher und musste mich ja auch erst wieder an die Rolle gewöhnen, die man als Lehrer nun mal zu spielen hat. Das war tatsächlich sehr schwer und ich werde noch eine Weile mit dieser Situation zu kämpfen haben. Ich habe ja erst zwei Tage vor ‚Dienstantritt‘ den Bescheid vom Kultusministerium erhalten, dass ich 35 Kilometer entfernt als Lehrer anfangen soll. Bislang habe ich aber von SchülerInnen und Eltern nur positive Rückmeldungen bekommen und das macht natürlich Mut.
Du hast drei Jahre gekämpft, warum glaubtest du an einen Erfolg ?
Ich habe ehrlich gesagt gar nicht so sehr an meinen Erfolg geglaubt, zumindest nicht in dem Sinn, dass ich davon ausgegangen wäre, in absehbarer Zeit als Lehrer arbeiten zu können. Es gibt Situationen, in die wird man einfach hineingestellt und wenn man ein politisch denkender und handelnder Mensch ist, kann man sich ihnen nicht entziehen. In der Anhörung vor dem Regierungspräsidium wurde z.B. von mir verlangt, ich solle mich ganz generell und allgemein öffentlich von „Militanz“ distanzieren und von dem „außerparlamentarischen Kampf gegen die herrschenden Unterdrückungsverhältnisse“.
Wie hätte ich das tun können? Das wäre mir nicht nur als Verhöhnung der vielen Menschen erschienen, die unter dem Nationalsozialismus – und nicht nur dort – Widerstand geleistet haben. Außerdem hätte ich mich dann damit abgefunden, mir für die restliche Zeit meiner beruflichen Tätigkeit freiwillig einen Maulkorb umzubinden. Insofern habe ich nie darüber nachgedacht, anders zu entscheiden, diese Alternative hat sich mir eigentlich nie gestellt.
Diesen Kampf zu führen, war eine politische Notwendigkeit. Für mich persönlich und meine berufliche Zukunft hätte ich das nicht getan. Es gibt auch andere mehr oder weniger schöne Arten, sich durch den Verkauf seiner Arbeitskraft ausbeuten zu lassen.
Du bist jetzt im Dienst derer die Dich so bekämpft haben, wieso wolltest du da unbedingt hin?
Ich möchte den Beruf ausüben, den ich gelernt habe, für den ich geeignet bin und den ich gern mache. Dass der Staat auf diesen Beruf faktisch ein Monopol hat, darf doch kein Grund sein, dass kritisch denkende Menschen freiwillig und präventiv auf die Ausübung dieses Berufs verzichten. Es ging mir nicht darum, Staatsdiener zu werden, sondern als Lehrer zu arbeiten. Und von der Utopie einer freieren Gesellschaft, in der Leben und Lernen auf ganz andere Weise verknüpft werden, muss mensch sich deshalb auch keineswegs verabschieden.
Wie hat das Berufsverbot auf dich als Aktivist gewirkt, bist du vorsichtiger geworden, haben sich andere Schwerpunkte aufgetan ?
Vorsichtiger bin ich nicht geworden, dazu bin ich einerseits ein viel zu bockiger und widerständischer Typ und andererseits: „Ist der Ruf erst ruiniert…“ – was hatte ich denn noch zu verlieren, nachdem ich ohnehin in der Presse der gesamten BRD als exemplarischer Staatsfeind gehandelt wurde?
Andere Schwerpunkte haben sich aus dem Kampf gegen das Berufsverbot aber schon ergeben, beispielsweise in der Bündnisarbeit mit Gewerkschaften, die vorher nicht unbedingt mein Ding war. Auch die Antirepressionsarbeit im Rahmen der Roten Hilfe ist noch mehr als bislang in den Vordergrund gerückt.
Wie verortest du deinen Fall innerhalb der allgemeinen Repressionswelle ?
Natürlich muss mensch die Wiederbelebung dieses Repressionsinstrumentes aus der Zeit des Kalten Krieges vor dem Hintergrund des galoppierenden Grundrechtsabbaus sehen, der sich in den bürgerlichen Demokratien des Westens insbesondere seit den Zeiten des „Antiterrorkrieges“ vollzieht.
Das hat in gewisser Weise etwas von einem staatlichen Amoklauf – anders als zu der Hochzeit der Berufsverbote gibt es ja heute kein sich sozialistisch nennendes Staatensystem mehr, das mit der BRD und ihren Verbündeten konkurriert, es gibt keine starke außerparlamentarische Linke mehr, von der sich der Staat auch nur subjektiv bedroht fühlen könnte. Aber das ist sicher auch eine neue Qualität staatlicher Repression, dass sie immer häufiger präventiv ansetzt, bevor sich widerständige Bewegungen überhaupt entwickeln können.
Es besteht bei Lehramtsstudierenden eine große Angst, später nicht arbeiten zu dürfen oder erst gar nicht zum Refrendariat zugelassen zu werden, was sie in ihrem politischen Aktivismus einschränkt.
Ist dies vielleicht das primäre Ziel von Berufsverboten ?
