Man war in Österreich in Bezug auf inhumane und restriktive Asylpolitik ja leider schon einiges gewohnt, nicht zuletzt aufgrund der im Jahr 2000 ins Amt gekommenen Regierung aus Konservativen (ÖVP) und Rechten (FPÖ bzw. BZÖ). Nun ist die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) an der Macht. An den verheerenden Zuständen hat dies jedoch nichts geändert, auch, wenn der Bundeskanzler beteuert, dass dies alles "grauslich" (1) sei.
Begriffe wie „Scheinasylanten“, „Wirtschaftsflüchtlinge“, „Drogendealer“ oder „Kriminelle“ dienen als gängige Bezeichnungen für Flüchtlinge und werden nicht nur von den Rechtsaußen-Parteien FPÖ und BZÖ bedient. Mit Hilfe von diffamierenden und scheinbar zur Gewohnheit gewordenen Begriffen konnten rassistische Gesetze zur Abschiebung und Diskriminierung von Asylsuchenden ohne nennenswerten Widerstand der Bevölkerung exekutiert werden.
Abschiebung, Schubhaft und strenge Asylgesetze wurden von Medien und PolitikerInnen stets als notwendige Maßnahmen gegen eben erwähnte „Kriminelle“ und andere (ausländische) „Übeltäter“ präsentiert.
Neue Regierung, alte Zustände
Mit Amtsantritt der neuen Regierung, unter Führung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Alfred Gusenbauer, hatten viele engagierte Menschen und AsylantInnen insgeheim (etwas naiv) wieder ein bisschen Hoffnung geschöpft, dass sich der Umgang mit Flüchtlingen ein Stück in eine positivere Richtung entwickeln könnte.
Diese Hoffnung war illusorisch.
Die alte Regierung ist zwar weg, der restriktive Umgang mit den Flüchtlingen ist aber geblieben, ebenso wie ein allgemein fremdenfeindliches Klima. In diesem geben nicht nur PolitikerInnen der Rechtsaußen-Parteien hetzerische Äußerungen von sich – z.B. fordert Jörg Haider ein Bauverbot für Minarette.
Der Landeshauptmann von Niederösterreich, Josef Pröll von der ÖVP bezeichnet Minarette als „artfremd“ und sympathisiert offen mit Forderungen von Rechtsextremen, offensichtlich auch, um in deren braunen WählerInnenklientel nach Stimmen zu angeln.
Scharfe Kritik am geltenden Fremdenrecht kommt jedoch von Institutionen, die nicht im Verdacht stehen, „linksradikal“ zu sein, wie z.B. vom österreichischen Verfassungsgerichtshof oder den Vereinten Nationen. Die Regierung hält trotzdem daran fest und will eine Evaluierung des Fremdenrechts erst 2009 durchführen, was aber, das hat u.a. ÖVP-Chef Wilhelm Molterer bereits klargestellt, keine Aufweichung, sondern eher eine weitere Verschärfung der Gesetze bedeuten könnte.
Urteile gegen Polizisten
Im Sommer 2006 wurde ein neuer Skandal rund um die Abschiebung eines afrikanischen Asylsuchenden bekannt, wo die Strafen für die beteiligten Polizisten vor kurzem stark herabgesetzt wurden.
Nach einer misslungenen Abschiebung hatten vier Beamte der Polizeisondereinheit „Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung“ (WEGA) den gambianischen Schubhäftling Bakary Jassey in einer Lagerhalle schwer misshandelt.
Zuvor hatte sich der Pilot geweigert, Bakary Jassey mitzunehmen, nachdem der Asylsuchende eine Flugbegleiterin auf die drohende Abschiebung hingewiesen hatte.
Bakary Jassey erlitt neben Zerrungen und Prellungen einen Kiefer-, Jochbein- und Augenhöhlenbruch.
