Liebe Leserinnen und Leser,
die Ereignisse in Burma haben sich überschlagen. Nachdem es dort im September und Oktober 2007 zu großen gewaltfreien Demonstrationen gegen die Militärdiktatur gekommen war, hat der burmesische Staat mit großer Brutalität reagiert und die gewaltfreie Revolte niedergeschlagen. Dass die Militärs dabei auch deutsche Waffen eingesetzt haben, ist wahrscheinlich. Schließlich hat die deutsche Firma Heckler & Koch in Rangun eine Gewehrfabrik aufgebaut und produziert dort in Lizenz für das burmesische Regime G3-Gewehre.
Der deutsche Staat ist der drittgrößte Waffenhändler der Welt. Über diese kriegsfördernde Politik der Bundesrepublik ist in den Massenmedien nichts zu finden. Ein Skandal!
Wir sollten überlegen, wie wir die Menschen und ihren gewaltfreien Aufstand gegen das Militärregime in Burma unterstützen können. Ein sinnvoller Beitrag wäre auch eine Kampagne gegen Waffenproduzenten wie Heckler & Koch.
In dieser GWR beleuchten wir die Hintergründe der gewaltfreien Revolte in Burma.
Ein weiterer Schwerpunkt ist der „Deutsche Herbst 1977“ – 30 Years after.
In seinem GWR 323-Leitartikel „Dreißig Jahre nichts dazu gelernt! In der eigenen Normalität verstockt“ analysiert Wolf-Dieter Narr die Heuchelei, die uns zum Thema „RAF“ in den Medien aufgetischt wird: „Darum sind Anarchisten, Herrschaftsfeinde, zu denen jedes Kind zählt und jeder freiheitlich gerichtete Mensch zählen müsste, von vornherein terrorismusverdächtig, obwohl wahre Anarchisten heute ohne Gewalt auftreten. Denn alle Gewalt ist herrschaftsträchtig“, so der Politikprofessor. „Die Bundesrepublik und ihr Staat hätten sich qualitativ gewandelt, hätte die Bundesregierung und ihr Krisenstab die unwahrscheinliche Größe gehabt, schon um des Menschen Hans-Martin Schleyer willen, kalkuliert und diszipliniert nachzugeben“.
In den Massenmedien werden die ehemaligen Mitglieder der Ex-Stadtguerillagruppen immer noch als Monster dargestellt, während die Verbrechen des deutschen Staates unerwähnt bleiben. Ein Verbrechen ist die Isolationsfolter, unter der inhaftierte Mitglieder der „RAF“ und der „Bewegung 2. Juni“ leiden mussten, zum Beispiel Ilse Schwipper.
Sie wurde im Juni 1971 erstmals wegen militanter Aktionen gegen den Vietnam-Krieg verhaftet. Bis Ende 1973 saß sie in Isolationshaft in Vechta. Nach der Haftentlassung wurde sie im August 1974 erneut inhaftiert. Ihr wurde die Beteiligung an der Ermordung des Berliner Verfassungsschutz-Mitarbeiters Ullrich Schmücker durch das Kommando „Schwarzer Juni“ aus der „Bewegung 2. Juni“ unterstellt. Nach 17 Jahren endete der „Schmücker-Prozess“ 1991 mit einer rechtskräftigen Verfahrenseinstellung. Insgesamt hat Ilse Schwipper 7 ¾ Jahre wegen dieser Anklage in Untersuchungshaft gesessen. Im Mai 1982 wurde sie wegen Haftunfähigkeit aus dem Gefängnis entlassen.
Im Jahresbericht 1982 hatte amnesty international beschrieben, dass die lange Isolation von Gefangenen zu ernsten gesundheitlichen Schäden geführt hat: „Diese Feststellung wurde (…) durch medizinische Gutachten über Ilse Schwipper untermauert (…) Der Neurologe und Psychiater Prof. Dr. Detlef Cabanis wurde (…) beauftragt, ihre Verhandlungsfähigkeit zu untersuchen. Die von ihm festgestellten Symptome stimmten völlig mit den 1979 von amnesty international in anderen Fällen beobachteten Ergebnissen überein (…). Zu diesen Symptomen zählten niedriger Blutdruck, Kreislaufstörungen, Konzentrationsmangel und in diesem Fall vor allem schwere Depressionen. Ein Gefängnisarzt stellte weiter fest, daß Ilse Schwipper an einer tiefen ‚Erschöpfungsdepression‘ litt, ‚welche die Haftfähigkeit erheblich in Zweifel zieht‘. Seit ihrer Verhaftung 1974 war Ilse Schwipper unter unterschiedlichen Haftbedingungen festgehalten worden, unter anderem etwa vier Jahre lang in Kleingruppenisolation. In seinem Bericht zog Dr. Cabanis eine Verbindung zwischen Ilse Schwippers Symptomen und den Haftbedingungen sowie ‚einer fast siebenjährigen Untersuchungshaft‘.“ (1)
Ilse Schwipper wäre beinahe an den Folgen der Isolationshaft gestorben. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass sie später nicht wirklich in der Lage war, sich (selbst-)kritisch mit der Politik der Stadtguerillagruppen auseinander zusetzen? Vielleicht war das Festhalten an der Stadtguerilla-Ideologie ein Strohhalm, der es ihr ermöglichte, die Isolationshaft zu überleben?
In der GWR wurde sie kritisiert, „weil sie Anarcha-Feminismus propagiert (was wir schon Mitte der 70er taten und was unverändert richtig ist und viel häufiger und genauer und mit geschichtlichem Hintergrund geschehen sollte), aber nicht sehen will, dass bewaffneter Kampf für etwas ganz anderes steht und dass emanzipatorische Ziele Mittel ausschließen, die zu einer notwendigen Brutalisierung führen und Sexismen eher verstärken“ (Johan Bauer, in: GWR 312).
Trotzdem stand sie der GWR nicht nur als Abonnentin und gelegentliche Autorin nahe. Sie lobte sie als „beste Zeitung“.
Ilse Schwipper starb am 27. September 2007 im Alter von 70 Jahren. (2) Zwei Beiträge dieser GWR sind ihr gewidmet (S. 14).
Li(e)bertäre Grüße,
(1) amnesty international-Jahresbericht 1982. Bundesrepublik Deutschland
(2) Gedenkseite für Ilse Schwipper: www.dadaweb.de/wiki/Ilse_Schwipper_-_Gedenkseite