Berufsverbote haben schon immer nicht in erster Linie auf diejenigen gezielt, die letztendlich von ihnen betroffen waren – die sah der Staat ohnehin als „hoffnungslose Fälle“ an. Vor allem sollten und sollen ja diejenigen abgeschreckt werden, die eventuell erst noch wirklich politisch aktiv werden könnten. Die von dir angesprochene ständig präsente Angst von Lehramtsstudis zeigt ja, wie unglaublich wirksam so eine Abschreckungspolitik ist.
Immerhin war das letzte klassische Berufsverbotsverfahren vor meinem „Fall“ fast zwanzig Jahre her und dennoch ist die berühmte Schere im Kopf wirksam geblieben.
Es gab eine Solibewegung rund um deinen Fall. Hat dir das auch persönlich geholfen, denn real darunter leiden musstest ja nur?
Natürlich war die Solibewegung immens wichtig. Sie hat mir selbst auch immer wieder vor Augen geführt, dass ich eben nicht allein bin und auch anderen Mut gemacht habe. Ohne die große Öffentlichkeit und die vielfältigen Proteste wäre die Auseinandersetzung aber auch gar nicht zu führen gewesen. Auch Gerichte handeln ja nicht im politisch luftleeren Raum.
Der Prozess war letzten Endes nur politisch zu gewinnen.
Die Länder Baden-Württemberg und Hessen halten Antifaschistische wie Antikriegsarbeit und Lehrer werden für einen Widerspruch, kannst du dem folgen ?
Na ja, folgen kann ich dem natürlich nicht, aber ich bin auch nicht verwundert. Ein Land, in dem ein Herr Oettinger trotz seiner geschichtsrevisionistischen Äußerungen und seinen Rechtsaußen-Kontakten zum Studienzentrum Weikersheim als respektabler Ministerpräsident gilt, handelt durchaus in einer überzeugenden Logik, wenn es AntifaschistInnen verfolgt. Es ist insofern sicher kein Zufall, dass hier auch die absurde Jagd von Polizei und Justiz auf durchgestrichene Hakenkreuze und andere Antifa-Symbole ihren Anfang nahm.
Ich bin nicht naiv. Wer sich in diesem Land konsequent gegen Faschismus und Krieg engagiert, ist staatlicherseits nicht unbedingt wohlgelitten. Das kann aber kein Grund sein, sich davon abbringen zu lassen.
Wenn du das alles schon gewusst hättest was würdest du machen ? Politisch aktiv sein und nicht Lehramt studieren ? Lehramt studieren und dich politisch zurückhalten ? Wieder beides und alles noch mal durchmachen ? Warum?
Politisch gesehen würde ich nicht anders handeln als ich gehandelt habe. Und persönlich ist das natürlich eine hypothetische Frage. Ich habe mir die Situation damals nicht ausgesucht. Und ich müsste lügen, wenn ich behaupten wollte, dass diese Jahre spurlos an mir vorbeigegangen sind. Aber es gibt keine Situation – weder vor dem Berufsverbotsverfahren noch währenddessen – in der ich hätte anders handeln wollen. Meine politischen Überzeugungen zu verleugnen, um negative Konsequenzen zu vermeiden, war und ist für mich keine Option. Mir selbst im Spiegel mit gutem Gewissen ins Gesicht sehen zu können ist mir allemal wichtiger.
Betroffen warst du, gemeint aber alle politisch Kritischen. Politische Arbeit wird so kriminalisiert. Wie kann man sich dagegen wehren?
In erster Linie geht es darum, BündnispartnerInnen zu suchen und Öffentlichkeit zu schaffen. Gerade weil der Staat die radikale Linke gern an den Rand drängen würde, dürfen wir uns nicht in Szenenischen einrichten. Hättest Du mir vor vier Jahren erzählt, dass in meinem Fall Gewerkschaften, gewaltfreie AnarchistInnen, KommunistInnen, Autonome, Menschenrechtsgruppen und die Rote Hilfe gemeinsam Aufrufe unterzeichnen und zu Demonstrationen aufrufen, ich hätte Dir nicht geglaubt. Und trotzdem ist genau das passiert.
Die Linke hat sich für meinen Geschmack zu sehr daran gewöhnt, zu unterliegen. Es ist wichtig, sich bezüglich der heutigen gesellschaftlichen Situation nicht in die Tasche zu lügen, aber selbst im Kampf gegen Repression ist es möglich, in die Offensive zu kommen.
Das Berufsverbot gegen dich war nicht erfolgreich. Denkst du es wird trotzdem oder gerade deshalb weitere Berufsverbote geben?
Es war sicher ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Berufsverbote. Aber die Gesetze, die solche absurden Verfahren erst ermöglichen, existieren immer noch, samt Beweislastumkehr und Gesinnungsprognosen.
Und die vielen Hundert Betroffenen der Berufsverbote aus den 1970er und 1980er Jahren sind weder rehabilitiert noch entschädigt. Es ist wichtig, die BRD dazu zu zwingen, das damit verbundene Unrecht einzugestehen und aufzuarbeiten.
Ohne diese Aufarbeitung bleibt das Berufsverbot als jederzeit einsetzbare Waffe gegen die Linke präsent.