Er schilderte erschütternde Details über die Vorgänge in der Lagerhalle und erzählte, dass die Beamten drohten, ihn zu töten. „Wir sind eine Spezialeinheit, wir werden dich töten,“ (2) sagte einer der Polizisten.
Im August letzten Jahres wurden die Beamten rechtskräftig „wegen Quälens und Vernachlässigens eines Gefangenen“ zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. amnesty international Österreich bezeichnete die Vorfälle in der Lagerhalle als Folter und zeigte sich erschüttert über die milden Urteile.
Heinz Patzelt, Generalsekretär von ai-Österreich, meinte dazu: „Dieses Urteil erklärt Folter zum Kavaliersdelikt in Österreich. Gegen solche Urteile haben wir 15 Jahre lang in der Türkei gekämpft.“ (3)
Der Disziplinaranwalt legte im Auftrag des Innenministeriums Berufung gegen diese Urteile ein, was zur Folge hatte, dass am 11. September 2007 die Suspendierung der Beamten wieder aufgehoben wurde und sie auch weiterhin im (Innen-) Dienst bleiben dürfen. Auch die Geldstrafe wurde erheblich herabgesetzt.
Abschiebungen: Widerstand regt sich
Seit einiger Zeit ist der neue Innenminister Günther Platter von der konservativen ÖVP etwas in die Defensive und in Erklärungsnot geraten.
In den Idyllen österreichischer Dörfer und Gemeinden trat immer öfter die Fremdenpolizei in Erscheinung, um Familien (oder Teile davon), alte Menschen oder Mütter mit ihren Babys (in einem Fall bekam nur das Baby, nicht die Mutter einen Abschiebebescheid), abzuschieben. Auch wenn die Betroffenen schon seit langer Zeit in diesen Gemeinden gelebt haben und genau das sind, was man im öffentlichen Diskurs als „gut integriert“ (4) bezeichnet.
Damit konfrontiert, kamen nun auch „normale“ DorfbewohnerInnen, die mit linkem Aktivismus und Demo-Slogans wie „Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord, …“ in der Regel nichts am Hut haben, zu der Erkenntnis, dass die Abschiebepraxis die Menschenwürde verletzt.
Linke Gruppierungen und Menschenrechtsorganisationen in Österreich, die, wie die meisten linken Bewegungen in anderen Ländern auch, Abschiebung an sich als menschenverachtend betrachten, sind aber keine Faktoren, auf den ein Innenminister – schon gar nicht, wenn er von der ÖVP ist – Rücksicht nehmen muss. Da sich nun aber auch Bevölkerungsschichten, die tendenziell der Politik der beiden Großparteien zugeneigt sind, dezidiert gegen die Politik des Innenministeriums (also auch gegen die Politik der Koalition) stellten und sogar offen damit drohten, Abschiebungen aktiv verhindern zu wollen, musste sich spätestens ab hier die Koalition die Frage stellen, ob diese Abschiebepraxis noch durchführbar und vertretbar ist.
Die SPÖ war schnell zur Stelle, um sich von Günther Platter zu distanzieren, was, der Logik des parteipolitischen Taktierertums folgend, vielleicht klug, im Grunde genommen aber ziemlich lachhaft war. Denn Platter vertritt nur die Asylgesetze, die auch die SPÖ durch ihre Zustimmung zum neuen Fremdenrechtspaket mitbestimmt und ermöglicht hat.
Es stellte sich bald heraus, dass der angedrohte Widerstand nicht nur ein Lippenbekenntnis war. In Wien und anderen Städten gingen die Menschen auf die Straßen; aber auch dort, wo dies vermutlich noch nie der Fall gewesen war, nämlich auf Markplätzen und Dorfstraßen in betroffenen ländlichen Gebieten, wurde demonstriert. Immer häufiger gelangten Berichte an die Medien, dass von der Abschiebung bedrohte AsylantInnen untergetaucht sind und von solidarischen Menschen versteckt wurden.
