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Die Wahl in der Schweiz

Genug Anlass für eine libertäre, anti-parlamentarische Kritik

| Sebi

Obwohl die in der Gesamtheit gesehen minimalen Verschiebungen in der Zusammensetzung des Parlaments für Anarchistinnen und Anarchisten keinen Anlass zur Sorge geben sollten, bleibt nach dem herbstlichen Wahlgang in der Schweiz doch ein fahler Nachgeschmack: Der "schmutzige" Wahlkampf, in dem sich die parlamentarische Demokratie ganz offensichtlich in ihrer wahren Gestalt präsentierte, hätte zu einer libertären, anti-parlamentarischen Kritik wahrlich genug Anlass gegeben.

Das Unterlassen hatte zur Folge, dass zwischen Anarchistinnen und Anarchisten in der Schweiz insbesondere in den Fragen der Sinnhaftigkeit der Ausschreitungen in Bern am 6. Oktober und des Gangs an die Urne für die Parlamentswahlen Ende Oktober keine Klarheit geschaffen werden konnte.

Da sich diese Fragen in gleicher oder verwandter Form auch nach den Wahlen immer wieder stellen werden, will ich am aktuellen Beispiel Antworten ansatzweise aufzuzeigen versuchen:

Der „schwarze Samstag“ von Bern

Erstens, die „Krawalle“ rund um die Verhinderung der SVP-Kundgebung: Ein oft gehörter Vorwurf war, dass die Ausschreitungen schlussendlich der SVP geholfen hätten. Dies ist wahr. Doch: Als Anti-Parlamentarierinnen und Anti-Parlamentarier sollte uns dies herzlich wenig kümmern. Denn ob nun die parlamentarisch Rechte oder Linke gewinnt, das Ergebnis, zumal in einem stets nach „Konsens“ strebenden Politsystem wie demjenigen der Schweiz, bleibt trotz aller Versprechungen dasselbe: Sozialabbau, restriktivere Flüchtlings- und AusländerInnenpolitik, Einsparungen bei der Bildung usw.

Weiterer Kritikpunkt waren die Ausschreitungen als legitimes Mittel an sich. Ich sehe dabei weder die Sabotageaktionen an SVP-Besitz („Sachbeschädigungen auf dem Bundeshausplatz“) noch die Barrikaden („Zahlreiche Einkaufsläden wurden angegriffen“) als verwerflich an. Denn die Barrikaden wurden nicht einfach mal aus Spaß errichtet, sondern als Antwort auf die Drohung der Polizei, die Sitzblockade gegen den SVP-Demonstrationszug mit Gummischrot, Tränengas und Knüppeln anzugreifen. Auf dem Bundeshausplatz – einem symbolträchtigen Ort – sollten die zwei SVP-Bundesräte Abschlussreden halten. Die dazu nötige Einrichtung zu zerstören, stellte wohl den wirksamsten Weg dar.

Gewalt gegen Menschen kann niemals eine Lösung sein, und Attacken auf Personen sind auch während Demonstrationen abzulehnen. Deshalb ist es umso wichtiger, den auch in linken Kreisen geäußerten Vorwurf zu entkräften, dass wahllos Menschen angegriffen wurden:

Dass alleine durch die erlittenen finanziellen Schäden keine allzu große Sympathiewelle für die Milliardären-Partei SVP erzeugt werden kann, scheint der Partei und mit ihr den bürgerlichen Medien sehr schnell aufgegangen zu sein. Also wurde wild über zahlreiche verletzte „Passanten“ („Frauen und Kinder wurden angegriffen“) fabuliert. Nur: Selbst die Polizei spricht „nur“ von 18 verletzten DemonstrantInnen und PolizistInnen (wobei deren neun mit einer „Flüssigkeit“ attackiert worden sein sollen, von der sich später herausstellte, dass sie harmlos ist).

Das ausgestrahlte Medienmaterial zeigt zwar verschiedene Angriffe von SVP-SympathisantInnen auf DemonstrantInnen auf dem „Schlachtfeld“ Bundeshausplatz, aber nicht umgekehrt. Wären tatsächlich Frauen und Kinder auf dem Platz attackiert worden, wäre dies angesichts der zahlreichen Kamerateams und Amateur-FilmerInnen sicherlich festgehalten worden.

Wahlboykott?!?

Zweitens die auch in anarchistischen Kreisen geäußerte Aufforderung, doch wählen zu gehen – nicht um die linken Parteien zu unterstützen, sondern die SVP zu verhindern: Selbst wenn an dieser Stelle nicht auf die Grundsätze anarchistischer Staats- und Wahlkritik eingegangen werden kann, was ja in der GWR bereits in zahlreichen Artikeln getan wurde, kann die Widersprüchlichkeit eines solchen Verhaltens aufgezeigt werden.

Als einzige Partei führt die SVP einen wirklich professionellen Wahlkampf, nämlich einen, der sich nicht nur auf die Zeit vor den eigentlichen Wahlen beschränkt. Es gelingt ihr, diffuse Ängste in der Bevölkerung aufzunehmen und durch Schlagwörter wie „Ausländergewalt“, „Scheininvalide“ oder „Linke und Nette“ zu bündeln.

Dabei spielt es keine Rolle, ob sie nun in der Opposition oder in der Regierung ist – die momentane Impulsgeberin der eidgenössischen Politik ist sie ohnehin.

Anders ausgedrückt ist die SVP ein Phänomen, das nicht an der Urne bekämpft werden kann, sondern seinerseits auf Tiefenstrukturen der Gesellschaft hinweist.

Ein wirklich emanzipatorischer Ansatz muss diese erkennen, benennen und schließlich im eigentlichen Sinne des Wortes radikal bekämpfen, und nicht bloß Symptombekämpfung betreiben.