Der "grundgesetzlich verbürgten Meinungsfreiheit", lese ich soeben, drohe "ernstlich Gefahr"; "bedrohlich" sei die derzeitige Entwicklung. Aber der Analytiker, der hier spricht, meint nicht die Überwachungen von Demonstrantinnen und Demonstranten per Tornado-Kampfflugzeug, nicht Massenrazzien bei globalisierungskritischen Menschen, auch nicht "Bundestrojaner" oder das demnächst erlaubte staatliche Abhören von Journalistinnen und Journalisten.
Der Analytiker ist selber Innenminister, im Land Brandenburg. Er heißt Jörg Schönbohm. Ein strammer Deutschnationaler, Erfinder des Begriffes „Deutsche Leitkultur“, begeisterter Unterzeichner von Ausweisungsbescheiden gegen in seinem Land lebende Flüchtlinge wie z.B. im Frühling dieses Jahres gegen Frau Awa Marie Ndemu und ihre vier Kinder, dem Rat selbst seiner Parteifreunde zum Trotz. Der Mann ist auch schon medienpolitisch hervorgetreten: mit dem Vorschlag, den Berliner Rundfunksender „Radio Multikulti“ umzubenennen in „Radio Schwarz-Rot-Gold“. Er hatte bislang nur eine Sorge: Dass zu viele „Ausländer“ in Deutschland lebten. Nun sorgt er sich um Zensur. Ist hier ein Saulus zum Paulus geworden?
Man muss gleich antworten: Nein; leider nein. Schönbohm ist noch immer derselbe ultrakonservative Haudrauf, als den wir ihn kennen.
Es lohnt sich dennoch, sich mit seiner „Verteidigung der Meinungsfreiheit“ auseinanderzusetzen: Denn in grotesker Verzerrung werden hier Wesensmerkmale konservativen Denkens sichtbar. Die zensierende Instanz, gegen die der Generalleutnant a.D. zu Felde zieht, benennt er klar: „Politische Korrektheit“. Ihre Agenten: die „68er-Gutmenschengeneration“. Der Gedankengang ist klar und langweilig: Diese Gutmensch-Zensoren machen jeden fertig, der auch nur ein falsches Wort sagt, z.B. eines, das „auch schon vom NS-Chefideologen Alfred Rosenberg verwendet wurde“. Das müssen ganz schön viele sein: „Bischöfe, Literaten, Moderatoren, Intellektuelle, Abgeordnete werden verhöhnt und verspottet, sie werden lächerlich gemacht.“
Man denkt spontan: Schön wär’s! Genau so sähe nämlich eine funktionierende Meinungsfreiheit aus: Dass Autoritätspersonen nach Herzenslust öffentlich vom Sockel gezogen (und z.B. schwulenfeindliche Bischöfe ungestraft „Hassprediger“ genannt) werden können.
Nach Ansicht des brandenburgischen Innenministers bedroht genau das die Meinungsfreiheit. Obwohl die so angeblich verhöhnten und verspotteten Alpha-Tiere allesamt kraft ihres Berufes einen – gelinde gesagt – privilegierten Zugang zu den Medien haben, werden sie nach Wahrnehmung Schönbohms „mundtot“ gemacht. „Die Massenmedien, auch die öffentlich-rechtlichen Institutionen“ befinden sich nämlich unter der Knute des 68er-Gutmenschentums. – Wie muss man eigentlich ticken, um unsere bis zur Unappetitlichkeit patriotische, opportunistische, zwischen Neoliberalismus und konservativem Populismus schwankende Medienlandschaft als „links“ wahrzunehmen?
Jedenfalls muss man einen festen, einwandsimmunen Panzer um den Kopf haben. In Schönbohms Fall ist es schwer, seine Haltung nicht pathologisch, nämlich als paranoid zu bezeichnen. Den bereits zitierten Begriffen der Bedrohlichkeit und des „mundtot“ Machens folgen noch krassere Angstphantasien: Die Opfer der Gutmenschen werden „öffentlich geteert und gefedert“, es wird so mancher „Skalp gefordert“, die 68er wollen alle Andersdenkenden „zur Strecke bringen“, es geht ihnen darum, „öffentlich hinzurichten“. Der letztere Ausdruck ist – als „Öffentliche Hinrichtung“ substantiviert – von der Redaktion des „Rheinischen Merkur“ richtigerweise zur Überschrift dieses denkwürdigen Textzeugnisses gemacht worden.
Der Mann braucht professionelle Hilfe!
Das Phänomen, eigene Aggressionen auf andere zu projizieren und dort als Feindseligkeit zu bekämpfen, ist in Fachkreisen wohlbekannt. Dass ein Ministeramt hier als erfolgversprechende Therapie gelten könnte, ist freilich zweifelhaft.
Wie gesagt: In der monströsen Verzerrung wird hier ein Charakteristikum des Konservatismus kenntlich, der zu Realitätsverleugnung, vor allem durch Umkehrung von Täter-Opfer-Relationen, tendiert. Manchmal gebiert dieses Charakteristikum unfreiwillige Komik. Schreibt Schönbohm im Zusammenhang mit seiner Erwähnung Alfred Rosenbergs (bei dem man zwischen „Rassenseele“, „Nigger-‚Kunst‘ am Kurfürstendamm“ und „jüdischem Schmarotzertum“ wirklich nur wenige Wörter findet, bei denen man nicht kotzen möchte) gegen die linken ‚Zensoren‘: „Die Sprache, auch die deutsche, ist politisch nun einmal neutral.“ Großer Tusch; Abmarsch.
Anmerkungen
Quelle: Rheinischer Merkur, Nr. 46, 15.11.2007, S. 4.