Der Fall, der in den Medien unglaublich hohe Wellen schlug, war der der Familie Zogaj aus dem Kosovo und deren Tochter Arigona, die untergetaucht war und mit Suizid drohte. Über Wochen hinweg war die Geschichte Arigonas das dominierende Thema in den Medien, ob nun Qualitätszeitung oder Kampagnenblatt. Der regelrechte Hype rund um die 15-Jährige hatte neben persönlichen Vorteilen für das Mädchen und deren Mutter den positiven Effekt, dass das Thema nun wieder diskutiert wurde, so ausführlich und gründlich wie schon lange nicht mehr.
Mit Suizid wurde aber leider nicht nur gedroht. In der Stadt Steyr in Oberösterreich rammte sich ein 18-jähriger Nigerianer, der seinen Abschiebebescheid erhalten hatte, mitten auf dem Stadtplatz aus Protest ein Messer in den Bauch. Auf Flugzetteln, die er vor dem Suizidversuch – die Verletzungen waren nicht lebensbedrohlich – an PassantInnen verteilte, erklärte er sehr eindringlich die Motive seiner Tat.
Zahlreiche KünstlerInnen, Intellektuelle und auch linke PolitikerInnen solidarisierten sich mit von der Abschiebung bedrohten Menschen und riefen teilweise offen zum zivilen Ungehorsam auf. Einige erklärten öffentlich ihre Absicht, Asylsuchende, die sich der Abschiebung entziehen wollen, Unterschlupf zu gewähren, womit sie gegen den Paragraph 115 des Fremdenpolizeigesetztes verstoßen und sich strafbar machen würden.
Die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz, der Karikaturist Manfred Deix, der Schauspieler Hubsi Kramer und der Kabarettist Florian Scheuba sind Beispiele hierfür.
Der Obmann der Organisation Asyl in Not, Michael Genner, forderte auch die MitarbeiterInnen des Flughafens Wien-Schwechat auf, Abschiebungen zu verweigern: „Wie wir hören, sind weitere Abschiebungen per Flieger geplant. Wir fordern die Belegschaften des Flughafens Schwechat und der Fluggesellschaften auf, nicht mitzumachen bei diesem schmutzigen Spiel.“ (5)
Nur ein Strohfeuer?
Ob aus diesem Potential, das offensichtlich vorhanden ist, eine stärkere und in ihren Forderungen auch radikalere Pro-Asyl-/ Anti-Abschiebungs-Bewegung aufgebaut werden kann, ist noch nicht abzuschätzen.
Auch wenn die Forderungen im Bezug auf die jüngsten Fälle wenig in die Tiefe gingen und sich an einzelnen Schicksalen festmachten, sind all diese Aktivitäten und Widerstände ein positiver Schritt in eine richtige Richtung.
Auch Menschen, die zuvor nicht daran gedacht hätten, staatlich legitimierter Unmenschlichkeit etwas entgegenzusetzen, sehen, dass das Recht der Gesetze, die im Parlament verabschiedet werden, nicht automatisch Gerechtigkeit bedeutet.
Und dass Ungerechtigkeit auch bekämpft werden kann.
(1) Bundeskanzler Gusenbauer (SPÖ) bezeichnete den Abschiebefall der Familie Zogaj als "grauslich", was soviel wie "ekelerregend" heißt.
(2) www.afrikanet.info/index.php?option=com_content&task=view&id =426&Itemid=107, 30.10.07
(3) www.amnesty.at/fokus/oesterreich/index.htm, 30.10.07
(4) Diese Bezeichnung ist nicht unproblematisch, denn sie wird gemeinhin so definiert, dass die betreffende Person einer geregelten Arbeit nachgeht, noch nie straffällig geworden ist, die deutsche Sprache spricht, bereits lange hier lebt und sich quasi "angepasst" hat.
(5) www.asyl-in-not.org/php/einer_mehr,14024,11237.html, 30.10.07